inspiriert

Beschleunigte Energiewende

31. März

Wie lange reden wir schon über die Energiewende, ohne dass sie ehrgeizig verfolgt wurde? Doch plötzlich könnte sich ein Ereignis ganz anderer Art als Turbo für den Umbau von der fossilen zur regenerativen Gesellschaft erweisen: Der Krieg in der Ukraine. Unsere energiepolitischen Ziele sollen nun in deutlich schnellerem Tempo Realität werden – und zwar aus sicherheitspolitischen und ökonomischen Erwägungen. Unser Ideal von Freiheit und Wohlstand und letztlich fast unser gesamter Wirtschaftskreislauf basiert auf günstigen, fossilen Rohstoffen. Ihre Endlichkeit wird uns nun schmerzlich bewusst – und zwar im eigenen Portemonnaie. Die Preissteigerungen der letzten Monate sind mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vorübergehend, sondern ein Zeichen dafür, dass der Kairos zu einem sanften Wandel verpasst wurde. Nun bin ich kein Pessimist, aber Realist genug, um zu behaupten, dass uns diese Zäsur einiges abverlangen wird.

Ist diese beschleunigte Energiewende ein Vorbote dessen, was auch der Kirche bevorsteht? Aus der Geistes- und Kulturgeschichte wissen wir, dass Ereignisse weltweiten Ausmaßes wie Kriege oder Pandemien der Menschheit eine neue Richtung gegeben haben. Aber bei genauerer Betrachtung sind sie eher Auslöser als Ursachen. Meistens haben sich in den Tiefenschichten menschlicher Kulturen längst fundamental neue Ideen entwickelt, die zum Durchbruch drängen.

Krise Kirche

Die beschleunigte Energiewende stellt uns in der Kirche vor die Fragen: Was ist unser Antrieb? Woher kommt unsere Energie? Unsere günstige, fossile Energie, die Kirchensteuer, ist endlich. Steigende Austrittszahlen, demographische Faktoren und die dramatisch niedrige Inanspruchnahme von Kasualien wie Taufe oder kirchliche Trauung sprechen eine deutliche Sprache – ökonomisch gesehen verknappen sich die kirchlichen Ressourcen in atemberaubendem Tempo und stellen unser bisheriges kirchliches System fundamental infrage. Zwei Fragen halte ich dabei für besonders wesentlich: 1) die nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kirche (die durchaus vorhanden ist, aber es gelingt der Kirche m. E. kaum, sie in der öffentlichen Wahrnehmung überzeugend darzustellen) und 2) die nach dem Verhältnis der Kirche zu den Ecclesiopreneuren in ihrem Umfeld, die – bildlich gesprochen – längst konsequent mit regenerativer Energie unterwegs sind und exemplarisch ein postfossiles Zeitalter vorleben.

Erfahrbare Ressourcen

Fossile Energie zerstört die Grundlagen unseres Zusammenlebens auf der Erde. Die Bibel sieht Transformation als geistlichen Prozess. Aus der Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus, der dem religiösen Establishment seiner Zeit angehört, lernen wir bspw., dass es nicht ausreicht theologisch gebildet zu sein, sondern auch reich an geistlicher Erfahrung. Am 30. März jährte sich der Todestag des katholischen Theologen Karl Rahner zum 38. Mal. Bereits 1966 prognostizierte er: „In Zukunft wird der Christ ein Mystiker sein; jemand, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Dieser Antrieb ist in vielen Fresh X deutlich spürbar. Diese Ressource ist unerschöpflich, bis ins Finanzielle hinein: Wir dürfen im wahrsten Sinne des Wortes mit Gott rechnen. Hören wir auf, überkommene Strukturen am Leben erhalten zu wollen.

AMD-Generalsekretär und Referent für missionarische Kirchenentwicklung bei mi-di.de