inspiriert

Fünf Frauen auf Marthas Fersen

Samstag

Wo schon vor 100 Jahren eine Brandenburger Bäckersfrau Gäste empfing, ist ein Dritter Ort in Trägerschaft der Kirchengemeinde entstanden. Ein Besuch.

Marthas Tisch ist das Möbelstück in der Mitte des Raumes. Es gehörte der Familie der Bäckersfrau, die hier jahrzehntelang hinter der Verkaufstheke stand und Brote, Kuchen und Brötchen feilbot. An Martha Krüger erinnert ihr Lebenslauf an der Wand, eingefasst sind das Schwarzweiß-Porträt und ihre Lebensdaten (1888 – 1972) in einem eleganten Rahmen aus dunklem Holz. Das Haus ist mittlerweile im Besitz ihres Urenkels. Marthas Tisch steht seit Jahresbeginn im gleichnamigen Laden im Erdgeschoss, einem Dritten Ort in Trägerschaft der evangelischen Kirchengemeinde Wittenberge – zugleich Café, Treffpunkt und Weltladen. Die Initiative kommt gut an, Passanten in der Wittenberger Innenstadt können Durchreisenden – zum Beispiel Radlern des Elberadwegs – den Weg zu dieser Oase weisen. Ende Januar hatte „Marthas Tisch“ eröffnet.

Begegnungsort im leeren Bäckerladen

Unser tägliches Brot, das gab es in den Räumen in der Wittenberger Bahnstraße 34 bereits vor einhundert Jahren. Ein Hinweis für die Suchmaschine: Gemeint ist nicht Martin Luthers Wirkungsstätte Wittenberg, sondern Wittenberge mit „e“, eine 17.000-Einwohner-Stadt in der Prignitz im äußersten Nordwesten Brandenburgs. Zwei Stunden sind es nach Berlin, zwei nach Hamburg. Ein nostalgischer Schriftzug über den beiden Schaufenstern verweist auf die Bäckerei A Punkt Krüger. So steht es in roten Buchstaben über dem grün verputzten Sims. Bäckermeister Albert Krüger war Marthas Ehemann. Die Namenspatin ist in guter Gesellschaft, denn Frauen haben das Projekt „Marthas Tisch“ initiiert.

Obwohl die Prignitzer Superintendentin Eva-Maria Menard sagt, es habe „mehrere Mütter und Väter“, waren es Mütter, die den Tisch deckten. Ruhestandspfarrerin Annette Flade, die 2016 von Potsdam in die Prignitz zog und im Weltladen ehrenamtlich mitarbeitete, war indes erstmal Enkeltochter: Als Kind saß sie in der Küche ihrer Oma an besagtem Marthas Tisch – manchmal sogar drauf. Flade hatte die persönlichste Beziehung zu dem neuen Begegnungsort. Sie war es, die ihn initiierte. In Mareike Sabl, Wittenberges Pfarrerin, fand sie ebenso eine Unterstützerin wie in der Superintendentin. Eva-Maria Menard ließ die Idee im geschützten Raum wachsen, half bei Förderanträgen und der Vernetzung: „Player von außen verwässern die Botschaft von Kirche keineswegs“, begründet sie. „Wir sind hier auf dem Land. Da geht es nur so. Da schottet man sich nicht ab.“ Was die Wittenberger begeistert beantworteten – und kistenweise Sammeltassen und nostalgische Sitzmöbel spendeten als klar war, dass die seit 2023 leerstehenden Gewerberäume wiederbelebt würden. 80 Prozent der Einrichtung hat die Macherinnen nichts gekostet.

„Player von außen verwässern die Botschaft von Kirche keineswegs.“

„Ermöglicherin“, den Ausdruck verwendet die Kirchenkreischefin, wenn sie auf ihre Rolle zu sprechen kommt. Heißt: Gemacht haben andere. Sie war die Verstärkung in der zweiten Reihe, die einsprang, „um die Idee größer zu denken, weil sie Substanz hatte“. Ermöglichen sei der Auftrag der mittleren kirchlichen Leitungsebene, wie ihn Menard inhaltlich auffasst. Größer gedacht hat sie „Marthas Tisch“ mit dem Team, mit Jörg Stoffregen vom Bundesnetzwerk Gemeinwesendiakonie als Berater und der Aktion Mensch als förderndem Partner, der eine Projektstelle für die Dauer von fünf Jahren finanziert.

Fairer Kaffee und mehr

Diese teilen sich Tina Vogel und Nadia Korol. Während Vogel ihren Dienst damit beschreibt, „den Raum zu betreuen“, steht die gebürtige Ukrainerin Korol im Weltladen. Den Raum betreuen, heißt das als Barista? „Auch, ja. Noch mehr geht es darum, für die Menschen da zu sein, die mit den unterschiedlichsten Geschichten kommen“, sagt Tina Vogel. Dass im Anschluss an die regelmäßige Internetsprechstunde für Seniorinnen und Senioren oder der gemeinsamen Kochaktion schwierige oder ernste persönliche Themen aufploppten, sei nicht ausgeschlossen. Vogel ist mal als Sozialarbeiterin, mal als Psychologin gefragt. Beides kann sie – und entlastet damit professionell die fünf ehrenamtlichen Helferinnen, wieder sind es Frauen, die für „Marthas“ stehen. Hat niemand unter den Gästen Redebedarf, serviert Tina Vogel fairen Kaffee aus dem Weltladen und beschränkt sich auf die Milch-Frage „Kuh oder Hafer“? Wer zum Lesen oder für ein Brettspiel an Marthas Tisch gekommen ist, darf auch sitzenbleiben, ohne etwas zu bestellen.

Die Bäckersfrau Martha Krüger stand Patin – fünf Frauen aus drei Generationen haben den Faden erfolgreich aufgenommen. Und wie sieht es mit der biblischen Martha aus? Hat „Marthas Tisch“ in der Prignitz auch etwas für das biblische Vorbild übrig, immerhin einer guten Gastgeberin? „Nein, nicht bewusst. Es ist kein sichtbar evangelischer Ort wie das Gemeindehaus“, vergleicht Tina Vogel. Gäste seien sowohl Menschen mit kirchlichem Hintergrund als auch ohne. Fünf Tage die Woche ist „Marthas Tisch“ geöffnet.

Dieser Artikel erschien zuerst beim Basecamp-Magazin.

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