Schon oft hat Sarah Vecera darüber gesprochen. Und sie wird nicht müde, es weiter zu tun. Es ist ihr Thema. Ihr Lebensthema. Sie ist als Kind eines Pakistaners und einer weißen Mutter bei ihren weißen Großeltern im Ruhrgebiet aufgewachsen. Sie lebt ein Leben zwischen den Welten bzw. in beiden Welten: in der privilegierten weißen Welt und – alleine aufgrund ihres Aussehens – in der schwarzen Welt. Sie studierte Theologie, obwohl sie – mangels Vorbildern – nicht wusste, dass sie auch Pfarrerin hätte werden können. In der Jugendarbeit sammelte sie erste Erfahrungen. Heute arbeitet sie als Referentin bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal. Rassismus und rassismuskritische Kirchen sind nun auch beruflich ein Thema für sie – mit steigendem Interesse. Immer wieder kommt sie in Kirchen und Gemeinden, sie sensibel für das Thema werden wollen. Die aber – oft – von sich selbst glauben, sie seien gar nicht betroffen. Eine:n Referent:in einzuladen ist schon mal ein erster Schritt und ein guter Anfang, findet auch Sarah Vecera, aber es geht beim Thema Rassismus um eine Haltung. Eine Haltung, die seit Jahrhunderten weitertransportiert wurde und die sowohl weißen als auch schwarzen Menschen angetan (!) wurde. Niemand hat sich ausgesucht wo und wie, von wem und in welchem Kontext er/sie geboren werden will und mit welchem Blick er/sie dadurch zwangsweise auf die Welt schaut. Es muss jedoch nicht so bleiben. Wahrzunehmen, dass die eigene Perspektive nur eine Deutungsmöglichkeit unter vielen ist, hilft schon enorm.
Die Geschichte des Rassismus
Die Geschichte des Rassismus in der Theologie ist lang. Bereits die Erfindung der Rassen, koloniales Denken, dass sich durch die Aufklärung hindurch in den Köpfen und Herzen der Menschheit manifestierte, eurozentrisches kontextuelles Denken, Forschen und Lehren sowie etliche Missionsbestrebungen – wir glauben ja immer noch, wir müssten die gute Botschaft nach Afrika bringen und den Menschen dort Kirchen bauen, obwohl eine der ältesten Kirchen der Welt in Äthiopien steht – stützten sich auf die gedanklichen Konstrukte, die ein Gefälle zwischen den Menschen befeuerten. Und auch heute geschieht so viel Gutgemeintes, das aber genau dieses Machtgefälle bestärkt. Der globale Norden, der den Menschen im globalen Süden hilft, ist dabei nur ein Narrativ. Ein anderes ist die Überzeugung, dass es in unseren Kirchen gar keine People of Colour gäbe, sodass eine Fokussierung auf diese vermeintliche Randgruppe sich gar nicht lohne. Auch das Nebeneinander von verschiedenen Gläubigen, indem wir interkulturellen Gemeinden Gemeindehäuser oder Kirchenschiffe zur Verfügung stellen, aber überhaupt keine Berührungspunkte miteinander haben, ist nicht besonders hilfreich für einen rassismussensiblen Umgang miteinander. Rassismus ist viel älter als 80 Jahre. Und er geht nicht nur von Nazis oder Anhängern eines bestimmten politischen Spektrums aus. Er betrifft uns alle. Auch wenn wir uns nicht damit befassen wollen. Auch wenn es wehtut. Auch wenn es nicht gewollt ist.
Der weiße Jesus
Die theologische Lehre an den Universitäten beschäftigt sich leider auch noch viel zu wenig damit, wie sehr das eurozentrische Denken unseren Kontext und unseren Blick auf Religion, auf Jesus und das Evangelium prägt. „Theologisch haben wir einfach einen großen Missstand in unserer Lehre. Wir lernen Theologie vornehmlich von weißen europäischen Männern. Und das ist ja nur eine Sichtweise. Die Welt, der Glaube und auch Gott sind so viel größer, als wir uns das oft vorstellen“, ist Sarah Vecera überzeugt. So ist es für viele tatsächlich überraschend, dass Jesus gar nicht so weiß war, wie wir ihn uns in Krippen, auf Bildern, in Bibeln vorstellen. Und genau darüber hat Sarah Vecera ein Buch geschrieben: „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ ist umfassender als ein Seminar oder ein Vortrag. Es zeigt die Geschichte des Rassismus, die Entfaltung rassistischer Strukturen in Kirchen. Es entlarvt die Norm, mit der wir über Gott reden, Theologie denken und Gemeinschaft leben. Sie ist keine Norm, lediglich eine Perspektive, ein kontextueller Gedanke, eine Handlungsoption.
Aber es macht auch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass gerade Kirche ein guter Ort für Veränderungen sein kann: „Wir müssen lernen, unsere eigene Sichtweise, die wir für normal halten, zu hinterfragen. Dafür ist es notwendig, auf die zu hören, die von Diskriminierung betroffen sind und ihre Perspektive nicht gleich infrage zu stellen, sondern ihnen die Deutungshoheit zu geben. Das ist ein großer Lernprozess; privilegierte Menschen haben ja gelernt, dass ihre Perspektive normal ist. Kirche kann ein guter Ort sein, an dem dieser Reflexionsprozess auch seelsorgerlich begleitet wird, denn sich damit auseinanderzusetzen ist ein hochemotionaler Akt“, erklärt Sarah Vecera. Um diesen Weg zu gehen, ist es absolut unumgänglich, sich zu öffnen. Für alle Menschen, die von irgendeiner Form von Diskriminierung betroffen sind. Für alle Menschen, die benachteiligt, außen vor gelassen oder herabgewürdigt werden. Vecera verweist in diesem Zusammenhang auf Jesus, der sich immer auf die Seite derer gesellt hat, die am Rand einer Gruppe oder gar Gesellschaft standen, die diskriminiert und ausgeschlossen wurden. Die Theologin betont aber auch, dass Jesus ihnen auf Augenhöhe begegnet ist. Eine Auseinandersetzung mit Menschen, die Rassismuserfahrungen erlitten haben, darf niemals so gestaltet werden, dass am Ende (wieder) auf der einen Seite die privilegierten Weißen stehen, die den diskriminierten Schwarzen helfen. Machtgefälle in Beziehungen müssen unbedingt vermieden werden.
Kirche als Safe Space
Gesellschaftlich verliert Kirche immer weiter an Relevanz. Die Themen, der Habitus, die Gebäude, die Strukturen – vieles davon hat mit dem Leben der Menschen, die sie eigentlich erreichen will, nichts zu tun. Dabei wäre es absolut dran, sich mit Rassismus in Kirche auseinanderzusetzen und es nicht als ein weiteres, vermeintlich lästiges Thema abzutun, für das keine Ressourcen zur Verfügung stehen. „Allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen muss Kirche sich in einer Gesellschaft, in der 42 % aller Kinder Migrationsgeschichte haben, sehr, sehr dringend mit diesem Thema auseinandersetzen. Sonst verliert Kirche weiter an Relevanz. Wenn diese Generation von Kindern sich in unserer Kirche nicht sicherfühlt, aufgrund von unaufgearbeitetem Rassismus, dann können wir den Laden in 50 Jahren schließen“, ist sich Vecera sicher. Ihr Traum von Kirche sieht daher aus so aus:
„Eine Kirche, die Faszination und Spaß an Antirassismus hat. Eine Kirche, in der Antirassismus nicht als Schuldzuweisung empfunden wird, sondern als Chance. Eine Kirche, in der auf Menschen gehört wird und denen eine Deutungshoheit zugeschrieben wird, die negativ von jeglicher Diskriminierungsform betroffen sind. Eine Kirche, in der wir behinderten Menschen zuhören, in der wir schwarzen Menschen zuhören, in der wir queeren Menschen zuhören und ihre Sichtweisen annehmen, ohne gleich ein Aber dahinter zu setzen. Eine Kirche, in der wir uns nah sein können, in der wir uns begegnen, in der wir uns als Leib Christi verstehen.“
In ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“, erschienen im Pattloch Verlag (2022), will die Theologin Sarah Vecera ermutigen, eine Kirche zu gestalten, in der sich alle willkommen und angenommen fühlen.