Wenn man merkt, dass es so, wie es ist, nicht weiter geht, wenn der Erhalt des Status Quo so viele Ressourcen benötigt, dass kein Raum für Innovation vorhanden ist, spätestens dann, ist es Zeit, darüber nachzudenken, wie man Veränderung (wieder neu) leben könnte.
Dabei ist es jedoch nicht damit getan, das Alte zu bekämpfen, dagegen zu schimpfen und wettern und all diejenigen zu brüskieren, die an dem Festhalten, was gerade ist, sondern sich auf das Neue, das Innovative, die Transformation zu fokussieren – in dem Wissen, dass Innovation auch immer mit Exnovation einhergehen sollte. Dafür braucht es Menschen, die mit einem – im besten Fall -ungetrübten Blick auf die zu transformierenden Institution blicken. Die Potenzial sehen und Chancen erkennen. Und die den Mut haben, den Wandel anzugehen. Die sprachfähig sind, den Veränderungsprozess zu erklären. Die empathisch genug sind, den Wandel zu begleiten. Die Lust auf neue Formen, eine neue Haltung haben. Die taff genug sind, Dinge zu erproben. Die souverän genug sind, das Gute auch im Scheitern zu finden. Und die einfach auch Bock drauf haben.
Doch wo findet man diese Menschen, die Kirche als Institution gerade so dringend benötigt? Für viele, die noch am Anfang ihres beruflichen Werdegangs stehen oder die nach einigen Jahren in einem bestimmten Berufsfeld einen (persönlichen) Neuanfang suchen, ist der Weg in eine Aus-, Fort- Weiterbildung oder in ein Studium eine gute Möglichkeit, sich für das zu wappnen, was auf sie zukommt.
Aus-, Fort-, Weiterbildungen gibt es viele. Und es werden immer mehr. Weil es scheinbar nicht mehr reicht, „nur“ noch Theologen auszubilden, die zwar super Gottesdienste feiern und Menschen seelsorgerlich durch die verschiedenen Lebensstationen begleiten können, die aber weder Zeit noch ausreichendes Wissen über Strukturveränderungsprozesse mitbringen. Weil es scheinbar nicht mehr reicht, „nur“ noch die Dinge anzugehen, die eben schon da sind und diese von gut ausgebildeten Diakon:innen, Gemeindepädagog:innen oder Gemeindereferent:innen ausführen zu lassen. Weil es scheinbar nicht mehr reicht, „nur“ noch das zu machen, was gerade eben so getan werden muss.
Verschiedene Hochschulen bieten Pionier:innen, die an Kirchenentwicklung, christlich orientierter Sozialraumgestaltung und Transformationsprozessen interessiert sind, Möglichkeiten, sich in diesen Themenfeldern für Berufsfelder in Kirche und Diakonie ausbilden zu lassen.
CVJM-Hochschule in Kassel
Die CVJM-Hochschule in Kassel bietet seit September 2017 eine Weiterbildung für Pionier:innen an. Für Menschen, „die eine heilige Unruhe in sich spüren, wenn es darum geht, das Reich Gottes, Kirche und Gesellschaft zusammen zu denken und aktiv zu werden.“ Genau diesen Menschen will die Weiterbildung Handwerkszeug mit auf den Weg geben, mittels dessen sie Kirche, Mission und Gesellschaft gänzlich neu denken und verändern können. Inhaltliche Schwerpunkte sind u.a. die Missio Dei, Kontextanalyse und Milieusensibilität, Strategieentwicklung und Entrepreneurship, Konfliktmanagement, Teamführung sowie Kenntnis über Fresh X und andere kirchliche Erneuerungsbewegungen. Ebenso ist die Entwicklung eines eigenen Praxisprojekts Gegenstand der Weiterbildung. Besonders an der Langzeitweiterbildung, die über 1,5 Jahre in verschiedenen Präsenz- und Onlinephasen unterteilt ist, ist die Lerngemeinschaft, die von den unterschiedlichen geistlichen Hintergründen und beruflichen Tätigkeiten der Teilnehmenden geprägt ist. Die Fortbildung kostet 2159 Euro, exklusive Unterbringung und Verpflegung während der Präsenzwochen und wird von einer Vielzahl an Kooperationspartnern (Wertestarter, Fresh X Netzwerk, Evangelische Kirche im Rheinland, den Baptisten sowie dem Institut für Kinder- und Jugendpastoral im Erzbistum Köln, religio altenberg) mitgetragen. Weitere Infos und Anmeldemöglichkeiten gibt es auf der Internetseite der Weiterbildung an der CVJM-Hochschule.
Evangelische Hochschule Tabor / TSB
Am TSB, dem Theologischen Studienzentrum Berlin (TBS), kann man – in Kooperation mit der Evangelischen Hochschule Tabor – einen Bachelor in Theologie, Sozialraum und Innovation machen. Das Studienangebot richtet sich vor allem an potentielle Gemeindegründer:innen, Gemeindeentwickler:innen, Leiter:innen einer Fresh X oder Menschen, die in der Sozialarbeit innovativ arbeiten wollen. Man kann es entweder dual – mit einer festen Praxisstelle bei einem der Projektpartner während der Zeit des Studiums – oder in Präsenz mit vielen Exkursionen und Praktika in einer Regelstudienzeit von acht Semestern studieren. Sowohl theologische Sachverhalte, wie Exegese, Intertextualität oder die Messiasexegese als auch Themen wie Mitarbeitendenführung, Gemeindegründung, Spiritualität und Seelsorge werden den Studierenden, neben vielen praxisorientierten Modulen und Einheiten sowie Sozialraumbezogenen Themen (Interkulturalität oder gesellschaftswissenschaftliche Grundlagen) und Innovationsmethoden wie soziale Innovation und Social bzw. kirchliches Entrepreneurship oder Innovationsmanagement angeboten. Das Studium kostet 390 € pro Monat Studiengebühren und kann von jeder:m aufgenommen werden, die:der über die allgemeinen Studiengangsvoraussetzungen verfügt.
Universität Jena
Ganz neu ist an der Friedrich-Schiller-Universität Jena an der evangelischen Fakultät der Master-Studiengang „Pioneer Ministry“. Dieser bislang in Deutschland einzigartige Studiengang, der an Konzepte aus dem europäischen Ausland angelehnt ist, soll Studierende befähigen, „das Evangelium jenseits bestehender Gemeindestrukturen und traditioneller kirchlicher Milieus zu kommunizieren und neue Wege zu finden, christliche Gemeinschaft zu leben.“ Das Studium ist dabei interdisziplinär, stark praxisbezogen, ökumenisch und kooperativ aufgesetzt. In vier Fachsemestern lernen die Studierenden zum Beispiel ethisch und theologische Kompetenzen, interdisziplinäre und religionspädagogische Perspektiven, eine Persönlichkeitsbildung sowie Kenntnisse in Kybernetik und sozialraumadäquater Kommunikation. Aufgenommen werden kann das Studium zu jedem Wintersemester und kostet 272,80€ Semestergebühren. „Die Studierenden werden nicht nur für eine Beschäftigung im Dienst der Landeskirchen qualifiziert, sondern zu Entrepreneuren ausgebildet und somit befähigt, eigene Startups zu gründen, die dem gesellschaftlichen und sozialen Gefüge vor Ort neue Impulse geben und Menschen sozial-praktisch unterstützen.“ Die ersten Studierenden haben im Wintersemester 2023 ihr Studium aufgenommen.
Der Weg zum Ziel durch (Weiter)Bildung?
Es scheint gesetzt zu sein, dass Kirche, wenn sie sich weiterentwickeln will, auf Entrepreneure setzen muss. Auf Pionier:innen, die den Mut haben, Bestehendes zu hinterfragen, Neues zu entdecken und Ungewohntes zu etablieren. Doch wie wichtig ist es, dass eine Weiterbildung oder gar ein Studium dafür den Grundstein legen? Was ist mit den vielen Ehrenamtlichen, die eine gute Idee haben und Raum suchen, diese umzusetzen? Einige von ihnen wird man mit einem Studium – und sei es noch so praxisbezogen und interdisziplinär konzipiert – begeistern. Manchmal ist es wichtiger, Dinge zu beginnen, den Schwung des Anfangs und den Enthusiasmus zu nutzen und ihn nicht gleich wieder in Strukturen, Systeme und Pläne zu ersticken. Gleichzeitig braucht es eine Befähigung, Empowerment für die Menschen, die den Mut haben, in Kirche noch etwas verändern zu wollen. Eine Spannung, die es wohl auszuhalten gilt.