inspiriert

Die Mission bleibt – Formen ändern sich

03. Februar

1968 waren 96% der Westdeutschen katholisch oder evangelisch. Die Welt heute ist eine völlig andere. Dass dennoch knapp 50% der Kirche die Treue halten, ist Grund zur Freude. Aber ich bin überzeugt: Wir werden schon bald eine beispiellose Erosion der volkskirchlichen Bindung erleben – nicht in den vergleichsweise stabilen kirchlichen Kernmilieus, aber an den Rändern, in den postmodernen Milieus. Zwischen ihrem Lebensstil und dem oft vereinsmäßig anmutenden Angebot vieler Kirchengemeinden gibt es schlicht zu wenige Berührungspunkte. Es fehlt an Relevanz.

Eine persönliche Entscheidung

Der Glaube wird zu einer Sache persönlicher Entscheidung. Der katholische Theologe Karl Rahner prognostizierte bereits 1966: „In Zukunft wird der Christ ein Mystiker sein; jemand, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Nach wie vor kann der Glaube Attraktivität entfalten, wenn Menschen dem Evangelium überraschend in ihrer eigenen Lebenswelt begegnen und sie Gott jenseits von ‚Kirchlichkeit‘ erfahren. Die Kommunikation des Evangeliums hat sich mehr auf die Ebene persönlicher Beziehungen verlagert. Auch die Frage, wie jemand Christ werden kann, rückt stärker ins Zentrum missionarischen Handelns.

Kleine Kirchen-Communities

Je mehr sich die Kirche von ihrer staatsanalogen Struktur löst, desto mehr beginnt die Situation den Anfängen des Christentums zu ähneln. Bis ins 4. Jahrhundert hinein waren christliche Gemeinden Hauskirchen; eine öffentlich nicht sichtbare Minderheit. Gottesdienste wurden in privaten Räumen gefeiert. Persönliche Beziehungen ermöglichten Zugang. Der Glaube wurde attraktiv in den sozialen Netzwerken der Gemeindeglieder. Auch heute wächst Kirche besonders dort, wo wir in sozialen Netzwerken präsent sind – nicht als Institution, sondern als kleine Communities Einzelner, die Evangelium in dem Kontext leben, in den Gott sie hineingestellt hat. Und diese Communities schaffen sich ihre eigenen Räume und Formen, mit ihrer je eigenen Ästhetik.

Ausdifferenzierung kirchlicher Orte

Der fortschreitenden Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft entspricht eine größere ekklesiale Vielfalt aus Parochien und neuen Ausdrucks- und Sozialformen des Glaubens, gestaltet als gleichberechtigtes Miteinander. Schon im Neuen Testament sind die verschiedenen „kirchlichen Orte“ sichtbar. Die Evangelien enthalten mehr Geschichten, in denen Jesus die gute Nachricht nicht im Tempel, sondern woanders weitergab: Am Brunnen, am Seeufer, am Lagerfeuer, einmal sogar in einem Haus, dessen Dach währenddessen abgedeckt wurde. Jesus war als Wanderprediger unterwegs und kam daher leicht mit den Lebenswelten der Menschen in Berührung. 

Neues Mindset, neuer Weg

Sein Wirken vollzog sich mitten im Leben, ohne dass ihm ein religiös geprägter Raum unterstützend zur Verfügung stand. Dieses ‚Mindset‘ prägte auch die ersten Christinnen und Christen. Der Volksmund nannte sie „Leute des neuen Weges“. Sie waren beweglich – innerlich wie äußerlich. Ohne Ballast. Mission im Jahr 2022 heißt, so agil zu sein wie Jesus und die ersten Christinnen und Christen. An nicht-kirchlichen Orten Evangelium zu leben, wie immer das dann auch konkret aussehen mag. Das kann man nicht am Reißbrett planen, sondern muss es einfach machen und situativ gestalten.

AMD-Generalsekretär und Referent für missionarische Kirchenentwicklung bei mi-di.de