inspiriert

In Verbundenheit leben und glauben

Donnerstag

Den lieben Gott gibt es nicht. Davon ist Jan Frerichs überzeugt. Der ehemalige Ordensbruder der Franziskaner erlebte bei seiner spirituellen Suche Gott stattdessen von einer ganz anderen Seite: als wilden Gott. Als Schöpfergott in der wilden Natur. Ehrfurcht einflößend, zum Abenteuer einladend, als etwas, mit dem sich die wilde Seite der Seele verbinden will, um zur Entfaltung kommen zu können. Um anderen auf ihrer spirituellen Suche zu begleiten, gründete er 2012 barfuß+wild.

Wie hast du diesen Weg zu einer geerdeten, wie du es beschreibst, und zugleich wilden Spiritualität gefunden?

Jan Frerichs: Das war ein langer Weg mit vielen Kurven. Meine Prägung ist franziskanisch – ich war fünf Jahre Franziskanerbruder. Danach bin ich ausgetreten und habe mich von Kirche und Spiritualität distanziert. Erst in einer persönlichen Krise stellte ich mir die Frage, wie das alles zusammenhängt. Was bedeutet diese Vergangenheit für mein Leben? Und so bin ich über die Männerinitiation von Richard Rohr zur Visionssuche gekommen und habe eine Spiritualität gefunden, die wirklich im Leben und in der Welt, sprich, in der Schöpfung, verankert ist, die sich entfaltet und in den Übergängen des Lebens wikrt, in unseren Erfahrungen – nicht in Dogmen.

Jan Frerichs dort, wo er am liebsten ist. Draußen. (Bild: Joschka Link)

Was ist der Kern dieser Spiritualität für dich?

Das sind vor allem drei Dinge. Erstens: Draußen sein – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Die wesentlichen Erfahrungen in der franziskanischen Tradition fanden außerhalb der Stadtmauern statt. Diese Spiritualität fordert heraus, indem sie uns aus den Komfortzonen ruft. Das gilt auch kirchlich institutionell. Zweitens: Die Schöpfung als erste Bibel – Vor der geschriebenen Heiligen Schrift ist die Natur für mich der vorzügliche Ort der Gottesbegegnung. Wer die Zeichen der Schöpfung zu lesen lernt, entdeckt eine tiefe, universelle Spiritualität – und versteht die zweite Bibel besser, würde ich sagen. Als dritter Punkt ist mir wichtig, nichts und niemanden auszuschließen. Diese franziskanische Sichtweise bedeutet für mich, dass jede und jeder und alles Teil des großen Ganzen ist. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern um Verbundenheit.

Wie drückt sich das konkret im Alltag aus?

Es geht darum, den Alltag selbst als spirituelle Praxis zu verstehen. Diese Spiritualität ist keine Theorie oder eine bestimmte Technik, sondern eine Lebensweise, die mit Stille, Achtsamkeit und gelebter Erfahrung zu tun hat. Es bedeutet auch, die eigenen Grenzen zu spüren und gleichzeitig die Verbindung zu allem Lebendigen wahrzunehmen.

Was war der Beweggrund, die Plattform und die Angebote von barfuß+wild zu gründen?

Es gab zwei zentrale Erfahrungen: Zum einen meine eigene Suche nach einer Spiritualität, die nicht in Dogmen stecken bleibt, sondern von der (persönlichen und kollektiven) Erfahrung ausgeht und auf diese Weise lebendig ist (und auch Dogmen wieder lebendig sein lässt). Zum anderen die Begegnung mit vielen Menschen, die ähnliche Fragen stellten. Ich habe gemerkt, dass es einen Raum braucht, in dem Menschen in Übergängen begleitet werden. Ich wollte Erfahrungsräume schaffen – mit Impulsen, Eintauchen in die Natur, mit dem Erleben von Gemeinschaft –, damit Menschen ihren eigenen, authentischen Weg entdecken können.

Wer ist deine Zielgruppe?

Menschen in Lebensübergängen, die nach Tiefe, Sinn und Authentizität suchen. Oft sind es Menschen, die beruflich in sozialen, künstlerischen oder pädagogischen Feldern tätig sind. Sie stehen an Schwellenmomenten – sei es eine berufliche Neuorientierung, eine Krankheit, eine Trennung oder einfach das Gefühl, dass das Leben einen neuen Ruf an sie stellt. Meistens haben sie schon vieles ausprobiert – Bücher, Workshops – suchen aber nach etwas, das tiefer geht und wirklich transformierend wirkt.

Warum bist du Mitglied im Fresh X-Netzwerk geworden? Was erhoffst du dir davon? Und was kannst du mit einbringen? Was können die anderen Mitglieder von dir lernen?

Ich sehe in Fresh X eine Bewegung, die Raum für neue Formen von Kirche schafft – abseits von traditionellen Institutionen und Strukturen. Für mich ist das spannend, weil ich erlebe, dass Menschen nach spirituellen Räumen suchen, aber oft keinen Zugang mehr zur klassischen Kirche finden. Ich hoffe, dass wir gemeinsam lernen können, wie neue Formen von Spiritualität entstehen können, die frei und zugleich tief verwurzelt sind.

Mein Beitrag ist vor allem die Erfahrung mit Naturspiritualität und Übergangsritualen. Ich bringe das Wissen um die Kraft solcher bewusst gestalteter und erlebter Schwellenzeiten mit – und wie man Menschen durch diese Zeiten begleitet. Vielleicht kann ich andere inspirieren, Kirche nicht als Gebäude oder Institution zu denken, sondern auch als Erfahrungsraum, der auch in der Natur oder eben auch einfach im Alltag lebendig wird.


Infos und Material:

Website von barfuß+wild: https://www.barfuss-und-wild.de/

In „barfuß & wild. Wege zu eigenen Spiritualität“ beschriebt Jan Frerichs, was Spiritualität für ihn bedeutet, wie man sie in den Alltag einbettet und wie man Übergänge gestalten kann – so wie die Natur auch von Übergängen durchdrungen ist. Erschienen im Patmos Verlag, 20,00 €.

Viele Menschen fühlen sich in der institutionellen Kirche nicht mehr zu Hause. Die meisten von ihnen suchen nach anderen Formen und Orten, um ihr Leben in Beziehung zum Göttlichen zu setzen. Selbst suchend, hat Jan Frerichs die Wilde Kirche wiederentdeckt – draußen, in der Natur. „Wilde Kirche. Wie wir uns unsere spirituelle Heimat zurückholen“ ist ebenfalls bei Patmos Verlag erschienen und kostet 20,00 €.

Autorin, Lektorin, Redakteurin von Beruf. Im Fresh X-Netzwerk und an der CVJM-Hochschule. Mitarbeitende, Mitdenkende, Mitgestaltende in Kirche. Suchende, Sehnende, Scheiternde, Fragende, Findende, Fordernde im Privaten.