“Jede Jugendkirche ist anders.”
Es ist schwer, einen Artikel über die Jugendarbeit in Deutschland – und dann auch noch unter Fresh X-Bedingungen – zu schreiben. Zu individuell, zu kontextuell, sind die Ideen und Umsetzungen der einzelnen Angebote für Jugendliche und Teens vor Ort.
Ist in manchen Kirchen der Konfiunterricht die bestehende Arbeit mit Jugendlichen vor Ort, besteht in anderen die Aufgabe des Pfarrers – einen Jugendreferenten oder Jugenddiakon gibt es schon gar nicht mehr – darin, die persönliche Beziehung zu der Handvoll Jugendlichen, die noch im Dunstkreis der Kirchengemeinde existieren, irgendwie am Leben zu halten und bestenfalls zu pflegen. Durch persönliche Treffen und Gespräche – beinahe wie in der Arbeit des Besuchsdienstes. Andernorts hat man sich im Kirchenkreis zusammengetan und arbeitet kooperativ und projektweise oder hat die Aufgaben institutionell bei einem Jugendreferat des Gesamt-Kirchenkreises abgegeben. Mancherorts findet ein klassisches Angebot am späten Nachmittag/frühen Abend statt. Und dann gibt es noch die Orte, an denen Teens und Jugendliche Kirche gestalten: als Raum einer etablierten parochialen Struktur, als sozial-diakonisches Arbeitsfeld, als eigene Jugendkirche, als Teil eines CVJM-, EC-, FeG-, GJW- oder KJU-Werks.
Die meisten Menschen geraten regelrecht ins Schwärmen, wenn man sie zu den Anfängen ihres Glaubens und ihrer Geschichte mit Kirche befragt: Die Jugendarbeit, Ten-Sing, Freizeiten, Indiaka-Trainingscamps, Jungschar, Teentreff, offene Jugendarbeit, Mitarbeiterschulungen, Jugendgottesdienste und erste eigene Schritte in der verantwortlichen Leiterschaft werden als besonders wertvoll und prägend genannt.
Erlebnisse und Events. Glaube in Gemeinschaft. Verantwortung und Veränderung.
Jugendarbeit im Wandel
Doch im Vergleich zu früher hat ein Wandel stattgefunden. Verbindliche wöchentliche Angebote scheinen nicht mehr zu funktionieren. Die “Jugend von heute” ist entweder schulisch eingebunden oder geht sportlichen oder musischen Hobbys nach. Zeit für Gemeinschaft, einfach sein, ohne, dass man etwas lernt, trainiert, übt oder entwickelt und anschließend präsentiert, gibt es nur noch selten. Kirche hat den Anschluss an die Jugend, an ihre Bedürfnisse, an ihre Wünsche, Sehnsüchte und Nöte verloren, heißt es dann schulterzuckend. Self fulfilling prophecy. Bis auf einzelne Ausnahmen. Leuchtturmprojekte. Jugendkirchen, die mithilfe von jungen Ehrenamtlichen aufgebaut und am Laufen gehalten werden. Mehrere Treffen und Aktionen pro Woche. Gemeinschaft. Austausch. Nähe. Jugendreferenten, Jugendpastoren oder Jugenddiakone, die nicht noch nebenbei Beerdigungen oder Trauungen halten oder in Gremien und Ausschüssen über Haushaltsgelder und Liegenschaften diskutieren. Verbindlichkeit und Beziehung. Auf beiden Seiten. Menschen, die gemeinsam unterwegs sind und Bock haben, etwas zu gestalten.
Jugendkirchen als Zukunftsmodell?
Auf Instagram sind unter dem Stichwort “Jugendkirche” fast 60 Accounts gelistet – und die Liste ist definitiv unvollständig, da Gottesdienstformate für junge Menschen oder Jugendkirchen, die nicht das Wort “Jugendkirche” im Namen tragen, nicht mit aufgeführt sind. Da geht was. Wie zum Beispiel in Hamm (EkvW). In der dortigen Jugendkirche gibt es Pfarrerin Katrin Berger als Jugendkirchenpfarrerin und zusätzlich einen Kirchenmusiker, eine Gemeindepädagogin und einen Küster. Viel Ressourcen für so eine kleine Stadt wie Hamm. Aber durch die Zusammenarbeit im Kirchenkreis und mit der Stadt ist vor über 15 Jahren ein lebendiger Austausch entstanden – der auch Corona überdauert hat. Laut Katrin Berger ist es wichtig, nicht nach einer Blaupause zu gucken, kein Modell “Jugendkirche” zu entwickeln, das allerorts adaptiert werden kann. “Jede Jugendkirche ist anders”, betont sie. Und so sollte folgerichtig der Fokus darauf liegen, was vor Ort wirklich benötigt wird, welche Leute Lust hätten mitzumachen und dass man das dann etwas gemeinsam gestaltet. “Wir sind die Kirche der evangelischen Jugend. Wir machen ganz viel Konfi- und Schularbeit. Wir sind ein bisschen interreligiös aufgestellt und ein bisschen Kultur machen wir auch”, beschrieb sie die Arbeit einst im Frischetheke-Podcast. Auch wenn sie in Hamm, wie sie selbst zugibt, ressourcenmäßig gut aufgestellt sind, ist es ihr wichtig, dass die Jugendlichen dort selbst Kirche gestalten dürfen und sollen. Das Team macht Angebote, ermöglicht Raum zum Ausprobieren.
Ähnlich ist es bei der Jugendkirche Choy (church of youth) im Gäu in Baden-Württemberg. Einmal im Monat gibt es sonntags einen Gottesdienst, wöchentlich Treffen in der Kleingruppe. Daneben kreative Angebote, eine erstaunlich professionelle Social-Media-Arbeit sowie ein eigenes Schulungsprogramm für angehende Mitarbeitenden.
Auch die evangelisch-methodistische Kirche betreibt in Karlsruhe eine eigene Jugendkirche. Espirito heißt sie. Neben dem klassischen Jugendkirchenprogramm inkl. Konfiarbeit, Schulsozialarbeit, Jugendgottesdiensten und Kleingruppenangeboten, wird in den Räumlichkeiten ein Jugendzentrum (der Bethanien Jugendzentren) betrieben. Hier finden täglich an den Nachmittagen wechselnde Angebote statt; man kann aber auch einfach zum Billard spielen, zocken, snacken und quatschen vorbeikommen.
Nah dran an den Fragen der Jugendlichen will auch LUX – die junge Kirche in Nürnberg sein. 2009 sind sie mit einer Vision von Kirche gestartet, die sich technisch und auch atmosphärisch von einer verfassten Kirche unterscheidet. Ein großes Team aus jungen Ehrenamtlichen und einer hauptamtlich angestellten Jugendreferentin sowie einer Kulturreferentin feiern nicht nur Gottesdienste, betreiben ein Café und bieten Kreativworkshops an, sie arbeiten auch mit Schulen im Umkreis zusammen und ermöglichen Potenzial-Workshops und Talentschmieden für junge Menschen an, die noch unsicher sind, was sie dem Leben und der Gemeinschaft eigentlich zu bieten haben und wie ihr Lebensweg aussehen könnte. Gemeinsam will man sich auf den Weg machen, Glauben erproben und leben, Gemeinschaft feiern und Gesellschaft und Kirche gestalten.
Kooperation in der Jugendarbeit
Es scheint, dass Jugendarbeit dann funktioniert – vielleicht sogar Ressourcen für eine eigene Form von Kirche ermöglicht – wenn nicht nur im klassischen Jugendarbeitsformat, im klassischen Gottesdienstformat gedacht wird. Die Integration von Kulturarbeit und Social Impact ermöglicht mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Kirche muss also, damit junge Leute sich ihr zugehörig fühlen, mit anderen Playern in der Stadt, im Kiez, im Dorf oder Kreis zusammenarbeiten. Kultur, Schulsozialarbeit, Sport. Soziale Teilhabe, Integration, Inklusion. Es geht nur gemeinsam. Über den eignen Kirchturm hinweg gedacht. Im Leben der Teens und Jugendlichen andock- und verankerbar.