inspiriert

Leben und Glaube auf Augenhöhe

05. August

Tobias Faix ist Professor für Praktische Theologie und Studiengangsleiter des Masters Transformationsstudie an der CVJM-Hochschule in Kassel, vielleicht sowas wie „the godfather of transformation“ im deutschsprachigen Raum. Genau deshalb haben Rolf und Katharina mit ihm Frischetheke-Podcast über Transformation gesprochen und ihn gefragt, wie Veränderung geschehen kann.

Katharina: Wer ist eigentlich Tobias Faix und warum spielt Transformation in seinem Leben eine große Rolle?

Tobias Faix: Also, ich bin Ehemann, Vater, von Beruf Theologe, liebe Bücher und bin als Hobby-Fußballfan dem HSV verbunden. Ich habe in Südafrika studiert und promoviert und habe dort vor 15 Jahren ein Wort kennengelernt habe, dass damals in Deutschland noch gar keine Rolle spielte: „transformation“. Das war dort eine Art Querschnittsthema über die Disziplinen. Wenn zum Beispiel in Pretoria ein neuer Stadtteil geplant wird, gibt es einen „transformation process“, bei dem verschiedene Stakeholder dabei sind. Das, was mich so fasziniert hat, war, dass Pastorinnen und Pastoren, Theologinnen und Theologen mit dabei waren – neben Stadtplanerinnen und Stadtplanern. Transformation ist also nicht nur etwas Analytisches, wie wir das hier vielleicht aus der Politik oder Soziologie kennen, wo Transformationsprozesse beobachtet und analysiert werden, sondern das ist etwas, das zielorientiert und aktiv eingreift in die Gesellschaft. Das fand ich total spannend und dachte auch: Was ist eigentlich von uns Christinnen und Christen der Auftrag? Ist es nicht sozusagen ein Stück Reich Gottes, dass da abgebildet wird, dass sich über alle Gesellschaftsbereiche und Milieus ausbreitet? Das hat mich damals total geflasht und meinen Glauben, meine Theologie, verändert.

Wer mich kennt, weiß, ich bin begeisterungsfähig und versuche gerne, Dinge umzusetzen. Damals habe ich beim Marburger Bibelseminar gearbeitet und da hatten wir die Idee, dass wir das auch bei uns machen könnten. Wir haben mit UNISA, der Universität in Südafrika, einen Vertrag gemacht, dass wir in Kooperation mit denen von ihnen lernen, wie sie das machen und das für uns in Deutschland kontextualisieren und ein Masterprogramm machen. So kam Transformation in mein Leben.

Rolf: Das heißt, du hast den Begriff Transformation zum ersten Mal im gesellschaftlichen Kontext gehört und da waren eben auch Christen mit dabei.

Tobias: Ja, an den Transformationsprozessen, die ich in Südafrika kennengelernt habe, waren ganz unterschiedliche soziale, städtische und kirchliche Akteure beteiligt. Das ist eher eine Art Gemeinschaftswerk.

Katharina: Du hast gerade auch gesagt, dass das deinen Glauben auch verändert hat. Wo hat dich das hinterfragt oder verändert? Und wie war der Prozess? Angenehm? Nicht so angenehm?

Tobias: Nicht so angenehm war direkt der erste Test in Südafrika; da bin ich nämlich durchgefallen. Ich kam mit meiner ganzen angelernten, pietistischen, stark westlich geprägten Theologie, die aber zu einseitig, zu theoretisch, zu dogmatisch war. Für die Südafrikaner ist es total wichtig, dass jede theologische Aussage auch eine Relevanz in der Praxis hat. Und jede geistliche Aussage muss ein Äquivalent in der Theologie haben. Es ist eine ganz starke Verquickung zwischen geistlichen Aussagen und geistlichem Leben und theologischer Reflexion. Das hatte ich nicht drauf, muss ich ganz ehrlich sagen. Da habe ich auch eine zusätzliche Bedeutung des Kreuzes kennengelernt: Dass Jesus solidarisch auch für die Entrechteten und Armen stellvertretend ans Kreuz gegangen ist. Dass er das Leid der Leute miterlebt hat und mit ihnen teilt. Und das kannte ich überhaupt nicht, das war völlig neu für mich und hat in diesem Kontext auch noch mal eine ganz andere, intensive Bedeutung gehabt, eine Alltagsrelevanz.

Katharina: Wenn du jetzt über Transformationen im deutschen Kontext redest und das an deinen Erfahrungen festmachst, wo müssten wir deiner Meinung nach hier ran?

Tobias: Ein theologisches Stichwort der Transformation ist mit Sicherheit „Kontextualisierung“. Also wie kann eine Botschaft kontextualisiert werden in verschiedene Milieus oder Kulturen, verschiedene Sprachbereiche und so weiter. In Südafrika ist das sozusagen der Motor des Ganzen. Ohne Kontextualisierung gibt’s gar nichts. Kirche bei uns ist per se die sendende Organisation und dann gibt es, je nach Frömmigkeitsstil, eine Empfängerin oder einen Empfänger. Und ich würde sagen, dazwischen liegt eben dieser Kontextualisierungsprozess, das Aufeinanderzugehen, das voneinander Lernen. Es ist dialogisch. Es ist eine Haltungssache: Ich brauche eine gewisse Haltung oder Kultur, um auf Augenhöhe den anderen zu verstehen, damit ich weiß, was ich sagen möchte, damit ich sprachfähig werde. Und das funktioniert nur auf Augenhöhe.

Rolf: Wird die Botschaft dadurch am Ende nicht verwässert oder verändert?

Tobias: Ich würde da mit einem klaren Jein antworten. Ja, sie wird verändert. Nein, sie wird nicht verwässert. Wenn wir davon ausgehen, dass alles, was wir sind, immer kulturell ist, also unsere Sprache ist ein kultureller Code, unser Aussehen, wie wir uns kleiden, wie wir denken, unser Weltbild, Werte, die uns bestimmen – all das ist eine kulturelle Prägung. Und jedes Aussprechen des Evangeliums, der guten Nachricht, können wir ja nur in einer bestimmten Sprache, mit einer bestimmten Deutung, mit einer bestimmten Symbolik. Das ist aber auch immer Teil des Evangeliums. The medium is the message. Wir können das gar nicht voneinander trennen. Das war schon immer so. Mose hat die Zehn Gebote ja auch nicht als E-Mail bekommen. Natürlich hätte Gott das damals in seiner Allmacht machen können, es waren aber Steintafeln. Warum? Weil Steintafeln der kulturelle Ausdruck, der kulturelle Code der damaligen Zeit war. Und das beste Beispiel ist Jesus selbst. Gott hat sich inkarniert in diese Welt und hat sich komplett kulturell angeglichen an alles. Ist deshalb Gott verändert worden? Ja. Ist er verwässert worden? Nein. Er ist 100% Kultur und 100% Gott, er ist 100% Mensch und 100% Gott geblieben. Wenn wir auf die Geschichte schauen, ist zu beobachten, dass es einen ständigen Veränderungsprozess gab, auf der anderen Seite sich aber auch immer etwas herauskristallisiert hat, was die gute Nachricht kraftvoll macht. Das ist die Aufgabe des Heiligen Geistes, das schafft der Geist Gottes durch die jeweilige Kultur und das jeweilige Verständnis. Wenn wir einen Kern haben, dann ist es der Geist Gottes.

Katharina: Woher kann ich dann wissen, ob das, was ich gerade erlebe oder verkündige, die gute Nachricht ist?

Tobias: Frag die, die sie hören. Wenn die sagen, dass es keine ist, dann scheint es keine zu sein. Eine gute Nachricht muss ja auch eine gute sein. Natürlich leben wir nicht nur aus dem, was wir heute wissen. Wir leben auch aus einer gewissen Tradition, aus einer gewissen Erfahrung. Wir haben 2000 Jahre Kirchengeschichte, wir haben verschiedene Bibelübersetzungen, wir haben verschiedene Konfessionen – und auch da kann ich ja was lernen. Und da kann ich schon sehen, auch was hat sich bewährt, was hat sich nicht bewährt? Was hat sich als gut herauskristallisiert? Wir können das ja auch in einer globalisierten Welt auch lernen von anderen Kulturen: Was ist denn in einer eher schamorientiert geprägten Kultur eine gute Nachricht? Was ist eher bei einer schuldorientieren Kultur eine gute Nachricht? In bestimmten Milieus und so weiter. Und das können wir aufnehmen, lernen, verstehen und so weiter. Und in dem Ganzen, würde ich sagen, ist Jesus ein Kontinuum, etwas, das sich durchzieht, durch die Geschichte und durch die Kulturen. Wenn wir vom Evangelium reden, reden wir immer von Jesus.

Katharina: Das ist ja ein Paradigmenwechsel, zu sagen, hier gibt es eine Botschaft, die ist klar und unveränderlich und die gilt es, in einer Übersetzungsarbeit mit möglich wenig Angleichungsverlust immer wieder neu überbringen oder ob ich eben sage, hier gibt es etwas Beständiges in der Person Jesus Christus und gleichzeitig ganz viel kontextuell, dass ich unter Umständen vorher gar nicht sagen kann, was genau für mich die gute Nachricht ist, bevor ich mich nicht in einen Kontext hineinbewege. Wie bleiben wir da als Christinnen und Christen beieinander? Was ist die Dynamik, die uns zusammenhält?

Tobias: Ich würde auf zwei Ebenen antworten: Zum einen theologisch. Da würde ich sagen, es ist gar nicht unser Job, darauf zu achten, dass wir zusammenbleiben. Es gibt einen Geist, der uns zusammenhält, wie in 1. Korinther 12, Römer 12, Epheser 4 beschrieben. Das zieht sich durch – da steht immer, es gibt einen Geist, der alles zusammenhält. An Pfingsten feiern wir genau das, dass es jemanden gibt, etwas, das größer ist als wir und das alles verbindet. Und wer dazugehört und wer nicht, das entscheiden nicht wir. Das ist die theologische Perspektive, die Perspektive Gottes. Unsere Aufgabe spielt in der zweiten Ebene: Das Ganze zu leben und zu gestalten. Also, zum Beispiel gibt es unterschiedliche Glieder an diesem Leib, die uns passen oder nicht auch nicht, die kontextualisieren oder nicht, die progressiver oder konservativer sind. Das ist einfach ein Faktum. Aber das zu bestimmen, ist nicht mein Job. Und ich glaube, dass das eines der größten Grundprobleme ist, gerade natürlich in einer Zeit, die sich immer mehr pluralisiert und auch auseinanderpluralisiert, in der Welt, in der Christenheit und in der Gemeindewelt. Dass wir immer den falschen Job machen, dass wir immer überlegen, wer gehört dazu und wer nicht? Wer machts richtig und wer macht es falsch? Das ist aber Gottes Job, das macht er durch den Heiligen Geist, er bestimmt, wer dazugehört und wer nicht. Unsere Aufgabe ist, das miteinander zu leben und zu gestalten. Und da ist wieder das Dialogische ganz wichtig: Lass mich dich lernen, wer du bist, wie du denkst, wie du sprichst, wie du Jesus verstehst, wie du Glauben lebst usw. Damit ich an dir und durch dich auch neu Gottes Reichtum und Vielfalt lernen kann.


Wer wissen will, was Tobias Faix transformiert hat, was er selbst aus dem Masterstudiengang gelernt hat und was Tobias und Honolulu miteinander zu tun haben, der muss dann doch das ganze Interview in der Frischetheke nachhören. 🙂
Wer Tobias Faix und seinen Gedanken folgen will, der kann das auf seinem Blog tun oder in seinem und Thorsten Diez‘ Podcast „Karte und Gebiet“ hören – überall, wo es Podcasts gibt.

Und mehr Informationen zum Masterstudiengang Transformationsstudien gibt es auf der Seite der CVJM-Hochschule Kassel.

Autorin, Lektorin, Redakteurin von Beruf. Im Fresh X-Netzwerk und an der CVJM-Hochschule. Mitarbeitende, Mitdenkende, Mitgestaltende in Kirche. Suchende, Sehnende, Scheiternde, Fragende, Findende, Fordernde im Privaten.