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Religiöser Missbrauch: 20 Fragen über Macht, Handeln und Emotionen

28. November

Es wird viel geredet. Und nur selten hingehört. Es wird viel bestimmt und angenommen. Und nur selten nachgefragt. Fresh X steht auch für eine hörende Haltung. Deshalb haben wir entschieden, dass wir keinen Beitrag machen wollen, wie man ein:e gute:r Leiter:in ist oder wie man religiösen Missbrauch in der eigenen Gemeinde oder Initiative verhindern kann. Stattdessen wollen wir ermutigen, einander zuzuhören. Ehrliche Fragen zu stellen und authentische Antworten zu geben. Gemeinsam ins Gespräch zu kommen. am besten präventiv. Die folgenden Fragen können dabei helfen.

1. Die Positionsbestimmung

Manchmal ist es gar nicht so leicht, zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Die Grenzen verschwimmen und in einem System (wie Gemeinde) haben verschiedene Personen verschiedene (unterstützende) Rollen. Deshalb kann es hilfreich sein zu Beginn eines solchen Gesprächs noch mal neu die Grundlagen zu bestimmen.

  • Hast du Macht?
  • Unterstützt du ein Machtsystem?
  • Was machst du mit deiner Macht? Wie setzt du sie ein?
  • Gibt es eine Instanz, die deine Macht kontrolliert? Welche kritischen Instanzen oder welche Feedbackkultur habt ihr in eurem System?
  • Was würde die Pfarrperson der Nachbargemeinde über euren Umgang mit Macht sagen?

2. Die Handlungen

Man sollte meinen, dass Menschen – gerade in Leitungspositionen – sich ihrer Worte und Handlungen immer bewusst sind und sie auch bewusst einsetzen. Doch weit gefehlt. Häufig sind Worte und Taten mehr ein Agieren als ein Reagieren. Immer wieder sagt oder tut man Dinge, weil “man es schon immer so gemacht hat”. Da tut es gut, sich immer wieder auch mal selbst zu hinterfragen: in seinem Reden und seinem Handeln.

  • Wie sprichst du von Gott und dem Glauben? Verwendest du viele Hilfsverben?
  • Kannst du deine Glaubensüberzeugungen klar definieren? Und wie lauten sie?
  • Was ist das Wichtigste für dich am Glauben?
  • Woran erkennt man an deinem Handeln deine Glaubensüberzeugungen?
  • Wie reagierst du zumeist, wenn du überfordert, verunsichert oder gestresst bist?

3. Die Emotionen

Ginge es in solchen Gesprächen lediglich darum, sachlich zu beschreiben, wer wann was gesagt oder getan hat, käme es viel seltener zu Konflikten oder Diskussionen. Erst die Emotionen sorgen für ordentlich Kuddelmuddel. Denn sie sind persönlich, individuell und so manches Mal nur schwer nachvollziehbar. Was den einen ärgert oder verletzt, nimmt der andere nur als Randnotiz wahr. Was die eine ermutigend und motivierend findet, kommt bei der anderen als bevormundend und übergriffig an. Deshalb ist es so wichtig, den eigenen Emotionen und den des Gegenübers einmal besonders intensiv Raum zu geben.

  • Welche Emotionen verbindest du mit Macht?
  • Welche Emotionen verbindest du mit Glauben?
  • Welche Emotionen löst es in die aus, jemanden zu sehen, der seine Macht missbraucht?
  • In welcher Situation hat sich Macht in deinen Händen gut angefühlt?
  • Wo hast du unter Machtausübung gelitten und wie hat sich das für dich konkret angefühlt?

4. Der Ausblick

Was wäre, wenn alles ganz anders wäre? Neben dem, was vorgefallen ist oder was als Teil der Gegenwart zu besprechen ist, tut es gut, nach vorne zu schauen und sich zu fragen, wie man sich den Umgang mit Macht, den eigenen Grenzen und den persönlichen Glaubensüberzeugungen eigentlich wünscht.

  • Wo und wie sollte sich der Umgang mit Macht in deinem System ändern? Und was kannst du dafür tun?
  • Welche Qualifikationen oder Eigenschaften sollte eine Person mit Macht deiner Meinung nach haben?
  • Siehst du diese Qualifikationen und Eigenschaften an dir (oder der Leitungsperson in deinem System)?
  • Welcher Umgang, welche Form des Miteinanders soll in eurem System vorherrschen? Wie möchtet ihr euch begegnen und miteinander agieren?
  • Wie wünschst du dir, dass man dir Kritik entgegenbringt? Und welche Feedbackkultur sollte grundsätzlich in eurer Gemeinde installiert und gelebt werden?


Die Fragen sind in Zusammenarbeit mit dem systemischen Berater Sven Homann entstanden. Der Coach und Theologe arbeitet gerne mit Menschen, die schlechte Erfahrungen mit Kirche und Glaube gemacht haben. Außerdem ist er freiwilliger Feuerwehrmann und in seiner Freizeit gern in der Natur unterwegs. Besucht ihn doch mal auf seiner Website – oder für ein persönliches Gespräch im Raum Ruhrgebiet/Sauerland.

Autorin, Lektorin, Redakteurin von Beruf. Im Fresh X-Netzwerk und an der CVJM-Hochschule. Mitarbeitende, Mitdenkende, Mitgestaltende in Kirche. Suchende, Sehnende, Scheiternde, Fragende, Findende, Fordernde im Privaten.