Wir müssen etwas tun – darüber sind sich alle einig. Die frohe Kunde muss in die Welt hinaus. Doch was genau ist die frohe Kunde und wie soll sie hinaus und zu wem? Darüber streiten sich Christ:innen seit vielen Jahren so sehr, dass sie vergessen zu haben scheinen, sich zu fragen, ob das überhaupt eine angemessene Streitfrage ist. Evangelistisch, missionarisch, missional. Zeugnis und Bekehrungsaufruf, Lobpreis und Geistesgaben. Persönlich und alltagsnah, niedrigschwellig und kontextuell. Praktisch, diakonisch oder in moderner Form und leichter Sprache. Viele verschiedene Haltungen, Bilder im Kopf, Erfahrungen und Theologien crashen aufeinander, wenn es darum geht, anderen Menschen vom eigenen Glauben zu erzählen und sie einzuladen, Gott kennenzulernen. Manche halten das – oft aufgrund eigener negativer Erfahrungen – für unangemessen und übergriffig. Einige für peinlich und old-fashioned. Andere spüren eine große Leidenschaft, ja gar Berufung dafür. Und wieder andere wissen überhaupt nicht, wie man was sagen sollte, zu wem. Und weil die meisten Menschen mehr Fragen als Antworten und Ideen haben, weil man weiß, dass man doch eigentlich da ganz anders unterwegs sein sollte, kehrt man es lieber unter den Teppich, schweigt und überlässt das Feld ein paar Berufenen und Engagierten – im besten Falle Hauptamtlichen – um sich selbst nicht zu sehr damit befassen zu müssen. So macht man wenigstens nichts falsch. Oder?
Reden und handeln
Wir müssen etwas tun! – So der Ausruf, wenn mal wieder Eintritts- und Austrittszahlen im Kirchenvorstand besprochen werden, wenn offizielle Mitgliederzahlen der Landeskirchen und Bistümer veröffentlicht werden, wenn Menschen in den deutschen Städten gefragt werden: „Wissen Sie, was an diesem oder jenem Feiertag eigentlich gefeiert wird?“ (Und ich rede nicht von Mariä Empfängnis oder Allerseelen, die nur in den wenigsten Bundesländern mit einem freien Tag einhergehen.) Doch was tun? Die schnelle und vermeintlich einfachste Antwort ist dann, einen Gäste-Gottesdienst zu feiern, der statt Sonntagmorgen um 10:00 Uhr um 17:00 startet und in dem keine Orgel, sondern eine eigens dafür zusammengestellte Band zu hören ist. Überrascht es wirklich, dass das jetzt nicht den erhofften Run erlebt?
Wir müssen also etwas anderes tun. Und spätestens jetzt werden die Erinnerungen wach. Früher. Früher, da war man noch evangelistischer unterwegs. Da hat man noch von der Liebe Gottes öffentlich gesprochen. Da stand man noch in Fußgängerzonen und hat die Passanten mit christlichem Liedgut und Blockflöten-Begleitung beglückt. Früher, da zogen die großen Evangelisten noch viele, viele Menschen an. Scharenweise strömten sie in Zelte oder Hallen, um diesen oder jenen Prediger zu hören. Früher. Ach, früher.
Wie gut, dass früher vorbei ist, sagen die anderen: Das war manipulativ, peinlich, übergriffig. Und es entsprach schlicht nicht der Wahrheit. Ein Leben als Christ (bewusst nicht gegendert, weil damals unüblich) geht nicht zwangsläufig einher mit einem leidlosen Leben, einem erhöhten Kontostand und Lebensglück. Doch was ist dann die wirklich gute Nachricht, die frohe Botschaft, das Evangelium? Und wie kann man in einer säkularisierten Gesellschaft die Bedeutung von Gott kommunizieren? Ist es wirklich ein reines Kommunikationsproblem, wie viele sagen? Oder hängt es an den Formen? Oder doch am Inhalt?
Evangelisation
Ginge es rein um Kommunikation, könnten die einen doch ganz problemlos vom Evangelisieren reden, die anderen von Mission sprechen und die nächsten der Missio Dei folgend, missional unterwegs sein. Oder nicht? Sind das nicht einfach nur Synonyme? Mitnichten. Denn jeder Begriff folgt einer eigenen Logik, einer eigenen Haltung. Zu Evangelisation findet man auf Wikipedia folgende Erklärung: „Evangelisation oder Evangelisierung (eher im katholischen Bereich gebräuchlich) bezeichnet die Verbreitung des Evangeliums von Jesus Christus. Sie kann sowohl im Sinne der Missionierung Nicht- oder Andersgläubiger betrieben werden, die auf die Bekehrung (Konversion) und Taufe der Angesprochenen abzielt, als auch im Sinne einer Katechese zur Neubelebung oder Wiedererweckung des Glaubens bereits getaufter Christen. In einem engeren Begriffsverständnis benutzt man in evangelischen und evangelikalen Kreisen den Ausdruck Evangelisation häufig als Bezeichnung für mehr oder weniger aufwändige Verkündigungsveranstaltungen, die sich primär an Kirchendistanzierte und Nichtchristen richten.“ Es geht also bei evangelistischen Bestrebungen darum, das Wort Gottes zu verkünden – mit Fokus auf die Wortverkündigung – und die Menschen zu einer persönlichen Beziehung zu Gott zu führen.
Mission
Mission dagegen ist als Begriff grundsätzlich in Misskredit geraten. Zu heftig, zu schlimm waren die unter dem Deckmantel der Mission erfolgten kolonialistischen, rassistischen und gewalttätigen Umerziehungsmaßnahmen weißer Europäer in vielen Teilen der Welt. Eine frohe Botschaft war das jedenfalls nicht. Dennoch verwenden auch heute noch viele den Begriff zur Kenntlichmachung einer größeren Bestrebung, unter die auch Evangelisation fällt, aber ebenso viele diakonische Maßnahmen. Es geht um Evangelisation in Wort und Tat, das große Ganze. Die Menschen werden gesendet, sind Gesandte, als welche sie zu Menschen hingehen, ihnen – dem christlichen Auftrag folgend – helfen und dabei von Gottes Liebe und Güte berichten und zu intensiveren Auseinandersetzungen mit der Bibel, Gott und dem Christsein animieren. Auch der Aufbau von Gemeinden und Gemeinschaften ist dem Begriff der Mission inhärent.
Missio Dei
Die Missio Dei verfolgt dabei einen etwas anderen Ansatz. Auch hier geht es um den Bau von Gottes Reich auf Erden. Es ist jedoch nicht der Mensch, der eine Mission hat, sondern – wie der Name es vermuten lässt – es geht um Gottes Mission. Gottes Wunsch, Plan, Idee. Der Mensch ist allenfalls Hilfsarbeiter:in oder Unterstützer:in und versucht sonst möglichst nicht im Weg zu stehen. Es geht darum, Gottes Handeln in der Welt zu erkennen und sich anzuschließen, Gott aber selbst als Initiator(:in) zu sehen.
Missional
Missional als Begriff bezieht sich auf eine Haltung, bei der die gesamte Existenz der Kirche und des Einzelnen als Mission verstanden wird. Es geht darum, das Evangelium in allen Bereichen des Lebens zu leben und zu verkörpern. Das wichtigste Stichwort: Kontextualisierung. Jede Gelegenheit, jede Umgebung, jeder Kontext bietet verschiedene Möglichkeiten, wie man als Christ:in das Evangelium leben und so auch teilen kann. Niedrigschwellig, praxisnah, alltagsrelevant. Mit vielen und wenig Worten. Mit konkretem Anpacken und Unterstützen. Im Berufsleben, in der Nachbarschaft, im Sportverein, in alltäglichen Interaktionen.
Tanz zwischen den Stühlen
Für alle Begriffe und ihre Ausdrucksformen gibt es gute Gründe, kluge Argumente, bewährte Traditionen. Vielleicht ist es also gar nicht erstrebenswert, all diese Begriffe und Haltungen über einen Kamm zu scheren, sondern sie so stehen zu lassen. Als verschiedene Ausdrucksformen, wie Gott Menschen begegnen kann. Wie das, was auch immer die Einzelnen unter der frohen Botschaft verstehen (eine spannende Frage by the way: Was macht dich am Glauben/an Gott wirklich froh?), gelebt und geteilt, kontextualisiert und kommuniziert werden kann. In dem Bewusstsein, dass das nicht alles happy clappy einhergeht. Es ist okay, dass Menschen unterschiedlichen Meinungen und Haltungen haben, in unterschiedlichen Kontexten unterwegs sind und unterschiedliche Ausdrucksformen leben. Solange das alles mit den 10 Geboten und dem Grundgesetz vereinbar ist, mag das zwar anstrengend sein, aber aushaltbar. Die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz ist hier von Vorteil. Wer es vermag, Gegenteiliges, Unklares, Unsicherheiten oder auch Spannungen auszuhalten, hat in unserer komplexen, mehrdeutigen und stressigen Gegenwart gute Karten, gut durchzukommen und nicht an de Fragen des Glaubens, des Lebens zu verzweifeln. Oder wie Tobias Faix es in seinem Blog ausdrückt: „Ambiguitätstoleranz eben – Gegensätzliches aushalten, nicht gleich auflösen. Ambiguitätstoleranz ist der Tanz zwischen den Stühlen und Meinungen. Ambiguitätstoleranz ist auch der Tanz des Glaubens. Weil: Glaube ist immer voller Spannung.“
In diesem Sinne ist es vielleicht das Gebot der Stunde, etwas zu tun. Spannungen suchen, Spannungen sehen, Spannung aushalten. Und manchmal auch unter Spannungen zu tanzen. Zu himmlischer, ja göttlicher Musik. Und wenn das keine Evangelisation, Mission, Missio Dei ist, dann weiß ich auch nicht.