inspiriert

So engagieren sich Christ:innen für Gerechtigkeit und Klimaschutz

30. April

Dass die eigene Überzeugung manchmal hart an der Realität zerschellt, kennen wir alle vermutlich zur Genüge. „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Matthäus 26,14) sagt die Bibel dazu, „Actio-Knowledge-Gap“ nennt es die Wissenschaft. Genau diesen Unterschied zwischen Haltung und Handeln konnte auch die sogenannte Ge-Na Studie nachweisen, die im Auftrag von Interaction Schweiz und unter der Durchführung von Prof. Dr. Tobias Faix, Ronja Dietrich und Anna-Lena Moselewski, 2.500 Christ:innen zu ihrem Glauben, ihrer Haltung und ihrem Handeln für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit befragt hatte. [Wir berichteten]

Haltung vs. Verhalten

Auf einem Fachtag am 20.04. in Kassel wurden die Ergebnisse dem Publikum vorgestellt und miteinander diskutiert. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna-Lena Moselewski machte den Knowledge-Action-Gap an folgenden Zahlen fest: So konnte festgestellt werden, dass 91.1% der erreichten Hochreligiösen und Religiösen angaben, dass ihnen soziale Gerechtigkeit wichtig sei, 83,0% zeigten sich überzeugt, dass sich diese Haltung auch in ihrem Verhalten widerspiegele. Doch wie?

73,2% der Befragten haben schon einmal mit ihrer Familie oder Freunden über soziale Gerechtigkeit gesprochen, 76,2% haben aufgrund dessen auf den Kauf bestimmter Produkte verzichtet, aber nur 12% haben sich in den sozialen Medien dazu positioniert (12,4%) oder haben an einer Demonstration dazu teilgenommen (12,5%). Im Verborgenen oder Persönlichen ist es eben leichter, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen als vor einer öffentlichen Masse. Der Geist ist willig. Aber das Fleisch ist schwach.

Welche Rolle soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit im Bezug zum Bibelverständnis, zur Evangeliumsverkündigung, zur Eschatologie und zum Schuld- und Sühneverständnis sowie zur Gestaltung des aktiven Gemeindelebens spielen, kann entweder in der Pressemeldung, im ausführlichen Bericht über den Fachtag oder in dem Forschungsbericht selbst (oder in einer Zusammenfassung) auf der Website der Studie: glaubeklimahoffnung.net nachgelesen werden.

Zwei engagierte Beispiele

Wir haben auch gefragt, wie ihr unterwegs seid in Sachen Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Zwei Rückmeldungen möchten wir euch heute gerne vorstellen:

Projektgruppe Nachhaltigkeit in Niedernhausen

So schrieb uns Pfarrerin Conny Seinwill aus der evangelischen Kirche Niedernhausen von den Projekten in ihrer Kirchengemeinde. „So hat unser Kirchenvorstand im Frühjahr 2022 die Projektgruppe (PG Nachhaltigkeit) unter meiner Leitung gegründet. Ich habe parallel alle zwei Monate am digitalen Klimastammtisch der EKHN teilgenommen und viel gelernt. Seit ca 2010 sind wir Fair-Trade-Gemeinde als Teil unserer Fair-Trade-Stadt Niedernhausen. Unsere PG hatte fünf Mitglieder und beschäftigte sich am Anfang mit den Erfordernissen zur Zertifizierung (Grüner Hahn); das Ziel erschien uns sinnvoll, das Prozedere zu aufwendig. So haben wir uns erstmal entschieden, die Checklisten für die Zertifizierung durchzuarbeiten und so unser Gemeindeleben zu bilanzieren.

Kleinere Veränderungsmaßnahmen haben wir schnell umgesetzt: Austausch mit LED-Lampen vor allem im Gemeindesaal und bei den Strahlern für unsere Gottesdienstlichttechnik, Austausch von Lichtschaltern durch Bewegungsmelder in Fluren und auf Toiletten, Zwischenschalter bei Druckern, um Standby zu vermeiden, Wassersparfilter an allen Hähnen, Abschalten von Warmwasser an den Waschbecken in den Toilettenräumen, Gemeindebrief an alle Haushalte auf Ökopapier, Materialeinkauf nur noch ökologisch.

Von Mai bis September nutzen wir nur noch unsere unbeheizte Kirche; ansonsten finden alle Veranstaltungen inklusive Gottesdienste im Gemeindehaus bei max. 19° statt.  Im letzten Jahr haben wir unseren Gasverbrauch reduziert von normal 80.000 auf 34.500 kWh! Außerdem haben wir alle Heizkörper mit digitalen Thermostaten versehen, die von einem Tablet wöchentlich auf den digitalen Raumnutzungsplan programmiert werden.

Vor einem Jahr haben wir die PG Nachhaltigkeit aufgeteilt. Abgespalten und mit Experten ergänzt hat sich die PG Energy gegründet, die ich leite. Wir arbeiten seit einem Jahr an dem großen Wurf der Erneuerung für unser Gemeindehaus: PV-Anlage auf dem Dach, Wärmepumpe, Belüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung für Gemeindesaal und Durchlauferhitzer an den Wasserentnahmestellen, die Warmwasser brauchen. Leider dauert sowas in den kirchlichen Strukturen SEHR lange. Die andere Teil-PG kümmert sich inzwischen um die „Grüne Hahn“-Zertifizierung und möchte weiter ökologisches Wissen und Denken in unser Gemeindeleben hineintragen. Auch das „Familienzentrum“, das wir in Zusammenarbeit mit der Kommune zum 1.1.2025 gründen werden, bietet gutes Potential für die Verbreitung von Ideen zur Schöpfungsbewahrung und die Durchführung entsprechender Aktionen.

Luft nach oben ist bei der Gestaltung unseres großen Gemeindegartens vorhanden sowie bei der Mobilität der Besuchenden unserer Veranstaltungen. Wir arbeiten daran, dass die Menschen von auswärts entweder mit dem Rad, den Öffis oder in Fahrgemeinschaften kommen. So haben wir WhatsApp-Ortsgruppen angeregt, um sich für die gemeinsame Anreise zu verabreden. Diese laufen jedoch zäh wegen individueller Bedürfnisse und Spontaneität. Immerhin haben wir seit März unsere Gottesdienstzeit auf 10:15 Uhr verschoben, damit die Zugreisenden nicht mehr zu spät kommen. Bei Festen verzichten wir noch nicht völlig auf Würstchen, aber wir reduzieren schleichend und bieten leckere Tofuburger als Alternative an.

Unser neuester Versuch läuft gerade an: Keine Getränke mehr in Kisten. Stattdessen bieten wir unser leckeres Leitungswasser gesprudelt und naturell an.“

Artenvielfalt und Gerechtigkeit in Edingen-Neckarhausen

Und auch Bernd Kreissig, Pfarrer in der evangelischen Kirche von Edingen-Neckarhausen, schrieb uns und erzählte begeistert davon, wie einfach sich ein gemeindeeigener Schmetterlings-Kirchgarten realisieren ließ. Und weil das Ganze mit geringem Aufwand zu erstellen und zu erhalten ist, bieten sie sogar Online-Seminare an, damit bald auch viele andere Kirchgärten schmetterlingsfreundlich werden. In Edingen-Neckarhausen wird aber noch etwas weiteres angeboten: Es gibt eine AG „Klimaschutz und -gerechtigkeit“, die kürzlich für eine Brillenspenden-Aktion um ausgediente Seehilfen bat. Über 100 Brillen wurden von den Gemeindemitgliedern im eigene Haushalt und über Freunde und Bekannte zusammengesucht und bei der Sichtung der Spenden, entstand die Idee, die Brillen als eine lange Schlange in der Kirche aneinanderzureihen. Brillenschlange mal anders. 🤓

Autorin, Lektorin, Redakteurin von Beruf. Im Fresh X-Netzwerk und an der CVJM-Hochschule. Mitarbeitende, Mitdenkende, Mitgestaltende in Kirche. Suchende, Sehnende, Scheiternde, Fragende, Findende, Fordernde im Privaten.