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5 Impulse zu Kirche und Innovation

09. November

Auf der einen Seite stehen die Pionier:innen. Die, die was bewegen wollen. Die was Neues wagen. Die Start-ups, Initiativen, Fresh x-Projekte. Auf der anderen Seite stehen die Strukturen der Institution Kirche. Sie legen fest, wer Geld bekommt, wer Einfluss hat, wer bestimmtes Personal bekommt. Doch der Kirche steht mit ihren gewachsenen Strukturen das Wasser bis zum Hals. Da bleiben auch Konflikte nicht aus. Es geht um Innovation, um Mitglieder und Besucher, ums Geld. Oder?

Worum geht es hier eigentlich?

Diese Frage stellte der ev. Theologe Birger Falcke am Reformationstag 2023. Der Innovationsfonds TeamGeist der Evangelischen Kirche von Westfalen hatte zu einem Netzwerktreffen eingeladen, bei dem auch neue Förderprojekte vorgestellt wurden. Im Rahmen dieser Veranstaltung hielt Falcke, der gerade an einer Promotion im Bereich der Kirchentheorie arbeitet, einen Impulsvortrag über das spannende und manchmal angespannte Verhältnis von Kirche und Innovation. 5 Impulse, die bewusst kurzgehalten sind, damit sie zum Weiterdenken und Diskutieren anregen:

Worum geht es eigentlich, ganz grundsätzlich bei Kirche und kirchlicher Innovation?

Ums Evangelium. Die Antwort ist vielleicht ein bisschen banal, manche hätten etwas Kreativeres erwartet, aber ich finde es wichtig, das an den Anfang zu stellen: Bei Kirche und kirchlicher Innovation geht es ums Evangelium und darum, das in der Breite unserer pluralen Gesellschaft ins Gespräch zu bringen. Aber wir müssen feststellen: Es gelingt uns vielfach nicht. Deswegen sucht Kirche nach neuen Wegen, nach Innovationen, nach Start-ups, nach kreativen Menschen.

Dabei hat jede:r von uns wahrscheinlich eine andere Vorstellung von Evangelium. Das ist okay. Denn das Evangelium Jesu ist vielfältig: Das Evangelium, das zu dem Einzelnen sagt, du bist von Gott geliebt und gewollt. Das Evangelium, das in die Nachfolge ruft. Das Evangelium, das Frieden will für diese Welt. Das Evangelium, das Gerechtigkeit will. Das Evangelium, das Schöpfungsbewahrung will. Es geht ums Evangelium in seinen vielfältigen Formen und darum, genau das zu kommunizieren. Dafür braucht es heute Innovationen. Aber was ist das überhaupt, Innovation?

Worum geht es eigentlich, wenn wir von Innovation reden?

Tradition + Kontext = Innovation. Das mag manche überraschen, denn häufig wird von Tradition und Innovation geredet, als ob das Gegensätze wären. Aber nein! Denn unsere ganz grundlegende Tradition, das ist das Evangelium – und seine Wirkungen in den letzten 2000 Jahren. Das ist die Tradition, in der wir stehen. Davon kommen wir als Kirche nicht los.

Wenn diese Tradition nun, die Botschaft des Evangeliums, auf den Kontext bezogen wird, entsteht daraus Innovation: Wie wird Evangelium heute spürbar, erlebbar, für Menschen? Innovation ist kontextualisierte Tradition.

Dennoch gibt es auch Gegenteile von Innovation. Meine These: Das Gegenteil von Innovation ist Selbsttrivialisierung und Selbstrelativierung. Nach dem Motto: „Ach, was wir glauben und sagen, die Tradition des Evangeliums, ist das überhaupt noch so wichtig? Ist das überhaupt noch anschlussfähig? Interessiert das heute noch jemanden? Es kommt doch sowieso kaum jemand.“

Dieser Geist der Selbsttrivialisierung und Selbstrelativierung – das ist das Gegenteil von Innovation. Er macht mutlos, enttäuscht und resigniert. Aus welchen Gründen auch immer er besteht. Dieser Geist verhindert Innovation.

Wer aber sagt: „Das, was wir aus unserer Tradition heraus, vom Evangelium her, zu sagen haben, ist total wichtig. Das hat auch heute noch etwas zu sagen. Denn es betrifft die grundlegenden Dinge des Menschseins.“ Dann führt das zu Aufbruch. Dann führt das zu Innovation. Denn wer die eigene Tradition weitergeben will, muss sie für den Kontext anschlussfähig machen.

Genau das passiert in den Projekten von TeamGeist. Bei Erprobungsräumen. Bei neuen Initiativen. Bei Fresh X-Projekten. Bei kirchlichen Start-ups. Wenn nun diese Aufbrüche innovativ sind, was ist dann die Aufgabe von Kirchenleitungen?

Worum geht es eigentlich bei Kirchenleitung und Innovation?

Kirchenleitung soll Räume für Innovation schaffen. Dabei meine ich mit Kirchenleitung nicht nur ein Gremium an der Spitze der Kirche, sondern auch Gremien und Personen in Kirchenkreisen und Gemeinden. Presbyterien (Kirchenvorstände, Ältestenkreise und wie sie alle heißen), Synoden und auch klassische Pfarrer:innen.

Oftmals gibt es eine falsche Erwartung, nämlich dass diese Gremien und Personen selbst innovativ sein sollen. Dass Kirchenleitung innovativ vorrangehen sollte. Das aber ist nicht die erste Aufgabe von Kirchenleitung. Natürlich kann auch von dort innovatives kommen. Die erste Aufgabe aber ist es, Räume für Innovation zu öffnen. Und dann zu fördern, zu unterstützen, zu begleiten und gegebenenfalls zu begrenzen. Und dann auch: Sich selbst davon in Frage stellen zu lassen. Denn Räume zu öffnen, heißt auch, sich selbst zu öffnen.

Fördern, unterstützen, begleiten – damit bin ich bei der Frage:

Worum geht es eigentlich bei kirchlichen Förderprogrammen? Bzw. worum sollte es gehen?

Ich bin überzeugt: Kirchliche Start-ups brauchen mehr als Geld. Projekte bewerben sich bei Förderprogrammen oftmals, weil es Geld gibt. Und das ist ein wichtiger Faktor. Aber eine Fokussierung auf Geld halte ich für problematisch. Denn das tut so, als würde es von allein gehen, wenn man irgendwo Geld hingibt. Nein! Innovative Projekte brauchen vor allem Vernetzung, Unterstützernetzwerke und Support – ja finanziell, aber auch organisatorisch, theologisch, juristisch, psychologisch, nachhaltig… Vor allem, wenn aus Projekten Stetiges werden soll.  Und daran schließt sich die letzte Frage an:

Worum geht es eigentlich bei dem Konflikt, der immer wieder aufbricht zwischen innovativen Projekten und der Institution Kirche?

Oft scheint es: Es geht ums Geld. Ich würde aber sagen: Eigentlich geht es um gegenseitige Anerkennung verschiedener Formen.

Bei klassischen kirchlichen Formen herrscht inzwischen häufig ein Gefühl des Abgesangs. „Wir werden schlecht gemacht. Das, was wir Wichtiges leisten, wird nicht gesehen. Obwohl doch vieles bei uns gelingt.“ Gleichzeitig erleben viele innovative Projekte: „Wir sind strukturell benachteiligt. Wir werden oft vergessen. Haben keine Chance. Sind machtlos und abhängig von dem Gutdünken anderer.“

Deshalb stellt sich die Frage: Können wir anerkennen, dass auch die anderen, auf ihre Weise, einen unverzichtbaren Beitrag dafür leisten, dass das Evangelium in der Breite unserer pluralen Gesellschaft gehört werden kann? Können wir anerkennen, dass das, was da passiert, wirklich Kirche ist? Können wir anerkennen, dass wir am Ende des Tages voneinander profitieren können?