Unsere Tochter war vor Kurzem für zwei Wochen als Austauschschülerin in Frankreich. Sie lernt seit zwei Jahren Französisch. Ihre dritte Fremdsprache. Für mich wäre das nichts. Mit Sprachen hab ich mich in der Schule immer etwas schwergetan. So war es auch, als wir unsere Tochter zur Gastfamilie begleiteten. Um den Esstisch versammelt, startete ich neugierig und erwartungsvoll, aber auch mit angezogener Handbremse in eine Unterhaltung, die anfangs immer wieder ins Stocken geriet. Ich war zunächst eher passiv und als Zuhörer beteiligt. Überraschenderweise konnte ich aber vieles von dem, was auf Französisch gesprochen wurde, verstehen. Einzelne Wörter kamen mir bekannt vor, weil sie im deutschen oder englischen ähnlich klingen oder schlicht, weil Gestik und Mimik mir einen Hinweis gaben, um was es gerade geht. Als wir unsere Tochter nach zwei Woche wieder abholten, fragte ich sie, wie es ihr mit der fremden Sprache ergangen sei. Natürlich sei sie immer wieder an Grenzen gestoßen, habe sich nicht immer ausdrücken drücken, wie sie gerne wollte und habe nicht jedes Wort, das in ihrem neuen Umfeld gesprochen wurde verstanden. „Aber, das war okay“, sagte sie, „den Rest hab ich mir dann aus dem Kontext erschlossen.“
Sprache „Mensch“ lernen
Uns stehen für pastorale Planungen und Konzeptionen viele Datensätze der Marktforschung und Erkenntnisse über Milieus und Lebenswelten zur Verfügung. In vielen Kirchenämtern und Pfarrbüros lassen sich die Altersstrukturen und Familienkonstellationen für ganze Ortschaften und einzelne Straßenzüge ablesen. Fast ist es wie mit einem hervorragenden Schulbuch für Französisch (oder eine andere Fremdsprache): Alles ist darin enthalten – die ganze Grammatik unserer Mitmenschen lässt sich darin ablesen. Wie Vokabeln können wir auch Vorlieben und Lebensweisen ganzer Bildungsschichten auswendig lernen. Das ist gut und kann sehr hilfreich sein, um den Kontext, in dem wir uns bewegen (wollen), besser zu verstehen. Es ersetzt aber nicht das Beisammensein und Zuhören am Küchentisch. Die vielen Datensammlungen und Forschungsergebnisse verleiten uns geradezu, viel zu schnell loszureden – in einer Sprache die uns doch eigentlich fremd ist. Sie verhindern das Zuhören, das ersten Stammeln in einer ungewohnten Sprachmelodie.
Listening first
Wir sind es gewohnt, den Ton anzugeben: In unseren Gottesdiensten, dem Konfirmandenunterricht oder den Jahrgangskatechesen für Erstkommunion und Firmung. Wir laden gerne ein. Zu unseren Angeboten. In unsere Häuser. Dabei zwingen wir aber alle, die uns noch nicht kennen, in die Rolle der Zuhörenden und verlangen ihnen ab, in eine Sprachwelt einzutauchen, die ihnen fremd ist. Genau das sollten wir aber vor allem uns selbst zumuten: Zuhören. Das ist eine Grundhaltung der Fresh X-Bewegung – im doppelten Sinn. Die „serving first journey“ stellt das „double listening“ an den Anfang: Keine klugen Worte oder besonders wohlfeil formulierte Gedanken markieren den Start der Formgebung von Kirche. Sondern das Einüben ins Hören: Auf das, was Menschen in der Umgebung umtreibt und damit auch auf Gottes Handeln in der Welt. Es ist ein bisschen wie mit dem Verstehen und Sprechen in einer Fremdsprache: Hier werden wir selbst zu den Ungeübten, Unwissenden, Sprach-Anfänger:innen. Mit dem Wissen über Lebensweltenwelten und Milieus, kann dieser Einstieg ins Fremde erleichtert werden. Wir sollten uns aber auch an Küchentische setzen und das Zuhören üben. Manches wird dabei bekannt sein oder ähnlich klingen, manches wird erst mal unbekannt und fremd bleiben. Aber: „Den Rest können wir uns aus dem Kontext erschließen“.