Serie: Frische Kirche für morgen gestalten – Teil 4
Auf der Suche nach frischen, anderen Formen von Kirche kommen immer mehr Gemeinden auf die Idee ihre Gebäude, die nur zu bestimmten Zeiten gebraucht werden, anderweitig nutzbar zu machen. Warum nicht in diesem Zusammenhang den alten benediktinischen Leitspruch „ora et labora“ zeitgemäß umsetzen und in den Kirchenräumen einen Coworking Space einrichten?
Also eine Art Bürogemeinschaft, in der Leute unterschiedlichster Professionen, Selbstständige, Freelancer, Angestellte im Homeoffice, kleine Start-ups, zusammenkommen und gemeinsam arbeiten. Jede:r an seinem Projekt, unter Umständen aber auch, wenn es sich ergibt, an gemeinsamen Aufgaben. Jede:r hat einen eigenen Schreibtisch oder Platz, entweder fest angemietet (Fix Desk) oder flexibel gewählt (Flex Desk), man teilt sich Konferenzräume, Wlan, Kaffeeküche, Hardware wie Drucker, Beamer etc. und einen Bereich für ein gemeinsames Mittagessen oder andere Veranstaltungen innerhalb des Coworking Space. Jede:r kommt und geht, wann er/sie will – im Rahmen der vorgegebenen Öffnungszeiten. Vielleicht nur an einem Tag in der Woche, vielleicht immer nur abends, vielleicht nur für zwei Stunden jeden Tag.
Dieses flexible, kostengünstige und gemeinschaftliche Arbeiten boomt – nicht nur in den Metropolen, sondern immer mehr auch auf dem Land und in kleinstädtischer Umgebung.
Beten oder arbeiten?
So weit so cool, aber sind Kirchen da wirklich der passende Partner? Hat Jesus nicht selbst gesagt, sein Haus soll ein Bethaus sein (und keine Räuberhöhle; vgl. Lukas 19, 45-48)? Stimmt schon. Aber ist es wirklich eine Räuberhöhle, wenn man seinen Job nicht am heimischen Küchentisch, sondern in einem leerstehenden Raum oder Gebäude der Kirche ausübt und das Ganze noch mit spirituellen Angeboten verknüpft? Unterm Strich bleibt es eine Gewissensfrage. Dabei liegen in dem Konzept viele Vorteile für Kirchen und Gemeinden, wie auch die Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung, mi-di, in einer neuen Publikation herausgearbeitet hat:
10 Argumente dafür
- Leerstände oder nur wenig genutzte Räume könnten mit neuem Leben gefüllt werden.
- Kirche würde sich neu als wichtiger und verlässlicher Partner im Kiez, dem Dorf, der Stadt positionieren und eine Öffnung in den Sozialraum ermöglichen.
- Die Kirche könnte ihre Rolle als Gastgeberin neu definieren und um einen wichtigen Lebensteil der Menschen (der Arbeit) erweitern.
- Insgesamt bekäme die Kirche eine neue Relevanz in ihrem Umfeld.
- Durch eine gemeinsame Nutzung von Ressourcen und durch wegfallende Pendelstrecken, käme Kirche ihrem Auftrag zur Nachhaltigkeit nach.
- Hauptamtliche Mitarbeitende könnten ihre Tische ebenfalls im Coworking Space haben und wären so unmittelbar ansprechbar und ihre Arbeitsweisen wären für die Gemeinde transparent.
- Bei sinkenden Kirchenmitgliedszahlen und den damit wegfallenden Einnahmen durch Kirchensteuern, sind natürlich auch die potentiellen Einnahmen durch die Vermietung von Räumen oder Arbeitsplätzen zu bedenken.
- Durch die veränderten Räumlichkeiten können neue Formen der Gemeindearbeit entstehen, andere Zielgruppen angesprochen und das Gemeindeleben insgesamt neugestaltet werden.
- Seelsorgegespräche und spirituelle Angebote rund um die Arbeitszeiten (Gemeinsamer Arbeitsbeginn mit einer Andacht oder einem Gebet, Tagzeitenkontemplation, Meditationsangebote, Stille-Raum, Exerzitien, etc.) ermöglichen es den Kirchen, ihrem missionarischen und geistlichem Anspruch in neuen Formen und für eine erweiterte Zielgruppe nachzukommen.
- Durch das Zusammenkommen verschiedener Professionen profitiert auch die Kirche, wenn Projekte gemeinschaftlich gestemmt werden können.
Insgesamt gibt es noch weitere Punkte, die beleuchten, warum sich ein Coworking Space auf kirchlichem Grund eignen oder gar lohnen würde.
Als Kirche da sein
Auch das Startup „Frohet Schaffen“, das einen sozialen Coworking Space im Sozialbau in Iserlohn (Sauerland, NRW) startet, hat sich mit der Frage, wie Kirche und Coworking zusammenpassen, auseinandergesetzt:
„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. (…) Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muß den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ͵für andere dazu sein.ʹ (…) Sie wird die Bedeutung des menschlichen ͵Vorbildesʹ nicht unterschätzen dürfen; nicht durch Begriffe, sondern durch ͵Vorbildʹ bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft.“
Dietrich Bonhoeffer, aus „Widerstand und Ergebung“
Frei nach Bonhoeffer (s.o.) wollen wir als Kirchengemeinde an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens aktiv teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Wir wollen den Menschen des Sozialbaus und der sozialen und kreativen Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, „für Andere da zu sein“. Wir wollen die Bedeutung des menschlichen Vorbildes nicht unterschätzen, denn nicht durch Begriffe, sondern durch „Vorbild“ bekommt unser Wort Gewicht und Kraft.
Diesem Herzensanliegen und Anspruch folgend, gestalten wir den Coworking Space „Frohet Schaffen“.
Und so sorgt Kirche dafür, dass die Coworker:innen zu einer echten, hoffnungsvollen und wertorientierten Gemeinschaft zusammen wachsen.
Kirche sorgt dafür, dass Hilfesuchende keine Institution vorfinden, sondern eine Gemeinschaft aus Menschen, deren Herz für Gerechtigkeit schlägt.
Kirche sorgt dafür, dass (Milieu-)Grenzen aufbrechen, dass Menschen aus verschiedenen Lebenslagen (kulturell, sozial, religiös, altersentsprechend etc.) sich begegnen und bereichern.
Kirche sorgt dafür, dass die Engagierten nicht ausbrennen, sondern aus einer gemeinsamen Quelle schöpfen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Gemeinschaftsaufbau und -pflege, Community Rhythmus, Seelsorge und Gebet.
Kirche sorgt dafür, dass Kreativität und Hoffnung im Viertel gefördert werden, Inspiration vermehrt wird und Institutionen näher an der jeweiligen Zielgruppe orientiert bzw. direkt mit ihr Projekte entwickeln und durchführen können.
Das letzte Wort
So oder so ähnlich scheinen einige Christ:innen zu denken und gehen mutig mit innovativen Konzepten rund um gemeinschaftliches Arbeiten (und Beten) an den Start, vernetzen sich, lernen voneinander und feiern gemeinsam Erfolge. Was für christliche Coworking Spaces es gibt und welche Motivation dahinter steckt, kann man auf der Website der christlichen Coworking Spaces nachlesen, die auf dem #gemeinsamglauben-Hackathon 2021 an den Start gegangen ist.
Und wenn Gott mit dabei ist, vermag er sowieso viel größer, breiter, bunter zu denken, als wir Menschen das je könnten. Überlassen wir es also am besten ihm, zu entscheiden, ob Coworking in Kirche eine gute oder eine schlechte Idee ist. 😉