Ein Politiker, ein Lokaljournalist und eine Pfarrerin sitzen in einer Bar …
Was wie der Anfang eines Witzes klingt, ist mir tatsächlich einmal passiert. Damals haben wir in der „nassen Ecke“ viele Gemeinsamkeiten gefunden, haben uns gegenseitig getröstet, weil unsere jeweilige Profession für einen eigenen absteigenden Ast der Gesellschaft stand.
Inzwischen arbeite ich nicht mehr als Pfarrerin. Ich besuche eine Gemeinde, die im Fresh X-Netzwerk gut eingebunden ist. Außerdem bin ich Aktivistin der Letzten Generation. Über Mitgliederschwund müssen weder meine Organisation, noch meine Gemeinde jammern. Dennoch beobachte ich Parallelen zwischen den Fragen der Kirche und der Klimabewegung. (Disclaimer: Auch wenn ich aus der Perspektive der Klimabewegung schreibe, trifft vieles auf intersektionale Fragen von Gerechtigkeit zu. Probleme, wie Sexismus, Rassismus, Ableismus und Klassismus werden mit einem zunehmenden Klimawandel sicher nicht weniger. Leider. 🙁
Transformation
In beiden Bereichen begegne ich einer Sehnsucht und einem Bewusstsein für die dringende Notwendigkeit, dass sich sehr große und historisch verwachsene Systeme ändern müssen. Dabei ist vom berühmten Tanker die Rede, der zum Wenden gebracht werden muss. Die Notwendigkeit ist sogar in beiden Bereichen recht allgemein anerkannt. Aber sobald jemand herausgefordert wird, auf eigene liebgewonnene Dinge zu verzichten, erhält sich das System sehr erfolgreich selbst.
Schmutzige Wäsche
Die Systeme, bzw. bestimmte Menschen in ihnen haben durchaus auch ein Interesse daran, dieses System zu festigen. Auf der einen Seite erhalten Lobbyismus und Manipulation die Privilegien der fossilen Industrie, die am Ende des Tages immer noch staatlich gefördert wird, statt ihnen die echten Kosten ihres Profits in Rechnung zu stellen. Auf der anderen Seite ermöglichen die heutigen Strukturen der Großkirchen einigen wenigen, ihre Macht auszunutzen. Als Pfarrerin war ich schockiert, wie viel es um meine Bezüge und Altersvorsorge ging und wie wenig um die Frage, was meinem Beruf eigentlich Sinn gibt. Wenn ich mitbekomme, wie unsere Kirchenstrukturen bis heute Täter im Bereich von sexuellem Missbrauch schützen, wird mir ehrlich gesagt einfach nur schlecht.
Viele kleine Leute???
In beiden Systemen haben wir lange Zeit gedacht, wenn nur einzelne Menschen sich verändern, bekommen wir das alles schon in den Griff. In der Kirche scheiterte dies daran, dass die Menschen, die gerne etwas anders machen wollten unnötig stark reglementiert wurden. Viele innovative Projekte starben noch bevor sie ausprobiert werden konnten an den ewigen Bedenkenträgern. In der Klimafrage wurde der individuelle Beitrag regelrecht zur Strategie. BP erfand den ökologischen Fußabdruck um uns allen ein schlechtes Gewissen zu machen und dabei schön davon abzulenken, wer eigentlich unser Klima zerstört.
Widerstand
Wegen diesen systemischen Problemen erlebe ich Pioniere im Fresh X-Kontext, die in ihrer Loyalität der Kirche gegenüber sehr herausgefordert sind. Ist es loyaler, der Kirche beim Sterben zuzuschauen, einige Regeln zu umgehen oder ihr den Rücken zuzukehren? Irgendwo dazwischen schwimmen alle Pioniere. In der Klimabewegung wird sehr genau diskutiert, wie man Aufmerksamkeit erlangt und was legitime Mittel sind. Auch wenn dabei die Letzte Generation herauszustechen scheint, war ich sehr überrascht, als ich in meinem ersten Training sehr konkret mit der Frage konfrontiert wurde, was Gewaltfreiheit bedeutet. Ziviler Ungehorsam hat in der Geschichte oft zu notwendigen Veränderungen geführt. Leider lässt sich Geschichte erst im Rückblick als sinnvoll bewerten. Aber auch in der Kirche erleben wir, dass Veränderungen oft dadurch geschahen, dass jemand einfach mal gemacht hat, statt zu fragen, ob sie das darf.
Gefühle
Es geht um viel. Wo habe ich übermorgen mein geistliches Zuhause? Wo werden wir zukünftig auf dieser Welt noch Lebensbedingungen haben, die Leben zulassen? Das löst Gefühle aus: Angst, Schuld, Scham, Trauer, Resignation, Wut, Hass. In beiden Bereichen helfen Kalendersprüche wenig weiter. Im einen Bereich erlebe ich, dass wir so beschäftigt sind mit Politik, dass wir gerne unsere Gefühle übergehen. In Kirche empfinde ich es noch schlimmer, weil ich das Gefühl habe, dass wir keine negativen Gefühle haben dürfen. Das würde ja bedeuten, dass unser Glaube zu klein ist! Das darf nicht sein!
Jugend
Die Jugend soll es richten. Obwohl die Letzte Generation nie eine ausschließliche Jugendorganisation war, höre ich oft Sätze mit „… diese jungen Menschen …“. Bei Fridays For Future war das zwar hauptsächlich richtig, hat aber dazu geführt, dass man sie gut übergehen konnte. Es ist zwar gut, dass „diese jungen Menschen“ sich engagieren, aber wirklich ernst nehmen muss man sie nicht. (An dieser Stelle ziehe ich den Hut vor dem Ordnungsamt in Suhl, die die Jugendlichen von FFF konsequent gesiezt haben und sie auch sonst wie Erwachsene behandelt haben.) Warum müssen eigentlich die alles richten, die nichts verbockt haben? Dass die Jugendlichen sich da nicht in der Verantwortung sehen, zeigen die Statistiken rund um Wahlen und Freizeitverhalten. Wenn ich als ehemalige Jugendpfarrerin beschreiben soll, wie Jugendliche behandelt werden, kann ich nicht aufhören: Jugendliche sind undankbar, wenn sie die alten muffigen Sofas nicht wertschätzen. Sie sind faul, weil sie sonntags nicht zum Gottesdienst kommen. Sie sind unzuverlässig, weil sie die Strukturen nicht verstehen … aber sie sollen am Ende ihren Kindern Glaube als etwas Schönes nahe bringen. Komisch, dass das nicht funktioniert.
Ehrenamt
In Kirche, wie auch im Aktivismus wird fast alles ehrenamtlich organisiert. Das begeistert mich! Leute bringen sich mit sehr viel Energie ein. Geben teilweise ihr bürgerliches Leben auf, um ganz für die Sache zu leben. Ob ich dafür ins Kloster gehe oder in den vollzeitlichen Aktivismus macht für mich kaum mehr Unterschiede. Es ist mehr wert, die Sache zu verfolgen, als die individuell eigene Zukunft zu verfolgen. Darüber hinaus bringt das Ehrenamt einige Faktoren mit sich, die wir oft übersehen: Dinge passieren eher spontan als geplant. Nicht immer sind Vollprofis am Werk. Das heißt, Scheitern muss eingerechnet werden, genauso Konflikte. Im Idealfall passt man mehr aufeinander auf, weil man weiß, dass alle das Recht haben, einfach wieder aufzuhören mit ihrem Engagement. Wenn der Sinn des Anliegens verloren geht, sind auch schnell die Menschen weg.
Burnout
Dieser Punkt ist nahe am Abschnitt vorher über Ehrenamt, braucht aber einen eigenen Abschnitt, weil auch die wenigen Hauptamtlichen schnell betroffen sind. Wer für ein soziales Thema arbeitet, tut das nicht wegen der Ehre des Amtes oder des Geldes. (Ausnahmen bestätigen die Regel. Das führt hier aber zu weit. Diese Menschen machen sich auf andere Art unglücklich.) Wer für eine klimagerechtere Welt oder seinen Glauben unterwegs ist, tut das aus Überzeugung und ist damit leicht ausbeutbar. Noch eine Überstunde? Natürlich gerne! Ich weiß ja wofür! Noch ein Amt, ein weiterer wöchentlicher Termin. Die Kinder werden das schon verstehen … Alle Burnoutfälle im Aktivismus und in der Kirche sind ein Armutszeugnis für die Organisation dahinter. Das wir in der Kirche eigene Kliniken für ausgebrannte Pfarrer*innen haben, finde ich immer noch absurd.
Hoffnung
Wer keine Hoffnung hat, engagiert sich nicht. Dass Menschen immer wieder aufbrechen, um eine Fresh X zu gründen, hat damit zu tun, dass sie Hoffnung haben, dass Gott in unserer Welt etwas zu sagen hat. Dass Menschen sich für eine klimagerechte Welt einsetzen; dass sie dafür ins Gefängnis gehen, zeigt, dass sie der Meinung sind, dass wir noch etwas tun können, damit unsere Urenkel auch noch auf dieser Welt leben können.
Ich bin davon überzeugt, dass Kirche in der Nachfolge Jesu nicht anders sein kann als politisch. Dafür gäbe es noch viele Themen, über die es sich nachzudenken lohnt.