inspiriert

Eine Kirche, die begeistert

30. November

Eine Kirche, die begeistert – Ist das nicht super oberflächlich?

Kirche kümmert sich doch ums Ernste und Große.

Und um ehrlich zu sein: Gemeindehäuser, Gebetsformeln, Gregorianik – wen genau soll ich damit begeistern? Meine Freunde jedenfalls nicht.

Und doch sind wir irgendwie begeistert – vom Glauben, von Gott, von Gemeinschaft. Irgendwie haben wir alle dieses Feuer erlebt. Und sind bereit, es mit anderen zu teilen.

Was hat es also mit der Begeisterung auf sich?

Begeisterung und Sehnsucht

Ich glaube, es stimmt, was Nelly Sachs einst sagte, dass alles mit der Sehnsucht beginnt. Am Anfang ist immer die Lücke im Herzen. Eine Sehnsucht, die ahnt, dass es mehr als das alles geben muss. Am Anfang ist da diese Lücke im Innern, in die nur Gott reinpasst.

Meine persönliche Sehnsucht nach Gott hat mich als Jugendlicher mit dem christlichen Glauben in Kontakt gebracht. Ich komm aus Ostdeutschland, hab Jugendweihe gemacht, bin nichtreligiös erzogen, hab brav den Ethikunterricht besucht – und bin damit absoluter Durchschnitt.

Aber meine Sehnsucht hat mich fragend gemacht und irgendwann ins Gebet geführt. Bis heute bete ich mit Psalm 63:

„Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein ganzer Mensch verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.“

Psalm 63,2-3

Gebet, Geborgenheit, Gewissheit

Im Gebet findet meine Sehnsucht ein Zuhause. Plötzlich ist da eine Kraft, die nicht aus mir selbst kommt. Auf einmal passiert was im Gebet. Ich spüre Energie, Geborgenheit. Und das ist für mich ein Erlebnis mit Gottes Geist – also Be-Geist-erung im allertiefsten Sinn.

Dieses Erlebnis: „Da ist eine Energie, eine Kraft, eine Geborgenheit“ – und die Gewissheit: „Das hat mit Gottes Geist zu tun“ – das kann uns überall begegnen. Beim gemeinsamen Essen mit Freunden, beim Joggen in der Natur, bei der Begegnung mit einem Fremden in der Kneipe, beim Buchlesen, beim Rauchen, beim Podcasthören im Auto …

Ich glaube es lohnt sich dieser Sehnsucht nachzuspüren!

Wofür Kirche?

Aber warum braucht es dafür Kirche? Reicht nicht mein persönlicher Glaube? Ich und Gott – wir beide. Das ist doch genug, oder?

Dietrich Bonhoeffer hat einmal so wunderbar gesagt, warum es das Gegenüber und die Gemeinschaft gerade im Glauben braucht: „Der Christus im anderen ist immer stärker als in der eigenen Seele.“

Im Gegenüber begegnet mir Christus. Der andere stärkt meinen Glauben besser als ich selbst kann. Das Evangelium kann ich mir nicht selbst sagen. Und noch ein zweites: In der Gemeinschaft entdecke ich: Ich bin mit meiner Sehnsucht nicht allein. In der Gemeinschaft können wir unsere Leuchtkraft verdoppeln. Jesus Christus verspricht der Gemeinschaft besonderen Segen:

„Wenn zwei von euch auf der Erde gemeinsam um irgendetwas bitten:

Mein Vater im Himmel wird ihnen ihre Bitte erfüllen.

Denn wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen kommen,

da bin ich selbst in ihrer Mitte.“

Matthäus 18,19-20

Eine Kirche, die begeistert – das sind Menschenherzen, die mit ihrer Sehnsucht zusammenkommen und darauf hoffen, dass sie von Gottes Geist berührt werden.

Orte, Räume, Zuhause

Damit ich diese Sehnsucht leben kann, braucht es für mich eine Ästhetik, die mir entspricht. Das wären dann weniger das Gemeindehaus mit gelben Gardinen, Linoleum und Multifunktionstischen, sondern eher ein gemütliches Café mit alten Sesseln und Holzdielen. Oder vormittags der cleane Co-Working-Space, und nachmittags der Indoorspielplatz für mein Kind. Und abends eine Kneipe mit einem Stammtisch, an dem über Gott und die Welt geredet werden kann.

Es braucht diese Orte, wo Sehnsucht ein Zuhause finden kann. Und dafür braucht es nicht nur spirituelle Räume, sondern auch reale Räume. Wirklich.

Und an diesen Orten kann dann etwas Wunderbares geschehen: In der Begegnung fängt etwas an zu fließen. Im Gespräch fühle ich: „Es verbindet uns etwas.“ „Krass, dass dich das auch bewegt.“ „Ach du kommst auch von … ist ja bei mir gleich um die Ecke.“ „Spannend, so hab ich das noch nie gesehen.“

Es sind diese Begegnungen, die ich Flow nennen möchte. Und wenn der da ist, kann Kirche wirklich begeistern. Sehnsucht kann durch den Geist zum Flow werden.

Von der Sehnsucht zum Flow

Das ist meine zentrale These:
Sehnsucht kann durch den Geist in einen Flow verwandelt werden.

All das lässt mich neu auf die Geschichte von Pfingsten blicken. Bisher fing die Geschichte für mich  immer mit dem Geist an, der wie ein Sturm durch ein Wohnhaus braust, alle durcheinanderwirbelt, dann kommen Feuerflammen hinterher und alle reden in Sprachen, die sie in der Schule nie gelernt haben.

Aber: Ich glaube die Geschichte fängt früher an. Nämlich mit der Sehnsucht. Mit der Lücke, die Jesus hinterlassen hat. Lukas erzählt, dass der Auferstandene den Jünger:innen den Geist verspricht –  Und dann vor ihren Augen verschwindet. Erst starren alle zum Himmel. Und warten dann gemeinsam auf den Geist. Haben Sehnsucht. Weil Christus eine Lücke hinterlassen hat, die nur der Geist schließen kann. Und genau davon erzählt Pfingsten.

Neuer Geist und frischer Wind

Wie der Geist kommt – mit frischem Wind für die Seele und Feuer für die Herzen, mit der Erfahrung von Gemeinschaft und der Ahnung: Ich bin Teil von etwas Größerem – da ist ein Kraft, die mich durchdringt und diese Welt zusammenhält und alles zum Guten führen will. Dieser Wunsch – ein Zuhause für die Seele zu finden – er verbindet nicht nur uns. Er verbindet uns auch als Menschheit.

Wir alle haben Fragen, Grenzen, Sehnsucht, viele suchen nach Sinn und heiligen Momenten. So wie ich damals. Mit den Fragenden und Suchen will ich Leben teilen. Dazu gehört auch, dass ich ihnen zeige, wer ich bin, was ich liebe, worauf ich hoffe, wie das Fulbert Steffensky so schön sagte. Aber noch viel spannender für mich ist zu hören:

„Wer bist du? Was liebst du? Worauf hoffst du?“

Gast-sein wagen

Ich glaube: Wenn wir es wagen, als Kirche nicht nur Gastgeberin zu sein, sondern uns auch einladen lassen, zur Gästin, zum Gast werden, dann können wirklich wunderhafte Begegnungen passieren. Die erste Gemeinde hat vielleicht genau das erfahren: Der Geist ist nicht nur für uns da. Die Geistkraft will raus in alle Welt. Dort warten die Abenteuer, die echten Begegnungen, auch die traurigen Geschichten – alles, was unser Leben eben ausmacht. Und genau da, in der Begegnung, ereignet sich Evangelium. Dabei erfahren wir vielleicht, dass andere uns das Evangelium neu erschließen, mit ihren Blicken und Fragen, ihren Erfahrungen und Zweifeln.