Christentum und Wahlen sind nicht die beste Lovestory. Und ich meine hier nicht das geschichtliche Ringen der Institutionen Kirche mit dem Konzept von Demokratie, sondern das grundlegende Konzept von „wählen können“. Der aufmerksame fromme Christ wird wohl an dieser Stelle einwenden: Natürlich hast du eine Wahl im Christentum: Für oder gegen Jesus. Und auch die Eschatologie würde sagen: Am Ende steht der Mensch vor der Wahl für oder gegen Gott. Was wäre das Christentum ohne Wahl? Denn ohne Wahl gäbe es auch keine Erwählung.
Gerade in den letzten Wochen des Bundeswahlkampfs hat mich die Frage nach der Bedeutung von „eine Wahl haben“ beschäftigt. Ein Gespräch hat mich dabei besonders geprägt: Ich habe mit jemanden geredet, die aus Hong Kong stammt und nun in Deutschland das erste Mal die Möglichkeit hat, zu wählen. Und zwar das, was man möchte und richtig findet, ohne Repressionen zu fürchten. Frei zu wählen bedeutet für sie, so wählen zu dürfen, dass es für ihr Leben als Bürgerin keinen Unterschied macht, welche Partei sie wählt.
Jemandem zu sagen, dass er oder sie eine Wahl hat, bedeutet auch, dass man akzeptiert, wie gewählt wird. Dass eine Wahl erst dann frei wird, wenn die Haltung sich nicht mit der Wahl ändert. Und eben da hört im Christentum oft die Lovestory auf. Denn bei uns geht es viel zu oft um das Treffen einer Entscheidung, statt jemanden eine Wahl zu geben. Entscheide dich für das Gute, für die Wahrheit, für das Licht. Und ab dem Moment, wo man sich anders entscheidet, ändert sich die Haltung. Von Bruder und Schwester hin zur armen Seele.
Es ist ein Unterschied, jemanden vor eine Wahl zu stellen oder ihm die Wahl zu lassen. Letztendlich ist eben nicht entscheidend, was ein Mensch wählt, sondern von welcher Hoffnung er sich anstecken lässt. Denn, ob am Ende unsere eigene Wahl gut war, können wir nicht wissen. Ob unsere Entscheidung das Paradies auf Erden wirklich werden lässt, können wir nicht wissen. Und genau deswegen kann es auch nicht um Entscheidungen gehen, sondern darum, täglich die richtige Wahl zu treffen.
Mal frommer. Mal laissez-faire. Doch nie ohne den Respekt zu verlieren, weil uns tief im Inneren wahrscheinlich dieselbe Hoffnung prägt. Selbst, wenn es unterschiedlich zum Ausdruck kommt und dabei manchmal aus der eigenen Sichtweise unverständlich ist. Und so ist morgen auch wieder Wahltag.