Zehn Jahre lang ist es her, seit zum letzten Mal untersucht wurde, wie es um die Kirchenbindung und Kirchenmitgliedschaft der Deutschen bestellt ist. Am Dienstag (14.11.2023) wurde die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) in Ulm vorgestellt. Im Auftrag der Evangelischen Kirche Deutschlands wurden dafür 5282 Personen befragt – nicht ausschließlich Kirchenmitglieder. Erstmals wurde bei der Untersuchung auch die ökumenische Perspektive berücksichtigt, sodass sich die 592 Fragen sowohl an Protestant:innen als auch an Katholik:innen, Freikirchler:innen sowie „Religionslose“ richtete. Die Ergebnisse sind ernüchternd, zum Teil erschreckend, für die Kirchenoberen jedoch kein Grund zur Hoffnungslosigkeit, wie sie bei der Präsentation der Studie verlauten ließen.
Die Ergebnisse der Studie wurden in acht Themenblöcke gegliedert: Orientierungstypen, Religiosität, soziale Lage, Vertrauen, Reformerwartungen, religiöse Sozialisation, Ehrenamt und Gottesdienst. Jeder einzelne Themenbereich verspricht den Interessierten überraschende und spannende Einblicke in die Erkenntnisse der Befragung.
Diese hatte unter anderem ergeben, dass – sollte der aktuelle Trend der Kirchenaustritte anhalten – bereits in den 2040 Jahren nur die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen einer Kirche angehören (im Vergleich zu 2017). Frühere Prognosen hatten solch eine Entwicklung erst für das Jahr 2060 erwartet. Doch nicht nur die Kirchenbindung nimmt ab, auch die Religiosität insgesamt. Nach dem aktuellen Trend wird der Anteil der Christen voraussichtlich im nächsten Jahr unter 50 Prozent fallen; Ender der 2020er Jahre könnten Menschen ohne religiöse Zugehörigkeit die Bevölkerungsmehrheit stellen. Dazu passt auch, dass immer weniger Menschen einen möglichen Kirchenaustritt ausschließen: Nur 27 Prozent der befragten Katholiken und 35 Prozent der Evangelischen schließen einen Kirchenaustritt derzeit aus. Vor etwa zehn Jahren waren es noch 74 Prozent.
Für Annette Kurschus, (zu diesem Zeitpunkt noch) Präses der Evangelischen Landeskirche von Westfalen und Ratsvorsitzende der EKD jedoch kein Grund für Hoffnungslosigkeit. Vielmehr betonte sie am Dienstag, dass die Hoffnung „der Motor aller Prozesse“ sei. Nicht ganz so optimistisch, aber ebenfalls nicht völlig hoffnungslos war der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Studie, Kirchenpräsident Volker Jung. Er sprach vom Eintritt in ein „postkonfessionelles Zeitalter“, denn die Studie habe auch gezeigt, dass es nicht stimmt, dass sich das religiöse Leben außerhalb der Kirchen individualisiert. Wer bisher konfessionslos war, der bleibt es auch. Doch auch konfessionslose Menschen haben (wie auch die Kirchenmitglieder) Erwartungen an das politisch-soziale Engagement der Kirche. So erwartet die Mehrheit der befragten Konfessionslosen, dass sich die Kirchen für die Rechte von Geflüchteten einsetzt oder Menschen in schwierigen Lebenssituationen berate. Allerdings wird genau dafür aller Voraussicht nach durch die weiteren Kirchenaustritte das Geld fehlen.
Jung sieht darin weniger ein Problem: Auch eine kleinere Kirche könne effektiv sein, wie er am Dienstag betonte. Gleichzeitig warnt er davor, dass die Kirche nicht ausschließlich zu einem reinen Sozialbetrieb werden sollte, obwohl es durchaus sinnvoll sei, die Prioritäten in den Landeskirchen und Gemeinden aufgrund der Studienergebnisse erneut zu überprüfen.
Die Studie gibt auch Hinweise darauf, worauf die Kirchen besonderes Augenmerk legen sollten: Religiöse Sozialisation findet vermehrt im Konfirmandenunterricht statt und nicht mehr ausschließlich im Elternhaus. Durch kirchliche Jugendarbeit werde „ein tiefes Fundament“ gelegt wie die SPD-Politikerin und EKD-Ratsmitglied Kerstin Giese im Synoden-Plenum betonte. Durch eine erfolgreiche Jugendarbeit könne auch heute noch Kirche eine Heimat für viele sein und werden.