Warum hat das Thema „Mission“ eine Relevanz für Gemeinden vor Ort?
Wie Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, so sendet Jesus uns. Mission gehört daher zum inneren Wesenskern der Kirche und ist daher auch für jede lokale Gemeinde bedeutsam. Neben dieser theologischen Bestimmung kann man auch beobachten: Gemeinden ohne Mission schlafen ein und drehen sich zunehmend um sich selbst. Lebendiges Gemeindeleben entsteht dort, wo eine Gemeinde nicht nur an sich selbst denkt, sondern sich in die göttliche Sendung hineinnehmen lässt. Und dann gibt es auch noch einen kontextuellen Faktor: In unserer Zeit ist das Christsein nicht mehr selbstverständlich. Menschen suchen nicht mehr automatisch den Kontakt mit Kirche und Glauben. Kulturelle christliche Werte verblassen. Das erfordert von der Kirche ein stärkeres und überzeugtes Eintreten für das Evangelium.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Mission „einen klaren theologischen Kompass“ braucht. Wie sieht dieser aus?
Wir sind zunächst grundsätzlich davon überzeugt, dass es sowohl missionarisch als auch geistlich nicht fruchtbar ist, wenn man versucht, Glaubenswahrheiten dadurch genießbar zu machen, dass man sie an den kulturellen Konsens und an gesellschaftliche Erwartungen anpasst. Wir kennen keine Beispiele, in denen theologische Beliebigkeit nachhaltig zu gesunden lebendigen Gemeinden geführt hätte. Im Gegenteil: Gerade die Orientierung an einer Wahrheit, die grösser ist als wir selbst und unsere eigene kleine Welt, erweist sich als heilsam und missionsfördernd. Die exakte Definition eines theologischen Kompasses mag schwierig sein. Im Kern denken wir an eine Hochachtung der Bibel als Selbstmitteilung Gottes. Es hat dem Volk Gottes immer geschadet, wenn Gottes Wort in Frage gestellt, verdreht oder gar bewusst ignoriert wurde. Die altkirchlichen Bekenntnisse haben der Kirche über Jahrhunderte Grundlage und Orientierung gegeben – und wir glauben, dass eine Rückbesinnung auf diese Bekenntnisse gerade in nach-christentümlichen Kontexten besonders bedeutsam ist. Im Zentrum geht es um Jesus Christus, der als wahrer Gott und wahrer Mensch in der Lage ist, Gott und Mensch zusammenzubringen.
Wie kann ich ein Gespräch über den Glauben mit einem postmodern geprägten Menschen beginnen? Wo sind da meine Andockflächen?
Trotz einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber Kirche und Glauben bleiben spirituelle Grundinstinkte bestehen. Sie sind zutiefst in unser Menschsein hineinverwoben. Dazu gehört die Sehnsucht nach Schönheit, nach Liebe, nach Gerechtigkeit, nach Beziehung, nach Gemeinschaft. Aber auch die Erfahrung von Bösem, von Ungerechtigkeit, von Zerbrochenheit, von Schuld und Scham und damit die Sehnsucht nach einem „guten Leben“. Diese Themen „jucken“ unsere Mitmenschen nach wie vor. Gespräche über den Glauben können also gut dort beginnen, wo wir mit unseren Mitmenschen in Gespräch kommen über das, was sie bewegt und erfüllt, was ihnen Angst macht und worauf sie hoffen. Die Auseinandersetzung mit unerfüllten Sehnsüchten ist häufig ein Ansporn, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Das gibt die Gelegenheit, Jesus Christus als denjenigen zu bezeugen, der unser Menschsein in der Tiefe erfüllt und uns eine tragende Hoffnung schenkt – auch mitten in der Gebrochenheit des Lebens.
Wie agiert eine Gemeinde, die Menschen den Weg zu Jesus erleichtern und Steine schon vorab aus dem Weg räumen will?
Wenn Menschen heute zum Glauben kommen, geschieht das in aller Regel in einem längeren Prozess. Man hat das häufig mit dem Ausdruck „belonging before believing“ beschrieben. D.h. Menschen fühlen sich bereits über einen gewissen Zeitraum zu einer kirchlichen Gemeinschaft zugehörig, bevor sich ein eigener aktiver Glaube an Jesus Christus herausbildet. Für die Gemeinde bedeutet das, dass sie ihre Räume öffnet, damit Menschen die Gemeindepraxis miterleben und in eine Glaubensgemeinschaft hineinschnuppern können. Das lässt sich unter dem Stichwort „Gastfreundschaft“ beschreiben – ein für uns zentrales Konzept missionarischen Gemeindeaufbaus. Gastfreundliche Gemeindekultur bedeutet: Den anderen in seinem Fremdsein wahrzunehmen und zu lieben und mit ihm das zu teilen, womit wir von Gott beschenkt sind. Ganz konkret geht es auch um Tischgemeinschaft und um Gespräche, in denen skeptische Fragen, Zweifel und andere Meinungen angstfrei geäußert und besprochen werden können.
Seit den Anfängen der Fresh-X-Bewegung sprechen wir von einer „Geh-Struktur“ hin zu Menschen. Haben attraktionale Angebote in Kirchen und Gemeindehäusern dann noch Zukunft?
Hingehen und Hinzukommen – Sendung und Sammlung – spielen wir nicht gegeneinander aus. Mission in einem biblischen Sinn kennt beide Dynamiken und verbindet sie miteinander. Jesus selbst sagt: „Geht hin in alle Welt“ (Geh-Struktur) und „Kommt her, ihr Mühseligen und Beladenen“ (Komm-Struktur). Wir sehen schon, dass rein attraktionale Event-Angebote mit Konzertatmosphäre zwar kurzfristig viele Menschen anlocken können, aber nicht unbedingt nachhaltig wirksam sind. Das ist auch so ressourcenintensiv, dass dies von vielen Gemeinden so gar nicht zu leisten ist. Wir nehmen dagegen wahr, dass nachhaltige Mission dort gelingt, wo Gemeinden den Beziehungsfaktor (Hingehen) mit gästesensiblen Gottesdiensten (Hinzukommen) verbinden.
Andreas Schmierer ist Studienassistent im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen und dort für Praktische Theologie und die Studienbegleitung junger Theologen zuständig. Ehrenamtlich engagiert er sich im 3E-Redaktionsteam und der Prädikantenarbeit.
Zum Weiterlesen:
„Gemeinde mit Mission. Damit Menschen von heute leidenschaftlich Christus nachfolgen. Grundlagen und praktische Impulse“ (Brunnen Verlag) von Prof. Dr. Philipp Bartholomä und Prof. Dr. Stefan Schweyer. Reflexionsfragen finden sich auf der dazugehörigen Website: www.gemeindemitmission.net.