inspiriert

Mit Gott im Wald

11. August

Wir alle kennen das Gefühl. Beeindruckt, staunend, demütig stehen wir da. Mitten im Wald. Auf dem Gipfel. Am Meer. Sind ergriffen von der Schönheit der Natur, dem Zusammenspiel, der Farbpracht, der Kreativität. Selten ist man Gott so nah wie in der Natur. Deshalb nehmen wir euch heute mit auf einen Spaziergang durch den Wald.

Dämmrig ist es unter den großen alten Buchen. Sonnenstrahlen tauchen durch das dichte Blätterwerk und erreichen den Boden, der noch vom Laub des letzten Herbstes bedeckt ist. Hier und da recken grüne Keimlinge ihre zarten Blätter der Sonne entgegen. Langsam gehe ich von Baum zu Baum. Der Klang meiner Schritte wird sanft vom weichen Moos und Laub abgefedert. Ruhe begegnet mir im Wald – aber keine Totenstille.

Leben, Leben und noch mehr Leben so weit das Auge reicht. Ich fühle mich hier wohl. Als hätte die ganze Pracht des Waldes auf mich gewartet und würde mich nun zu einer Begegnung einladen. Ich bin willkommen und erwünscht. Die Blätter rauschen im Wind und ein Eichelhäher kündigt den Waldbesucher dort unten am Boden an.

Wer schon einmal allein im Wald unterwegs war, der kennt dieses Gefühl von Demut, wenn man den Blick an diesen mächtigen Baumstämmen nach oben gleiten lässt, hinauf zu den Baumkronen. Alt sind diese Bäume, lange stehen sie schon hier, viel länger, als ich auf dieser Erde mein Zuhause habe. Und doch: Im Wald fühle ich mich zu Hause, eine Verbundenheit, die bis in meine Kindheit in Polen zurückreicht und meine Berufswahl mit beeinflusst hat. Hier kann ich sehen, spüren, hören. Bewundern. Staunen. Wenn ich auf dem weichen Moos liege oder die Walddüfte bewusst tief einatme, schmecke und rieche, werde ich Teil dieser unglaublichen Schöpfung, kann mich fallen lassen und mein Herz öffnet sich weit. Im Wald begegnet mir Gott. Immer wieder. Neu.

Wenn wir zurückblicken auf den Anfang, auf die Schöpfungserzählung, dann schafft Gott an dem dritten Tag etwas Besonderes: das erste Leben. Pflanzen. Und das Zusammenspiel, das Netzwerk und die gegenseitige Unterstützung dieses zarten, grünen Lebens nennen wir heute: Wald (1. Mose 1,11-13). Ein Zuhause. Lebensraum und Schutz für so viele Lebewesen.

Auch wenn die Menschen den Wald als Lebensraum immer wieder verändert und genutzt, hier und da Bäume entnommen und neue gepflanzt haben, darf der Wald sich nach eigenen Regeln entwickeln und sein einzigartiges Leben beständig nach eigenen Gesetzen gestalten. Im Wald fühle ich mich lebendig und mit der Schöpfung, wie sie erdacht war, vereint. Er ist ein Hinweis auf den Schöpfer. Egal, ob bloßes Auge, Vergrößerungsglas oder Elektronenmikroskop – Gott ist sichtbar – in der großen, mächtigen Eiche genauso wie im kleinsten Molekül. Schon der Apostel Paulus schrieb:

Gott ist zwar unsichtbar, doch an seinen Werken, der

Schöpfung, haben die Menschen seit jeher seine ewige

Macht und göttliche Majestät sehen und erfahren können.

Römer 1,20; Hfa

Im Wald, in der Schöpfung Gottes, dürfen wir seine Größe und Ewigkeit erahnen …

Im Wald ticken die Uhren anders

Die mächtigen Bäume – sie standen schon hier, bevor ich geboren wurde, und werden auch noch weiterwachsen, wenn ich schon gestorben bin. Im Wald ticken die Uhren anders, ist die Zeitrechnung eine andere, als es in unserer heutigen Gesellschaft üblich ist. Kein Schnell-Schnell, kein Sofort. Das Bewusstsein, ein Teil einer größeren Geschichte zu sein, ist im Wald greifbar. Die Baumbestände, die ich heute begleite, werden erst in der nächsten Generation ihre Reife entwickeln, und das, was ich heute nutzen darf, haben die Generationen vor mir, ohne selbst etwas davon gehabt zu haben, angelegt. Bäume können sehr alt werden. Vor allem Linden, Eiben und Eichen, von denen die ältesten in Deutschland auf ein Alter von ca. 1200 Jahren geschätzt werden. Es ist ein ehrfürchtiges Gefühl, vor so einem Zeitzeugen zu stehen. Wie viele Gewitter, wie viel Hagel, wie viele Brände oder Kriege hat so ein Baum wohl schon überstanden? Da wird man als Mensch gleich etwas demütiger.

Vom Ende her gedacht

Im Wald lernen wir, die Perspektive zu wechseln und vom Ende her zu denken – über unser zeitliches Leben hier auf der Erde hinaus. Wer im Wald unterwegs ist, wird immer wieder einzelne abgestorbene Zweige von Bäumen am Waldboden finden oder auch ganze Bäume, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Leben gelassen haben. Abgestorbene Blätter und Pflanzen bedecken den Boden und bilden die für die lebenden Organismen wertvolle Humusschicht. Sie kann bis zu 15 Zentimeter dick sein und wird in dem stabilen Ökosystem Wald in genau dem gleichen Tempo wieder abgebaut, in dem neue tote Masse dazukommt. In der  oberen Schicht des Humus sind Nadeln oder Blätter noch gut erkennbar, mit zunehmender Tiefe hinterlässt der Zersetzungsprozess schon deutlichere Spuren und ganz tief unten ist nur noch eine dunkle, vollständig umgewandelte Masse vorzufinden. Das abgestorbene Waldmaterial wird genutzt und wiederum nutzbar gemacht. Nichts wird weggeworfen, alles hat einen Nutzen. Das Leben eines Baumes geht über seinen Tod hinaus und reicht in die folgenden Baumgenerationen hinein. So sind unser Sein und Handeln im Hier und Jetzt wichtig, zunächst für uns und unsere Generation. Aber unser Blick sollte weiter reichen, denn unser Tun und unsere Entscheidungen werden unser Leben hier auf der Erde überdauern und kommende Generationen beeinflussen.

Die Perspektive wechseln

Das, was wir heute tun, hinterlässt Spuren. Im optimalen Falle sind es Gaben, schlimmstenfalls Lasten für die Menschen um uns herum und die uns folgenden Generationen. Jeder von uns hat eine Rolle in dieser Welt bekommen. Egal, ob wir wollen oder nicht: Wir beeinflussen das Weltgeschehen – entweder positiv oder negativ, und zwar jede Stunde aufs Neue und weit über das Ende unseres Lebens hinaus. Wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, Wellen verursacht, die sich auch dann noch weiter ausbreiten, wenn der Stein längst am Boden des Sees angekommen ist, so wirkt ein Mensch auch noch nach seinem Tode in die Zukunft hinein. Es ist wichtig, wie diese Kreise aussehen werden, und oft haben wir es in der Hand. Es lohnt sich also, vom Ende her zu denken und die Perspektive zu wechseln.

Wenn wir vieles richtig tun, dann dürfen wir für unsere Umgebung zum Vorbild und Segen werden und sie auf diese Weise nachhaltig positiv verändern. Ich möchte Sie auf ein Gedankenspiel einladen: Vielleicht beeinflussen Sie in Ihrem Leben eine Handvoll Menschen positiv, indem Sie heute gute Entscheidungen treffen, gut handeln. Was wäre, wenn diese Handvoll Menschen wieder jeweils eine Handvoll positiv beeinflussen würde? Und diese dann wieder … Unser Handeln heute, es ist nicht egal. Es ist auch nicht nur im Hier und Jetzt von Relevanz. Nicht nur für mich. Haben Sie den Mut, die Perspektive zu wechseln, schauen Sie vom Ende her und Sie werden Erstaunliches entdecken – Sie werden Chancen und Handlungsoptionen im Hier und Jetzt entdecken.

Vielleicht werden wir das Ergebnis unserer Handlungen, unserer Entscheidungen nie selbst erleben, so wie Mose, der das Volk Israel aus Ägypten führte, Jahr um Jahr mit ihnen durch die Wüste Sinai zog, immer auf dem Weg in das gelobte Land, in dem er selbst nicht mehr leben durfte. Ein Handeln mit Auswirkungen – für die nächsten Generationen. In der Unterstützung eines anderen, im Schutz dieser wunderschönen Schöpfung – in jeder liebevollen Tat – investieren wir in die Zukunft. Der Wald, den wir heute nutzen dürfen, wurde vor Generationen gepflanzt und über Generationen hinweg gepflegt. Jetzt sind wir an der Reihe. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass der Wald die Klimakrise übersteht. Wir dürfen dafür sorgen, dass die Menschen unserer Umgebung durch unseren Einsatz sich in eine positive Richtung entwickeln. Wir sind ein unendlich wichtiger Teil der Geschichte und beeinflussen diese auch dann, wenn unser Name nie in einem zukünftigen Geschichtsbuch auftauchen sollte. Wer heute in seine Kinder und die Menschen um ihn herum Gutes hineinlegt, wird es weiterreichen und es kann in Zukunft große Früchte tragen. Vielleicht werden wir die Erfolge erst nach Jahren zu Gesicht bekommen, vielleicht auch nie. Doch, wie beim Wald, es lohnt sich.


Dieser Text ist ein gekürzter Buchauszug von:

Darius Götsch “Im Wald. Die Weisheit der Schöpfung für unser Leben entdecken”, erschienen bei SCM Hänssler.

Wer darüber hinaus wissen will, was der Wald mit Kirche und Kirchenentwicklung zu tun hat, dem sei die Frischetheke-Folge 74 mit Dr. Thomas Schlegel unbedingt ans Herz gelegt. Überall da zu hören, wo es Podcasts gibt oder auf der Frischetheke-Website.