inspiriert

Philipp Elhaus: Multiprofessionelle Teams sind wirkungsvoll.

31. Oktober

Wo früher Lücken klafften, kündigt sich ein zaghafter Aufbruch an. Die Landeskirche Braunschweig stellte das Pfarramt auf den Kopf, holte Gebäudemanager, Regio-Manager und Verkündigungsdiakone ins Spiel – und erlebte, wie Gemeinden aus der Depression ins Gestalten katapultiert wurden. Ein Gespräch mit Philipp Elhaus, der diesen Erprobungsraum für das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD evaluiert hat. 

Kirche transformiert sich derzeit stark, oder?

Es ist eine spannende Zeit, aber auch eine herausfordernde. Plötzlich wird überall geschraubt: an Gebäuden, Berufsprofilen, Raumstrukturen, an Finanzen. Alles kommt gleichzeitig auf den Tisch.

Die Ev.-lutherische Landeskirche in Braunschweig nutzt das Momentum und testete neue Berufsprofile in multiprofessionellen Teams in Kirchenkreisen aus. Warum wurde dieses Experiment gewagt?

Die klassischen Berufsprofile auf Gemeindeebene bestehen meist aus Pfarrerpersonen, Diakon:in, Kirchenmusiker:in und – oftmals nebenberuflich – Pfarrseketär:in und Küster:in. Neu ist, dass die Landeskirche hier nochmals ganz andere Berufsprofile ausgetestet hat in Richtung Gebäudemanager:in, Regio-Manager:in und Diakon:in im Verkündigungsdienst.

Was war der Anlass, diesen Weg zu beschreiten?

Schlicht der Mangel. Die Pfarrstellen im ländlichen Raum ließen sich nicht mehr besetzen. Da kam die Landeskirche auf die Idee: Liebe Kirchenkreise, wenn ihr bereit seid, auf die Besetzung der klassischen Pfarrstellen zu verzichten, könnt ihr gerne mal mit diesen drei Berufsgruppen experimentieren und eine neue Form der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams ausprobieren.

Über das Hindernis des Loslassens des „das-war-doch-schon-immer-so“ mussten alle Beteiligten aber erstmal springen?

Absolut! Die Hürde war der Verzicht auf die Widerbesetzung der klassischen Stelle in der Vakanz. Den Sprung mussten die Kirchenkreise und die Gemeinden wagen.   

Welche konkreten Entlastungseffekte konnten Pfarrerinnen, Kirchenvorstände und Kirchenkreise durch die neuen Stellenprofile spüren?

Gerade bei Baufragen erlebten die Ortsgemeinden eine große Entlastung. Die Liegenschaftsbeauftragten übernehmen Kommunikation mit Handwerkern, landeskirchlichen Bauabteilung. Auch im Bereich Vernetzung und Professionalisierung des Ehrenamtsmanagement bringen die neuen Profile spürbare Entlastung – und einen großen Mehrwert für die Ehrenamtlichen.

Gab es auch Schattenseiten?

Ja, etwa beim Diakon im Verkündigungsteam: Das Profil war ein unkonventionelles Upgrade. Der Diakon übernahm pfarramtliche Tätigkeiten, brachte damit Entlastung für die Gemeinden vor Ort und für die Kollegen, die diese Leerstellen vertreten müssen. Und setze auch neue Akzente bei Kooperationen mit Vereinen, Kitas und Schule vor Ort. Jetzt brannte wieder Licht im Pfarramt. Doch damit wurden auch alte Pfarr- und Gemeindebilder bestätigt – und gerade kein Signal für weitergehende Transformation gesendet. Zudem standen auch rechtliche und Vergütungsfragen im Raum. Wie verhält sich das Angestelltenverhältnis zum Pfarramt? Entsprechende Fragen gab es auch bei den anderen Berufsprofilen. Es liefen Hausaufgaben auf für die Kirchenverwaltung. Rollen mussten geklärt werden: Sind wir Ermöglichungsort oder sind wir Reglementierungsinstanz? Und wenn beides: in welchem Verhältnis stehen diese unterschiedlichen Rollen?

Was waren zentrale Erfolgsfaktoren und Stolpersteine in der bisherigen Erprobungsphase, gerade im Blick auf Akzeptanz und Passung von Stellenprofilen?

Erfolgsfaktoren waren auf alle Fälle die Menschen und ihre intrinsische Motivation, die sich auf diese Projektstellen beworben hatten. Bei denen war spannend zu sehen, dass die Kompetenzen, die sie mitbrachten, wichtiger und wesentlicher waren als die Frage der konkreten Berufsausbildung. Erfolgsfaktor war auch, dass sich die Gemeinden vorher mit den Kirchenkreisen hinsetzten und überlegten: Was brauchen wir für ein Profil? Was wollen wir haben? Als eine durchaus bittere Pille erwies sich, dass das Geld, welches Gemeinden für eine Pfarrperson „einsparten“, nun nicht 1:1 in die neuen Stellenprofile überging. 

Wie verändert das Zusammenspiel der Berufsgruppen das Bild von Gemeinde und Pfarramt? Spürst du einen Kirchenwandel?

Vielleicht ist Kirchenwandel ein zu großes Wort. Es ist der Anfang eines Weges. Wandel geschieht oft durch Irritation, Rollen werden neu verteilt. Fachleute für verschiedene Bereiche arbeiten jetzt im Team auf Augenhöhe statt im klassischen „Hirtenmodell“, mit der Pfarrberuf als Leitprofession. Pfarrerpersonen müssen sich neu erfinden. Das bringt auch Unsicherheit: Wozu bin ich als Pfarrer:in jetzt noch da? Auch die Fragen von Deutungsmacht und Geschäftsführung müssen bei der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams geklärt werden. Diese Klärung kostet am Anfang Zeit, entscheidet aber über den Erfolg des Neuen. 

Gab’s Momente der Aufbruchstimmung?

Plötzlich werden neue Bilder von Kirche nach außen transportiert. Der Liegenschaftsbeauftragter wird zum Repräsentanten der Kirche, zum Gesicht für die Handwerker neben der Pfarrperson und füllt die regionalen Raumstrukturen – in Braunschweig heißen sie Gestaltungsräume – mit Leben. Kirche kommt professioneller rüber. Über die Regio-Manager:in werden interne Abläufe optimiert, das Ehrenamtsmanagement kommt in Schwung und in der der Vernetzung und im Kontakt mit der Zivilgesellschaft wird Kirche in der Zivilgesellschaft präsenter. Die neuen Hauptamtlichen sind sozusagen Katalysatoren des Wandels. 

Wo erleben Gemeindeakteure bereits heute neue „Flow-Momente“ oder Aufbruchsstimmung durch die Stellenprofile?

Ja, gerade durch die Gestaltungskraft der neuen Stelleninhaber: innen und Resonanz aus den Gemeinden. Die Personen merkten: Hey, ich bin einer, der Kirche mit verändern kann. Plötzlich war „Ownership“ da. Ein Gefühl von Eigenverantwortung, der Zugehörigkeit und Identifikation mit einer Sache beflügelte die Pioniere. Sachen liefen besser. Es wurde wirklich etwas Neues ausprobiert und das hat funktioniert. Die Ortsgemeinden kamen raus aus der Depressionsschleife des Abbruchs, erlebten eine Win-Win-Situation. Sie wurden entlastet und es taten sich für sie neue Spielräume für Veränderung auf, auch im Blick auf regiolokale Zusammenarbeit.

Welche praktischen Empfehlungen ergeben sich aus der Evaluation?

Diese Evaluation des Experimentes wurde in die Kirchenleitung und in die Synode zurückgespielt. Diese entschieden nun: Wir machen aus dem Sonderfall einen Normalfall. 

Der Personalmix kann jetzt in anderen Kirchenkreisen ausprobiert werden?

Richtig, aber auch über die neuen Berufsprofile hinaus. Multiprofessionelle Teams sind kein Wundermittel. Die finanziellen Ressourcen bleiben begrenzt, es geht um Umschichtung. Die praktischen Erfahrungen in Braunschweig zeigen jedoch, wie wirkungsvoll solche Teams sind und wie wichtig konzeptionelle und externe Begleitung ist. Die Kirchenkreise und Gemeinden haben jetzt die Möglichkeiten zu überlegen: Was brauchen wir? Welche Menschen für welche Aufgaben mit welchen Kompetenzen? 

Für welche künftigen Herausforderungen und Entwicklungsprozesse ist die Untersuchung ein Türöffner – und was bleibt für die Kirchenreform der nächsten Jahre zu klären?

Erstens: Es lohnt sich mit diese Erprobungslogiken zu arbeiten. Es gilt, aus der Not eine Tugend zu machen, von Kompetenzen, statt Professionen her zu denken. Zweitens: Multiprofessionelle Teams sind ein wirksamer Hebel für kirchlichen Wandel, sofern sie gut verankert und begleitet sind. Drittens: Die Transformation braucht Zeit wie ein Sauerteig: langsam, aber nachhaltig.

Warum würdest du Kirchenkreisen empfehlen, wagt dieses Modell?

(lacht) Es ist eine schöne Variante aus der vermeintlichen Not, den Vakanzen, den Brachstellen, den strukturellen Löchern … eine Tugend zu machen. Es ist die Möglichkeit anderen Menschen Raum zu geben, beruflich Kirche mitzugestalten, die nicht aus den klassischen Zugangswegen kommen. Es ist auch die Chance, Kirche nochmals unternehmerischer anzugehen, aus der Angebotslogik hin zu einer stärker nutzerorientierten Logik zu finden. 

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!

Rüdiger Jope ist Redakteur des Kirchenmagazins 3E und des Online-Magazins BASECAMP.

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