Kirche under construction auf dem Innovationstag von TeamGeist
Eine leergeräumte Stadtkirche in der Fußgängerzone in Dortmund. Verantwortliche für Innovation, Veränderungsprozesse, missionalen Gemeindebau, Jugend oder Ehrenamtliche. Ein Musiker. Zwei hauptverantwortliche Organisator:innen. Drei Mikrofone. Eine gemeinsame Frage: Wie machen wir weiter?
Eingeladen hatten Klaus-Martin Strunk, Geschäftsführer des Innovationsförderungsfond der Evangelischen Kirche von Westfalen, TeamGeist, und dessen Assistentin Frauke Linke. In der Stadtkirche St. Petri in Dortmund kamen dann auch Vertreter:innen der Landeskirche Westfalens, aber auch der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, der Evangelisch-Lutherischen Kirche Hannovers, der Evangelischen Kirche von Kurhesse-Waldeck, der Evangelischen Kirche von Hesse-Nassau sowie Angestellte freier Werke, die im Bereich der missionarische Kirchenentwicklung unterwegs sind oder Hauptamtliche aus Kirche und Co., um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Mehr reden und mehr handeln
Den Auftakt des Innovations- und Vernetzungstags bildete eine Podiumsdiskussion mit Dr. Thomas Schlegel (EKM), Dr. Hubertus von Stein (Xpand), Andreas Schlamm (midi und AMD), Dr. Gabriele Stahl (Beauftragte für Innovationsförderung in der EKKW), Katrin Eckelmann (Leiterin d. Jugendreferats im KK Vlotho), Elke Upmeier zu Belzen (Architektin), Alexandra Beitz (seit Mitte April ´24 Referentin für Innovation (Koordinationsstelle “Neue kirchliche Ideen in der Praxis in der EKHN), Steffen Bauer (Leiter Ehrenamtsakademie EKHN), Torsten Pappert (Initiative missionarische Aufbrüche in der Evang. Luth. Landeskirche Hannover) und Dr. Leita Ngoy (oikos-Institut EKvW). Steffen Bauer führte die Podiumsteilnehmer:innen und das Auditorium in seine Analyse der gegenwärtigen Kirchensituation ein, malte dabei jedoch nicht ausschließlich das gängige pessimistische Bild, sondern strich Hoffnungsstreifen ein. Von radikalen Änderungen, die das System infrage stellen: In der evangelischen Landeskirche der Pfalz startete Ende letzten Jahres ein Priorisierungsprozess, dessen vordergründiges Ziel zwar Einsparungen sei, die jedoch umfangreich systemisch erreicht werde sollen, in dem “die Landeskirche einmal auseinander- und anschließend wieder neu zusammengebaut” wird. Durch den systemischen Abbau von Strukturen bei gleichzeitiger Installation von Priorisierungen und Themenschwerpunkten soll so Einsparpotenzial gefunden werde. Die Synodalen, die im Herbst 2023 quasi beschlossen, sich und ihre Macht selbst zu beschneiden, um den Themen und den Mitgliedern der Landeskirche mehr Raum zu bieten, sehen darin die Zukunft der Kirche. Agil. Flexibel. Nah. Themenbasiert.
Und so sprachen die Teilnehmenden des Podiums mit den Anwesenden darüber, welche Möglichkeiten es in den anderen Landeskirchen gibt, um Projekte in die Breite zu bringen, um überhaupt vom Projektstatus wegzukommen und nachhaltig Kirche zu gestalten. Die Diskussion brachte einige starke Zitate hervor:
“Diejenigen, die optimieren wollen, werden abnehmen. Die, die transformieren wollen, werden zunehmen.” Steffen Bauer
“Kontrollverlust ist die kleine Schwester der Innovation”, sagte Torsten Pappert; Hubertus von Stein fragte nach: “Oder ist Kontrollverlust nicht vielleicht die Mutter der Innovation?”
Dr. Leita Ngoy, aufgewachsen in Tansania berichtete von dem “Kulturschock Kirche”, den sie in Deutschland erlebte. Nach ihrer Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum und ihrer Anstellung am oikos-Institut ist sie Pfarrerin im Probedienst in Gütersloh. Dort, so betonte sie, bereichern sie vor allem die Begegnungen mit anderen Meschen: “Niemand kann einem sagen, warum die Leute aus der Kirche austreten, außer man verbringt Zeit mit ihnen und fragt sie.”
Es kamen auch die Ideen auf, dass man die kirchliche Arbeit nicht nur in Aufgaben für Haupt- und Ehrenamtliche aufteilt, auch Raum für ein “Nebenamt” sollte gedacht werden. Ein Besucher der Veranstaltung plädierte in diesem Zusammenhang gar für die Abschaffung des Beamtenverhältnisses, was durchaus auf Interesse stieß. Auch ein Umbau der Pfarrstelle, in der es keine Verwaltungstätigkeiten mehr gäbe, wurde als Anregung weitergegeben.
Alexandra Beitz betonte in diesem Zusammenhang auch noch einmal das Priestertum aller Gläubigen – dies gilt es in diesen Zeiten im Hinblick auf die frischen Formen von Kirche noch einmal neu durchzubuchstabieren und sich zu vergegenwärtigen: “Die innovativen Projekte sind für mich auch ein Ausdruck des Priestertums aller Getauften – eine Innovation der Reformation. Kirche wandelt sich auch durch mehr Beteiligung und Dialog.”
In all dem Planen und Denken, transformieren und gestalten, mahnte Dr. Thomas Schlegel, dass wir “Lernen als Projekt verstehen und nicht als Prozess.” Wir werden aber nicht so schnell fertig sein mit Lernen, im besten Fall begleitet es uns unser ganzes Leben.
Andreas Schlamm plädierte dafür, wegzukommen von dem Gedanken der Kirche als Institution. “Wir müssen weg davon kommen, die Institution zu stabilisieren und Kirche als Institution zu sehen. Wir müsse Kirche als Netzwerk sehen.” Weiter sagte er: “Wir müssen mehr reden. Mehr wirklich kommunizieren. Und gleichzeitig ins Handeln kommen.”
Dies könne geschehen, wenn Kirche sich als “Transformationsbegleiter” sehen, wie Torsten Pappert anregte.
Unterm Strich einigten sich sowohl die Podiumsteilnehmer:innen als auch die Anwesenden darauf, dass es auf eine veränderte Haltung ankomme. Steffen Bauer fasste dies so zusammen: “Wir brauchen nicht noch eine neue innovative Idee. Wir brauchen eine andere Haltung. Eine Haltung, in der wir sagen können: Mal gucken, was passiert.”
Das Feuer zum Lodern bringen
Nach einer Mittagspause fand am Nachmittag in der St. Petri Kirche das TeamGeist Vernetzungstreffen statt. Musiker Jan Primke führte – wie schon am Vormittag – musikalisch durch das Programm und animierte die Anwesenden stimmlich über sich hinauszuwachsen. Dr. Leita Ngoy zeigte in ihrer Andacht die Unterschiede der Kirche in Deutschland und in Afrika. Gottesdienste seien so vorhersehbar, sagte sie und ermutigte, mehr Überraschendes im Gottesdienst zu wagen. Denn die entsprechenden Zutaten für ansprechende Evangeliumsverkündigung aka wohlschmeckende Suppe haben wir alle. Es komme darauf an, dass wir das Feuer wieder zum Lodern bekommen, um die Suppe zu kochen.
Als Learning-Community Kirche sein
Eine Fishbowl-Diskussion, bei der sich Mutige aus dem Publikum einen Platz im Gesprächskreis sichern konnten, schlug für diejenigen, die später erst in die Kirche gekommen waren, die Brücke zum Vormittag: Welche Skills brauchen wir, um Kirche zu verändern? Wie gelingt es, Projekte nachhaltig in das kirchliche System zu implementieren. Dabei wurde festgestellt: Der große Schatz, der uns miteinander verbindet, sind unsere unterschiedlichen Erfahrungen und das Wissen. Dieses gilt es zu teilen. Kirchentransformation braucht keine neuen Projekte. Sie braucht Pionier:innen, die ihr Wissen, ihre Erfahrung, aber auch ihre Fragen miteinander teilen und als Learning Community gemeinsam Neues erproben.
Voneinander lernen, das sollte auch in den sich daran anschließenden BarCamps möglich gemacht werden. Bei Musik und Storytelling ging es um die Fragen, welche Geschichte wir mit unserer Arbeit/in unseren Gottesdiensten erzähle wollen. Welche Emotionen für Veränderungsprozesse hilfreich sind und welche nicht. Und wie eine Moderation von Musik, Emotionen und Veränderungen aussehen könnte. An einer anderen Flipchart wurden unterschiedliche Möglichkeiten der Kirchennutzung vorgestellt, um auch hier dem Untergangsszenario der leerstehenden Kirchen etwas Positives entgegenzusetzen. Wie Veränderung und Verwandlung gut gelingen kann, besprach eine weitere Gruppe anhand des Bilds der Imago-Zellen. In der vierten Gruppe ging es um Kirche, Fresh X und Digitalisierung (Social Media), ein weiteres Lernfeld, auf dem Kirche sich noch weiter entwickeln kann.
Lernen, reden, netzwerken
Dazwischen, davor und danach blieb viel Zeit für Austausch, Netzwerken und angeregte Diskussionen, sodass die Teilnehmenden dieses Innovations- und Netzwerktags mit einem Lächeln die Kirche verließen, in dem Wissen, dass dieser Tag sie für ihre Arbeit neu gerüstet und gestärkt hatte. Damit schloss sich – ganz unbeabsichtigt – der Kreis: Denn Jam Primke hatte diesen mit der Frage begonnen: Wo kommst du glücklicher her, als du hingegangen bist? Etliche konnten an diesem Donnerstag antworten: Aus der Kirche.