Es ist ein belebter und ein beliebter Ort. Grün. Mit viel Platz. Spielflächen. Schattenspendenden Bäumen. Die Fulda (der Fluss, nicht die Stadt) schlängelt sich durch das nordhessische Städtchen Melsungen. Unweit des historischen Schlosses ist der Skatepark Melsungen. Direkt am Ufer der Fulda, direkt am Radweg. Und in direkter Nähe der Innenstadt.
Genau dort steht seit ein paar Wochen jeden Mittwochnachmittag Henning Meinecke. Sportlich. Dunkles Haar. Funkelnde Augen hinter der Brille. Meinecke ist Pfarrer im Ev. Kirchenkreis Schwalm-Eder. Eigentlich ein „stinknormaler Gemeindepfarrer“, Familienvater, Fahrrad-Fan und Kaffeeliebhaber. Doch da gab es noch diese 25%; könnte man die nicht für innovative Formate verwenden, bevor sie gestrichen würden. Konnte man. Durfte Meinecke.
Woannersder
Schon seit Langem spukte ihm die Idee durch den Kopf – inspiriert durch den Frischetheke-Podcast – dass Kirche auch woanders – oder, wie der Nordhesse sagt: woannersder – stattfinden kann. „Kirche an anderen Orten, Präsenz zeigen und mit Menschen in Kontakt kommen, dort wo sie sowieso sind. Das hat mich angesprochen. Da bin ich hängen geblieben. Und von da aus hab ich weitergeträumt“, erinnert sich Henning Meinecke. Er träumt. Verwirft. Probiert aus. Plant. Streicht. Und am Ende kommt raus, was ihn selbst ausmacht: Draußen. Unkompliziert. Gastfreundlich. Einladend. Aber mit gutem Kaffee. Und per Fahrrad. Die Fahrradkirche woannersder.
Spiele, Kaffee und Engagement
Seit dem Frühling radelt Meinecke nun mittwochsnachmittags in die Melsunger Innenstadt zum Skatepark. Baut sein Lastenrad mit Anhänger um zu einer Getränketheke, brüht frischen Kaffee auf, kühlt Apfelsaftschorle und Wasser und holt aus seinem Anhänger jede Menge Sportgeräte heraus: Spikeball, KanJam, Wikingerschach, eine kleine klappbare Tischtennisplatte, Bälle, Leitergolf, Diabolo und weitere Trendsportgeräte. Die Fahrradkirche hat sich rumgesprochen. Bei gutem Wetter sind ohnehin viele Kinder und Familien am Skatepark, aber es kommen auch gezielt Kinder und Jugendliche am Mittwochnachmittag dorthin, um zu spielen, etwas zu trinken oder um Hennig Meinecke herauszufordern. Bislang ist ein fester Ehrenamtlicher mit dabei, der das Angebot regelmäßig unterstützt. Andere bringen mal Muffins oder Waffeln vorbei, der Kioskbetreiber vor Ort ergänzt Meineckes Angebot, die Stadt hat ihm Zugang zu Strom und Wasser gegeben, damit das mit dem Kaffeegenuss auch wirklich ein Genuss wird – und kein kalter Kaffee aus alten Thermoskannen ausgeschenkt werden muss.
Fahrradkirche, Kirche woanders oder Kirche andersartig?
Während die Kinder spielen, sich miteinander messen, kommen die Erwachsenen ins Gespräch. Klar, die mobile Sport-Kaffee-Fahrrad-Bar-Kirche fällt auf. Und Kirche draußen. Da, wo die Menschen sind. Einfach einladend und freundlich. Ohne weitere Agenda oder Programm. Das ist man so von Kirche vielerorts nicht gewöhnt. Doch was ist es denn genau? Kirche woanders? Oder eine Fahrradkirche? „Ich benutze beides. Das nordhessische woannersder ist identitätsstiftend und Fahrradkirche als Bezeichnung für das, was es ist. Fahrradkirche ist greifbarer und vermittelt den Leuten, die es zum ersten Mal hören, eher ein Bild davon, was es ist. Und Kirche woanders sagt ja erstmal nicht mehr als: Wir sind da, woanders. Dann fängt der eigentliche Tiefgang an: Alle innovativen Kirchenprojekte gehen raus, hin zu den Menschen. Da das noch kein Qualitätsmerkmal ist, wollen wir auch anders-artig woanders sein. Wir wollen vor Ort mit den Kolleg:innen ins Gespräch und in den Austausch kommen, wollen ergänzen, inspirieren und bereichern. Als eine zusätzliche Form von Kirche. Anders. Und woanders.“ Damit die Fahrradkirche auch als solche erkennbar ist, ist es Henning Meinecke wichtig, bei dem Ausflug ans Fulda-Ufer, abends um 18:00 Uhr, wenn die Kirchenglocken läuten, ein Gebet und einen Segen zu sprechen. Mit denen die da sind. Und die mitmachen wollen. Die neugierig sind.
Dinge ausprobieren und möglicherweise verwerfen
Wie es im Herbst und Winter weitergeht, weiß der Innovationspfarrer noch nicht. Möglicherweise zieht der woannersder-Anhänger in eine nahegelegene Sporthalle, wo sie als Kirche einmal in der Woche eine Hallenzeit bekommen können. Oder er bleibt an Ort und Stelle. Schließlich will und muss man ja auch im Winter mit den Kindern raus. Vielleicht ergibt sich aber auch noch etwas ganz anderes. Meinecke hat viele Fragen, wenn er an die zweite Jahreshälfte denkt. Aber das ist okay für ihn. Schließlich geht bei Innovation ja auch genau darum: Dinge ausprobieren. Nachjustieren. Möglicherweise verwerfen. Offen und neugierig bleibe. Aber spätestens im Frühjahr, so hofft Meinecke, treffen sich alle wieder an der Fulda. Und wer weiß, vielleicht ist die Fahrradkirche dann auch mehr als „nur“ ein offenes Angebot. Erste Anfragen, ob Hennig Meinecke auch zu Gartentaufen vorbeiradeln könne oder ob er sich an Gemeindefesten, beim Public Viewing, bei Firmenfeiern beteiligen könnte, gab es bereits. Möglich und denkbar sind aber auch Fahrradausflüge bzw. Fahrradpilgerreisen, Fahrrad-Gottesdienste oder Fahrrad-Trauungen. Dann kann die mobile Theke zum mobilen Altar werden. Dort, wo die Menschen sind. Woannersder.