Teil 2 der Serie: Frische Ideen für die Kirche von morgen
Wenn man etwas Neues wagt, gehört es dazu, dass man beständig etwas Neues lernt, eigene Grenzen kennenlernt und sie erweitert und spannende Entdeckungen und Prozesse (durch)macht. So geht es auch Jonte Schlagner, der mit seinem Team im Sauerland (NRW) einen sozialen Co-Working-Space eröffnen will.
Eigentlich, so dachte er, sei er mit dem Entstehungsprozess schon ziemlich weit fortgeschritten. Die Idee hat er gut durchdacht, mit seinem Team und einem breiter werdenden Netzwerk immer und immer wieder durchgesprochen. Hat Pläne geschrieben, verworfen, überarbeitet und eingereicht. Und dann folgende Entdeckung gemacht:
„Ich hab für mich gemerkt: Ich hab da so ne Idee und die entwickelt sich und entwickelt sich und vielleicht ist es eine neue Fresh X, vielleicht ist es etwas Soziales, vielleicht beides, vielleicht ist es Kirche – vielleicht ist alles Kirche? Wir stecken gerade noch mal voll in einer Art Entpuppungsprozess. Also sich noch mal ganz von vorne die Fragen stellen: Wenn ich an Kirche denke, an was denke ich da? Was schlummert in mir? Was macht der Kontext mit mir? Das wird mir gerade noch mal bewusster: Die Identität der handelnden Personen, deren Biografie – aber auch der Kontext – das sind Dinge, die nicht unbedingt von Anfang an offen vor einem liegen. Aber sie spielen eine große Rolle. Deshalb ist es wichtig, sich diesem Entpuppungsprozess zu stellen, um herauszufinden, was man konkret vorhat und wieso. Was soll entstehen und was eben auch nicht? Und was scheppert aus dem Kontext zurück, wenn man die Zielgruppe mit den Ideen konfrontiert?”
Sich also gerade im Anfangsprozess, aber auch darüber hinaus, eine große Offenheit und innere Flexibilität zu bewahren ist für Pionier:innen und Gründer:innen super wichtig, findet Jonte. Auch Oliver Binder hatte genau den Grundsatz der inneren (und äußeren) Flexibilität in seinen Thesen zur Nachhaltigkeit von Fresh X-Initiativen genannt. Es scheint also durchaus berechtigt zu sein, dem Entpuppungsprozess in seinem Workflow-Sheet bei der Gründung einer neuen Sache eine gewisse Zeit einzuräumen.
Dazu gehört auch, sich ein mögliches Scheitern zu erlauben und ggf. die Erlaubnis dafür bei den Kirchenverantwortlichen einzuholen. Oliver Binder vom teilweise e.V. in Salzburg hat sich genau diese Erlaubnis geholt und beschrieb es als eine große Erleichterung bei der Ausgestaltung der Offenen Jugendarbeit. Und auch Jonte Schlagner hat seine Öffentlichkeitsarbeit genau damit begonnen. Am 2. Tag seiner Aktivitäten auf Instagram schrieb er am 19.03.2021:
„Ich habe mich dazu entschieden, euch nicht erst mit reinzunehmen, wenn ich ein fertiges Hochglanzprodukt präsentieren kann. Ich will euch beteiligen während der Soziale Coworking-Space noch viel mehr in meinem Kopf als in der Realität Formen angenommen hat. Ich weiß, es kann nach hinten losgehen. Aber losgehen wird es. =) Und wie geil wäre es, wenn es nach vorne los geht.“
Unüblich. Ehrlich. Hoffnungsvoll. Denn natürlich lässt es sich leichter hinterher erzählen, wenn alles geschafft ist, die vielen bangen Stunden schon verblasst sind, die grauen Haare weggefärbt und die Sorgenfalten sich in bester Gesellschaft zu den Lachfalten befinden. Wie viel häufiger hören wir heroische Stories über Start-ups, die es quasi über Nacht aus der heimischen Garage an die Börse geschafft haben? Wie selten reden Leute ehrlich darüber, dass sie Umwege genommen, sich verkalkuliert, den falschen Leuten vertraut, sich selbst überschätzt haben und gescheitert sind? Und wie wenig Hoffnung und Vertrauen in das Leben, in Gott, in die eigenen Fähigkeiten, in das Wohlwollen der anderen setzen wir eigentlich, wenn wir nicht schon von Anfang an genau davon reden? Es ist ein „Vertrauen in den Prozess“, wie Jonte sagt.
Dazu gehört aber kein BWL-Studium, kein hochdotierter Förderpreis oder ein krasses Wunder (auch wenn das alles sicherlich nicht schadet ;)), sondern vor allem Mut.
Mut zum Anfang. Mut zum Ende. Mut zum Menschsein.
Wie es mit dem sozialen Coworking-Space „Frohet Schaffen!“ mitten in Iserlohn weitergeht, lest ihr im nächsten Monat hier bei uns.