Von den keltischen Mönchen für heute lernen
Eine Aufgabe der Literatur ist es, zu überraschen und etwas zu bewegen – wenigstens die Gedanken. Leider gelingt das nicht immer. Umso erfreulicher ist es, wenn sich zwischen uninspirierten Buchdeckeln etwas wirklich Neues, Kreatives und Inspirierendes verbirgt.
Auf den Inhalt kommt es an
Es wäre garantiert an mir vorbeigezogen, wenn nicht gleich zwei kluge Köpfe mich auf das Buch hingewiesen hätten. Und ich muss zugeben, ich war dennoch skeptisch: Cover und Klappentext schreckten mich eher ab, als dass sie mich neugierig machten. Nichtssagend vorn, hinten ein wildes Buzzword-Bingo frommer Floskeln und Aussagen.
Und so hätte ich beinahe etwas ganz Wunderbares verpasst. Nämlich die Geschichte von Braínach, einem jungen keltischen Mönch, der zusammen mit fünf anderen das Kloster Iouan auf der schottischen Insel Mull verlässt, um am nördlichen Festland ein neues Kloster zu gründen.
In 18. Kapiteln erzählt Gerold Vorländer in dem Buch mit dem langweiligen Titel „Als die Mönche die Heimat verließen“, wie die Mönche Aodhhán, Braínach, Cailton, Cadog, Cormac, Oswald und Ternan in ihrer neuen Umgebung ankommen. Am Rande eines Dorfes werden sogleich von den fleißigen Mönchen Land umgegraben, Felder angelegt und Gemeinschaftsräume gebaut. Sie suchen den Kontakt zu den Dorfbewohnern, was nicht immer ohne Streit, Misstrauen, Missverständnisse und Machtkämpfe abläuft. Auch innerhalb ihrer kleinen Gemeinschaft kommt es, wie das bei Menschen nun mal üblich ist, zu Spannungen, Missverständnissen und Streit, was jedoch immer wieder geklärt werden kann.
Transfer in die Gegenwart
Jedes Kapitel beinhaltet eine Episode aus dem Leben der keltischen Mönche, die zu einem Thema passt. Es geht ums Pilgern, um Teamgeist, um Demut und ein Leben auf Augenhöhe, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den Menschen, mit denen die Mönche zusammen Tür an Tür lebten, um Schuld, Versöhnung, die weltweite Gemeinde der Christen, um Leid, geistlichen Missbrauch, Zweifel, Seelenfreunde, Kulturunterschiede, Angst, Dienen, Vertrauen, Geschlechterrollen, Milieugrenzen und vieles andere. Anschließende Denkanstöße vertiefen nicht nur die Thematik der verschiedenen Episoden, sondern ermöglichen einen Transfer in die Gegenwart. „Hast du schon mal erlebt, dass sich deine bis dahin festgelegte Meinung durch Verständigungsbrücken, die dich für Neues geöffnet haben, verändert hat?“ (S.68), „Hältst du es aus, dass andere Christen anders entscheiden? Gönnt ihr euch gegenseitig „Spielräume“ des Glaubens?“ (S. 170), oder auch: „Wie festgelegt sind die Rollen- und Aufgabenmuster in deiner Gemeinde? Gibt grundsätzlich die Gabenorientierung den Ton an?“ (S. 227) Dabei gelingt Vorländer dieser Transfer weder plump – nach dem Motto: Was will uns das für heute sagen? – noch moralisch – nach dem Motto: Und die Moral von der Geschichte. Er erzählt von eigenen Erfahrungen, davon, wie andere mit Macht, mit Zweifeln, mit Demut oder Neuanfängen umgegangen sind. Und indem er Fragen stellt, statt vielerlei Antworten liefert, ermöglicht Vorländer es den Leser:innen, sich auf ihre eigenen Erfahrungen zu besinnen und Gedanken zu bewegen.
Haltungen und Herausforderungen – damals und heute
Das Buch ist also mehr als eine interessante Geschichte über die missionarischen Bestrebungen der keltischen Mönche zu Beginn des Mittelalters. Vieles von dem, was diese Männer – und Frauen! – damals umtrieb, ihre Fragen, Haltungen und Herausforderungen, passen erstaunlich gut zu den Fragen, Haltungen und Herausforderungen, die auch Kirchengestaltende der Gegenwart umtreiben. Es verknüpft Geschichten mit Gedanken, die sich Ehren- und Hauptamtliche – für ihre Kirche – stellen (sollten) und vermag so Kirchenentwicklungsprozesse, Wege der Veränderung und des Neuanfangs aufzuweisen und zu ermöglichen. Und quasi nebenbei fördert es eine neue Haltung in Kirche. Eine Haltung, die Jahrhunderte später in der fresh expression of church wiederentdeckt wurde.
So schreitet der Gründer des Klosters von Iouan über die Insel, um den richtigen Ort für das neue Kloster zu finden: „‚Wartet hier‘, befahl Columcille seinen Gefährten, ‚ich will betend das Land unter den Hügeln erkunden. Ich will spüren, wo die Anderswelt besonders nah und der Schleier dünn ist.‘ Die Gefährten konnten nur erahnen, was er damit meinte, das sah er an ihrem Blick. Aber sie vertrauten ihm. Er würde den richtigen Platz für ihr Kloster finden.“ (S. 17) Das hörende Gebet zu Beginn eines Neuanfangs – immer wieder auch Bestandteil von Gründungsgeschichten aus der fx-Szene.
In einer anderen Episode wird berichtet, wie die Mönche ins Dorf gehen, um den Bewohnern Ziegen und Schafe abzukaufen. Die Verhandlungen sind hart und die Mönche geben nicht klein bei. Dem jungen, noch unerfahrenen Mönch Braínach stockt dabei der Atem, er befürchtet, dass es zu Streit kommt. Später sucht er das Gespräch mit dem Priester und Vorsteher Cailton und Mitbruder Cadog. „Braínach kaute auf seiner Lippe. Plötzlich hellte sich seine Miene auf und er lächelte, als er antwortete: ‚Wenn ihr nicht hart verhandelt hättet, wärt ihr schwache Kämpfer. Und dann würden die Leute uns in Zukunft überhaupt nicht ernst nehmen.‘ Cailton und Cadog lächelten nun auch und nickten. ‚Und dann würden sie immer wieder versuchen, uns übers Ohr zu hauen. Was sie jetzt nicht tun werden. Auch weil sie wissen, dass wir gut bezahlen.‘ Braínachs Gehirn kam richtig in Schwung. ‚Ah! Und sie würden unseren Glauben auch nicht ernst nehmen, all das, was wir ihnen über dein einen Gott erzählen wollen. Schwächlingen glauben die bestimmt nichts. Aber wenn wir stark und zugleich fair sind, dann werden sie uns ernst nehmen.“ (S. 44f) Sie nehmen die Dorfbewohner ernst, sind interessiert an ihren Leben, sind offen und aufmerksam, wenn sie etwas von ihnen lernen können. Es ist ein Beziehungsangebot auf Augenhöhe. Und die von einigen Dorfbewohnern auch abgelehnt wird, ohne, dass daraus Zwang oder Druck entsteht. Und so wächst langsam eine kleine Gemeinschaft, in der Vertrauen gedeihen kann. Erst dann beginnen sie nicht nur ihren Glauben zu leben, sondern ihn auch mit Worten zu bezeugen und ihn den anderen zu erklären.
Keine heldenhafte Mission
Die keltischen Mönche, die Gerold Vorländer in dem Buch „Als die Mönche die Heimat verließen“ vorstellt und beschreibt, haben wenig mit dem zu tun, wie Mission jahrelang gehandhabt wurde – und mir begegnete. Ja, es ist ein Sendungsbewusstsein vorhanden. Ein Folgen des Missionsauftrags. Es geht um Gehorsam, um den Auftrag Jesu, um die Verkündigung des Evangeliums.
„Im Jahr 563 hatte der irische Prinz Columcille auf Iona ein Kloster gegründet. Von hier aus segelten seine Mönche in kleinen Gruppen los und ‚missionierten‘ innerhalb weniger Jahrzehnte den gesamten Norden Schottlands – nicht als heldenhafte Missionare, sondern als kleine Gemeinschaften, die mit den Menschen lebten, zu denen sie kamen.“ (S.19)
Es geht also auch um Präsenz. Um Demut. Um Lernbereitschaft. Darum, erst einmal zu hören, Vertrauen zu schaffen, Beziehung zu leben. Es geht um Menschen. Nicht um Institutionen, Theorien und Theologien, nicht um Strukturen. Menschen, Beziehungen, Vertrauen, Lerngemeinschaft, Demut und eine Kultur der Barmherzigkeit sind das, was zählt. Damals bei den keltischen Mönchen. Und heute: „In gewisser Weise nähert sich die Lage der Kirche heute derjenigen der Kirche der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung an, als Christen eine verschwindende Minderheit waren und die Menschen, denen sie begegneten, keine Ahnung vom Glauben an Christus und den dreieinigen Gott hatten. Die Frage ist, ob es uns heute gelingen wird, diese Situation mit dem Mut der frühen Christen fröhlich anzunehmen und unserer Umwelt nach Kräften die Botschaft Christi zu bezeugen: mit einem erkennbar christlichen Leben und verständlichen Worten.“ (S.19f)
Gerold Vorländer, “Als die Mönche die Heimat verließen. Historische Geschichten mit Impulsen für heute”, erschienen im Verlag SCM R. Bockhaus, 2023, gibt es im Buchhandel und online für 25,00 € (D).