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Pilgern: Verbindung von äußerem und innerem Weg

21. August

Wandern ist nicht erst seit der Pandemie des Menschens (nicht nur des Müllers) Lust. Auch das Pilgern boomt. Hape Kerkeling hat uns 2006 gezeigt, was man auf dem spanischen Jakobsweg alles erleben kann und dass Pilgern auch etwas für unsportliche und allenfalls spirituell Suchende ist. Doch was genau ist Pilgern und was unterscheidet es vom Wandern oder vom Gebetsspaziergang? Fragen, auf die das Buch „Das Geheimnis des Pilgerns“ von Hildegard Huwe und Miriam Penkhues Antworten gibt. Ein paar weitere Fragen hat Miriam Penkhues uns vorab schon mal beantwortet.

Was ist Pilgern eigentlich?

Miriam Penkhues: Mit Gott unterwegs sein. Mit mir selbst in der Schöpfung und mit Gott.

Wie wichtig ist die Umgebung, also wo man pilgert?

Pilgern kann man im Prinzip auf jeder Straße der Welt. Ich kann es auch bei mir in der Nachbarschaft tun, weil ich beim Pilgern meinen inneren Lebensweg mit dem äußeren Weg verbinde. Und es kann passieren, dass es Etappen gibt, die herausfordernd sind, weil es keinen externen Stimulus gibt. Das wirft mich total auf mich selbst zurück und ich habe Zeit, mich mit mir auseinanderzusetzen. Die äußere Leere bringt mich zu einer inneren Fokussierung.

Es kann helfen, durch die Natur zu gehen, zu staunen. Es kann das Gespräch mit Gott anregen, es kann helfen, sich mit ihm zu verbinden, aber Premiumwanderwege sind nicht notwendig. Auch der Weg entlang einer Mülldeponie kann mir zeigen, wo es in meinem Leben vielleicht gerade stinkt. Und darauf kommt es an. Beim Pilgern will man sich nicht durch die Natur davon abhalten lassen, über sein Inneres nachzudenken. Beim Pilgern geht es nicht so sehr um die Strecke, sondern darum, dass man sich mit seinem Leben, mit Gott auseinandersetzt. Sonst ist es Wandern und kein Pilgern.

Kann man „richtiges“ Pilgern lernen?

Es gibt verschiedene Formen des Pilgerns: Man kann alleine unterwegs sein oder in einer Gruppe. Es gibt angeleitete Pilgerformate, wo ausgebildete Pilgerbegleiter:innen Impulse oder Fragestellungen bereithalten. Mir hilft es, wenn ich allein unterwegs bin und mich auf mein Anliegen besinne, warum ich heute unterwegs bin. Ich versuche beim Pilgern – mehr als beim Wandern – bestimmte äußere Reize auszublenden und das Handy auszuschalten. Beim Pilgern brauche ich immer ein paar Tage, bis ich mich eingelaufen habe. In einen Rhythmus komme. Und dann dauert es noch ein paar Tage, bis nicht mehr alle möglichen Gedanken aufploppen. Stimmen, die ich sonst im überfluteten Alltag nicht zu Wort kommen lasse, kommen dann erst, wenn eine gewisse Leere in mir entstanden ist. Laufen verbindet mich mit der Erde. Man läuft, kommt in einen Rhythmus, in eine Ruhe – das macht etwas mit den Gedanken, die man im Kopf hat.

Miriam Penkhues (Bild: Katharina Gebauer @dreiviertel.fotografie)

Wie ist deine eigene Pilgergeschichte? Wie bist du zum Pilgern gekommen?

Ich habe 2005 als Freiwillige beim Weltjugendtag in Köln mitgearbeitet und war da in einer großartigen Gemeinschaft mit tollen Leuten. Und ich hatte die Vorahnung, wenn Ende August ist und wir uns wieder in die ganze Welt verstreuen, dass ich dann in ein Loch falle und auch trauere, weil diese schöne Gemeinschaft eben zeitlich begrenzt war. Ich wusste, dass es nicht gut sein würde, wenn ich direkt wieder in mein altes Setting zurückgehe. So habe ich mir einen Flug nach Spanien gebucht, ohne wirklich zu wissen, was mich dort erwartet. Anfang September bin ich losgewandert und 35 Tage später in Santiago de Compostela angekommen. Aber ich bin auch sehr schnell an meine Grenzen gekommen. Mein Körper hat mir nach zwei Tagen gesagt: Ey, spinnst du?! (lacht) So viel bin ich in meinem Leben noch nie gelaufen. Ich weiß noch, ich hatte ganz, ganz schlimmen Muskelkater und konnte mich eigentlich nicht mehr bewegen. Ich war noch im Studium und hatte natürlich noch wenig Geld, trotzdem habe ich mir dann ein Hotelzimmer mit Badewanne gebucht und habe dann einfach einen Tag lang vier-, fünfmal warm gebadet, damit meine Muskeln, damit mein Körper wieder zu sich kommt. (lacht) Das war ein echtes Abenteuer, eine sehr intensive Zeit. Im Nachhinein kann ich aber auch sagen, dass es genau die richtige Entscheidung war, um diese Beziehungen loszulassen und vieles für mich zu klären.

Wie bist du darauf gekommen, ein Buch über deine Erfahrungen zu schreiben?

Tatsächlich war das gar nicht meine Idee; der Verlag kam auf mich zu. Ich hatte vorher noch nie daran gedacht, ein Buch zu schreiben. Und dann habe ich meine Freundin Hildegard gefragt, die auch eine begeisterte Pilgerin ist, gefragt, ob wir das nicht zusammen machen wollen. Wir haben unheimlich viel darüber gesprochen, was rein soll, welche Botschaften wir vermitteln wollen und an wen sich das Buch richtet. Das war wirklich ein intensiver Prozess der konzeptionellen Arbeit. Es ist ein Buch von Christinnen geworden, die mit Gott unterwegs sind und die über dieses Unterwegssein ins Gespräch kommen wollen. Wir wollen Menschen ansprechen, die keine theologischen Vorqualifikation haben. Und zwar in einer Sprache, die verständlich ist. Jetzt haben wir ein Buch übers Pilgern geschrieben, aber waren noch nie gemeinsam pilgern. (lacht)

Du warst lange Zeit auch Leiterin der Pilgerstelle im Bistum Limburg. In einem Interview hast du mal gesagt, dass sich durch deine Pilgerarbeit zwar nicht dein Glaube aber deine Sicht auf Kirche verändert hat. Kirche und Pilgern – wie hängt das für dich zusammen? Und was bedeutet das für die Zukunft von Kirche?

Im Pilgern liegt eine große Chance für Kirche. Menschen spüren, dass es ihnen guttut, unterwegs, in der Natur zu sein und sich über Spiritualität austauschen zu können. Ich habe in meiner Zeit im Bistum auch Pilgerbegleiter:innen ausgebildet, deren Angebote total gut laufen, weil die Menschen eher einen Zugang über das Unterwegssein mit Gott haben. Das Bistum Limburg leistet sich – und das finde ich grandios – eine 100 %-Stelle für Pilgern und Wallfahren. Das tun wenige deutsche Diözesen. Ich würde mir wünschen, dass Kirche mehr schaut, was sich die Menschen wünschen und davon mehr Angebote dazu macht.

Könntest du dir auch eine „Pilger-Kirche“ vorstellen? Eine Kirche ohne Raum oder Gebäude, die unterwegs ist? Oder ist das gar nicht erstrebenswert?

Das ist jetzt interessant, weil das Zweite Vatikanische Konzil, das in den 60er Jahren die katholische Welt revolutioniert hat, ein Bild von unserer Kirche geprägt hat: Das pilgernde Volk Gottes. Ich finde, das sagt das aus, dass wir als Menschen gemeinsam unterwegs sind, an unterschiedlichen Orten, mit unterschiedlichen Aufträgen, mit unterschiedlichen Talenten. Wir sind gemeinsam unterwegs – auf Gott hin ausgerichtet. Das ist das Bild, was mir kommt in den Sinn, wenn du von Pilger-Kirche sprichst.

Vielleicht ist das Kirchengebäude ja auch eine Art Herberge, wo man punktuell, am Abend, zusammenkommt, bevor jede:r seinen Weg weitergeht.

Genau! Beziehungsweise: Braucht es das Gebäude überhaupt noch oder können wir uns als Christen nicht auch so miteinander verbinden oder vernetzen? Ich will weder sagen, dass wir Christen nur unter uns bleiben sollen, noch will ich gegen Kirchenräume argumentieren, aber ich will darüber nachdenken, wie Kirche auch in die Gesellschaft hineinwirken kann und wie wir unseren Beitrag für ein gutes Miteinander in dieser Welt leisten können. Die Antwort auf diese Frage könnte man auch gut beim Pilgern finden. (lächelt)


Das Bistum Limburg leistet sich eine Vollzeitstelle rund ums Pilgern und Wallfahren. Melanie Schmitt vermittelt unter anderem Kurse, Angebote und Streckenideen und stellt auch Pilgerausweise aus.

Pilgerstelle Bistum Limburg, Melanie Schmitt, pilgerstelle@bistumlimburg.de

Gemeinsam mit Thomas C. Müller von der Evangelischen Kirche Hessen Nassau bildet sie Pilgerbegleiter:innen aus.

Die evangelische Kirche hat das Thema Pilgern ebenfalls für sich entdeckt. Nahezu alle Landeskirchen bieten in ihrem Veranstaltungsprogramm mindestens eine Pilgerwanderung an. Die Landeskirche von Württemberg hat beispielsweise ein eigenes Pilger-Portal eröffnet und bieten Interessierten eine Übersicht über Pilgergesellschaften, Pilgerwege, Netzwerke und weitere praktische Tipps. Um die Seite pilger-weg.de hat sich sogar eine eigene kleine Community gebildet, in der man Anschluss finden und sich über die große Liste der Pilgerwege austauschen kann.


Zusammen mit ihrer Freundin Hildegard Huwe, ebenfalls eine begeisterte Pilgerin, hat Miriam Penkhues eine Anleitung zum Pilgern, oder wie sie es nennen, zum christlichen Unterwegssein, geschrieben: „Das Geheimnis des Pilgerns“

Die beiden behandeln darin alle möglichen Fragen rund um das Pilgern, das Unterwegssein und die Verbindung zu Gott. Erzählen von ihren Erfahrungen und Erlebnissen auf dem Weg und laden ein, sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Das Buch ist hier oder in der Lieblingsbuchhandlung für 24,95 € zu kaufen.

Autorin, Lektorin, Redakteurin von Beruf. Im Fresh X-Netzwerk und an der CVJM-Hochschule. Mitarbeitende, Mitdenkende, Mitgestaltende in Kirche. Suchende, Sehnende, Scheiternde, Fragende, Findende, Fordernde im Privaten.