Frischetheke-Podcast: Du hast viele unterschiedliche Rollen: Du bist Ehefrau, Mutter, Pfarrerin, Instagrammerin, YouTuberin, Freundin, … ich weiß nicht, wie du das sagen würdest, stimmt das alles?
Theresa Brückner: Ungefähr so, ja.
Du bist landeskirchliche Pfarrerin und trotzdem vermutlich anders, als man das sonst so von Pfarrer:innen kennt. Was sagst du anderen, was du machst? Wie fasst du das in ein, zwei Sätzen zusammen?
Ich stelle mich meistens erst einmal mit meiner Stellenbeschreibung vor: Ich bin Pfarrerin für Kirche im digitalen Raum, im Kirchenkreis Berlin Tempelhof-Schöneberg. (lacht) Das ist zwar lang, aber es fasst es ganz gut zusammen. Denn ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist Social Media; das bedeutet Instagram und YouTube, aber eben auch Twitter und Facebook, das läuft so mit. Gleichzeitig mache ich auch ganz klassische Arbeit einer Pfarrerin in einer Gemeinde: Beerdigungen Trauungen, Taufen, Gottesdienste, Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen – wie das überall so ist.
Du bist Pfarrerin digital und lokal – fällt dir diese Teilung deiner Arbeit leicht? Du bist ja bundesweit bekannt durch deine digitale Arbeit; merkst du das in deiner lokalen Arbeit?
Es ist eine Mischung aus beidem. Das wirklich Großartige ist, dass der Kirchenkreis gesagt hat: Wir nehmen das Geld in die Hand und schaffen diese Stelle. Das ist sonst in Deutschland bisher kaum so passiert. Sie haben mir auch gesagt, ich kann erst einmal gucken, wie das funktioniert, was zum Kiez passt. Es ist dem Kirchenkreis aber auch bewusst, dass ich eben nicht nur für die Leute hier vor Ort zuständig bin, sondern dass damit viel, viel mehr Leute erreicht werden. Das ist auch das Wichtige. Grade im Bereich der Seelsorge, kümmere ich mich als Pfarrerin nicht nur um die Leute aus meinem Kiez, sondern es geht um die Leute, denen ich begegne und die ich treffe. Das ist im digitalen Raum genauso.
Wie hast du dir erschlossen, wie man das macht? Du konntest ja nicht sagen: Das habe ich im Theologiestudium, in der praktischen Theologie, im Seminar „Digitales“ gelernt.
(Alle lachen) Nein, überhaupt nicht; das stimmt. Im Studium kam das überhaupt nicht vor. Alles, was ich jetzt im Digitalen mache, habe ich mir selbst erarbeitet. Ich habe während meines Studiums auf Instagram erzählt, was ich gerade im Studium mache, habe auch über meine Arbeit als Jugendmitarbeiterin in einer Kirchengemeinde berichtet, über meinen Glauben gesprochen und darüber, dass mich das sehr glücklich macht.
Das hat Leute interessiert, die sonst gar nichts mit Kirche zu tun hatten.
Das hat sich weiterentwickelt, während des Examens und während des Vikariats. In dieser Zeit hatte mich mein Kirchenkreis hier als Referentin eingeladen und mich gebeten, darüber zu berichten, was ich da eigentlich mache. Eineinhalb Tage war ich dort mit erfahrenen Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Kirchenkreis zusammen, als Vikarin. Da hab ich noch gedacht: Das ist vom Verhältnis her ganz komisch, was soll ich denen denn erzählen, die haben doch alle viel mehr Berufserfahrung als ich. Doch dann hab ich schnell gemerkt: Ich habe einen ganz anderen Schwerpunkt – und andere Erfahrungen. Meine Arbeit hat dem Kirchenkreis so gut gefallen, dass sie gesagt haben, sie möchten daraus eine Pfarrstelle machen. Und somit konnte ich das, was ich mir vorher erarbeitet habe, einfach übernehmen und es ausbauen. Ich habe dann zu dieser Zeit, 2019, noch mit YouTube angefangen. Das musste ich mir auch erst einmal alles beibringen.
Machst du das alles selber?
Ja, ich mach das alles selber. Das macht es an vielen Punkten auch wirklich schwierig, weil es doch viele Spielwiesen sind und es einfach viel Zeit braucht. Ein wichtiger Schwerpunkt ist aber die Arbeit auf Instagram und dort die Nachrichten zu beantworten. Das schaff ich manchmal gar nicht, aber ich geb mir die größte Mühe, wirklich allen gerecht zu werden und allen auch zu antworten.
Was ist Instagram für dich?
Instagram war eines meiner liebsten Hobbies und ist jetzt Teil meines Berufs. Am Anfang hat mich das total überfordert, weil ich gedacht habe, jetzt kann das nicht mehr nur mein Hobby sein, sondern jedes Mal, wenn ich was auf Instagram mache, ist das Arbeitszeit. Spannend war auch die Entwicklung: Als ich mit Instagram angefangen habe, hab ich viel Persönliches berichtet, das hat sich mittlerweile verändert. Ich erzähle über Persönliches, aber nicht über Privates.
Instagram ist atmosphärisch ein ganz schöner Ort. Ich hab da viele Leute kennengelernt, von denen ich das Gefühl habe: Die kenn ich schon immer, obwohl ich sie noch nie analog getroffen habe. Das ist wirklich ein riesiger Schatz und für mich auch eine Form von Gemeinde.
Wie empfindest du es, sich jeden Tag überlegen zu müssen, was von dem, was man erlebt man auch teilt und wie? Empfindest du das als Herausforderung oder geht das für dich easy nebenher? Wahrscheinlich hat sich das auch verändert, oder?
Ja, das hat sich auch verändert. Mir fällt es eigentlich leicht, Stories zu machen, es sei denn der Tag ist super stressig oder ich habe viele Termine, von denen ich weiß, dass ich daraus nichts berichten kann oder möchte oder darf. Dann ist es natürlich auch noch mal wichtig, dass man guckt, welchen Inhalt möchte man gerade transportieren. Und vor allem auch, wie viel Zeit hat man, danach auch die Kommentare und Nachrichten zu beantworten? Es ist ja leider so, dass nicht alles, was bei mir ankommt, einfach nur kontrovers ist, sondern da kommt auch viel Blödsinn, viele Hassnachrichten, viel Unverständnis. Gerade das muss man sichten können und für die, die sich wirklich Gedanken über Dinge machen oder ein Problem damit haben, sich die Zeit nehmen, die sie dann brauchen.
Ist es für dich n Unterschied, ob du mit jemandem ein persönliches Gespräch hast oder ob das online per Nachricht passiert?
(lacht) Zeitlich ist es ein Unterschied. Gerade bei Seelsorger-Gesprächen, die online stattfinden, kann man halt immer wieder den ganzen Tag über antworten. Das zieht sich oftmals länger und es ist auch nicht ganz so dicht, wie wenn man sich zusammensetzt, einen Kaffee trinkt und länger über ein Thema spricht. Aber es sind inhaltlich nicht die großen Unterschiede. Ganz oft sind es Leute, die gar keine Möglichkeit haben, sich mit jemanden persönlich zu treffen. Und gerade jetzt, in Zeiten von Corona war das auch noch mal so viel wichtiger. Gerade die ersten Wochen, als der erste Lockdown kam, da stand mein Handy gar nicht mehr still. Da hatten so viele Leute Angst, die dann wirklich jemanden gesucht haben und dadurch, dass ich da schon als Pfarrerin schon vorher präsent war, war es einfach ganz wichtig einen Gesprächsort zu haben und eine Anlaufperson zu sein. Das war gut.
Hast du das Gefühl, die Leute sind online offener?
Ja, manche schon. Manche haben das Gefühl, dass es eine gewisse Form der Anonymität ist und sie da die Möglichkeit haben, über Dinge zu sprechen. Für manche ist es aber auch gar nichts, die brauchen ein persönliches Gespräch. Ich hab auch schon manchmal Gespräche vermittelt, an verschiedene Orte oder wenn Schwerpunkt-Seeslorge-Anfragen kamen. Ich habe in den jeweiligen Städten, aus denen die Leute kamen geguckt und versucht, jemanden zu vermitteln, dass die Leute einfach nicht alleine sind.
Wenn du so einschätzen müsstest, das, was man sieht und das, was eher im Hintergrund läuft, also die Privatnachrichten, die du kriegst, die Gespräche, die du führst, die Vermittlungen, Seminare, … mir scheint der Insta-Kanal eher die Spitze des Eisbergs zu sein.
(lacht) Also, was mir wirklich immer Angst macht, um ehrlich zu sein, ist mein E-Mail-Postfach; das explodiert nebenbei noch. Und manche schreiben E-Mails, die sind gefühlt zwei Din-A4-Seiten lang. Das braucht einfach Zeit. Da läuft dann alles Strukturelle nebenbei. Das ist organisatorisch schon eine Herausforderung. Aber das passt auch zum Pfarramt. Auch die anderen Pfarrerinnen und Pfarrer, meine ganzen Kolleg:innen, haben alle diese Probleme, dass sie zwischen Bauausschuss, Finanzausschuss, Kitaleitung und allen möglichen Dingen nebenbei, versuchen den Durchblick zu behalten.
Ich musste grad noch mal an den Satz von dir von vorhin denken, als du sagtest, dass du das ja auch für Menschen machst, die mit Kirche und dem Glauben sonst nicht so in Berührung kommen. Wie gelingt es eigentlich möglichst niedrigschwellig zu kommunizieren und Leute, die eben nicht schon kirchenaffin sind, oder ein Theologiestudium hinter sich haben, mitkriegen, was du ihnen sagen willst. Wie hast du das gelernt?
Das ist genau mein Statement. Ich sag immer: Es hängt ganz viel an der Sprache. Wenn ich das in einer Runde von Pfarrerinnen und Pfarrern oder in höheren Leistungspositionen sage, kommt oftmals ganz viel Ärger. Viele sind auch frustriert und der Meinung, mit diesem Satz würde ich das Theologiestudium wegwischen. Ich finde aber, diese Akademikersprache und generell auch unsere Gottesdienste haben oftmals einen Schwerpunkt auf das klassische Bildungsbürgertum, das ist nichts, womit man alle Leute erreicht. Und man muss überlegen, wie man auch andere Leute mit reinnimmt. Ich war sehr dankbar, dass ich immer mit den Jugendlichen in meiner Gemeinde gearbeitet habe und dass es eben auch keine Jugendlichen waren, die 24-7 in ihren charismatisch geprägten Familien waren, sondern die zum Teil aus Familien kamen, die einfach gar nichts mit Kirche zu tun hatten und dann über Konfirmation und über „ja, das ist in der Jugendgemeinde ganz nett, da kommen wir mal regelmäßig“, mir erklärt haben, was ihre Fragen sind, was sie am Glauben nicht verstehen. So konnte ich mit ihnen gemeinsam erarbeiten, was für sie den Gottesdienst schön und ansprechend machen könnte und was ihr Glaube ihnen in ihrem Leben bedeutet. Das ist ein Schatz, den ich mir echt mitnehme und bewahre. Gleichzeitig war ich regelmäßig auf freikirchlichen Camps und habe da auch die ganz andere Seite kennengelernt. Mich dazwischen zu bewegen, war wirklich sehr, sehr lehrsam für mich.
Ich habe mich aber auch bewusst entschieden, dass ich eben nicht nur die ansprechen möchte, die schon so grundsätzlich gesettled sind im christlichen Glauben, sondern dass es mir um die geht, die bisher noch gar nichts mit Glauben am Hut haben oder bisher nur ganz wenig.
Und ich finde, da gibt’s wenig Angebote nach der Konfirmation oder im Alter von 20-40 Jahren.
Das war ja auch der Punkt, wo wir gesagt haben, wir müssen mal mit dir reden. Wir haben dich in einer Runde gesehen und du hast als einzige gesagt: Ja, ich hab ganz viel Kontakt mit Menschen, die nichts mit Kirche zu tun haben. Allen anderen fiel das schwer. Weißt du, warum dir das gelingt und vielen nicht?
Ich glaube, das hat ganz viel mit Übersetzungsarbeit zu tun. Zu erklären, woran ich glaube, ohne gleich mit Begriffen zu kommen, die die Menschen in ihrem Sprachgebrauch gar nicht haben, ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich muss erklären können: Wer ist für mich eigentlich Jesus. Wer ist für mich Gott? Was bedeutet für mich Glauben? Was ist für mich Sünde? Was ist Gnade? Das sind Dinge, die wir jeweils mit bestimmten Begriffen und Dingen füllen. Für die meisten Menschen, die gar nichts mit Kirche zu tun haben, sind das aber völlig ferne, sphärische Begriffe, die sie oftmals karikativ mit irgendetwas füllen. Darüber möchte ich ganz allgemein sprechen. Oft kommt in meinen Stories mein Glaube ganz implizit vor, manchmal nur ganz punktuell. Es ist ganz wichtig, zu zeigen, dass es ganz normaler Alltag ist und dass Glaube auch implizit immer vorkommen kann, auch wenn man ihn explizit nicht immer benennt.
Kannst du Kirche ganz digital denken? Oder würdest du sagen, das Digitale ist auch immer ergänzend zu einer konkreten Form vor Ort zu denken?
Ich glaube, es geht beides. Es gibt für Leute nur das Digitale und man muss auch unabhängig von Corona darüber nachdenken, dass es Leute gibt, die zum Beispiel krankheitsbedingt schon seit Jahren gar nicht mehr ihre Wohnung verlassen. Und das für diese Leute eine Form von Kirche im Digitalen eine völlig normale Form von Kirche ist. Oder der Fernsehgottesdienst. Ich finde, das darf man nicht vergessen.
Ich erlebe aber auch meistens, dass das Digitale ins Analoge zieht.
Dass die Leute sich irgendwann treffen wollen, dass sie irgendwann gucken, wie sie Anschluss vor Ort finden. Oftmals, wenn es schon Berührungspunkte mit Kirche gab, lösen die Kirchengebäude an verschiedenen Orten ein Heimatgefühl aus.
Sind dabei Gebäude wichtig?
Also, für mich persönlich, ja. Aber natürlich kommt mit solchen Gebäuden auch immer eine enorme finanzielle und Verwaltungslast dazu. Und ich erlebe, dass es Kolleg:innen wirklich auffrisst, was das zeitlich verbraucht. Das muss man immer gut abwägen. Und dann müssen Gebäude auch immer mit dem funktionieren, was wir transportieren wollen. Und da ist nicht unbedingt jeder Kirchenraum so geeignet. Da reicht auch ein Café, oder ein Laden. Da reicht irgendein Ort, der schön ist und passt, wo man das Gefühl hat, dass es toll ist. Mein kleinster Bruder wurde jetzt konfirmiert und wir haben Gottesdienst draußen gefeiert. Das ist für mich noch mal viel mehr das Gefühl, Gott ist nah, als in einer Kirche. Wenn der Wind durch die Bäume weht und wenn man das Gefühl hat, hier ist Gottes Gegenwart noch mal ganz anders zu spüren.
Es ist also eher ein Ort, der wichtig ist, als ein Gebäude.
Ja, und ich glaube, es ist von jedem persönlich auch abhängig. Manche sagen, sie sind Gott ganz besonders nahe in der Stille, für manche sind es die Berge, für manche ist es das Meer, für manche ist es das Kirchengebäude. Und genau deshalb muss es auch eine Vielfalt geben, wie auch bei so vielen Dingen in Gemeinden.
Dadurch, dass du im Digitalen unterwegs bist, zeigst du ja schon eine gewisse Vielfalt. An dir erleben die Menschen, dass Kirche da ist, wo sie auch sind – in diesem Fall in den sozialen Medien. Wie könnte man das stärken? Was bräuchte es, damit man das auf breitere Füße stellen kann?
Ich glaube, dass Kirche an vielen Punkten noch viel vielfältiger sein sollte. Gerade bei jeglicher Ausbildung, die in irgendeiner Form theologisch ist, sei es die Bibelschule oder das Theologiestudium: Da wird immer versucht, auch einen bestimmten Typ Mensch zu prägen. Es ist eine bestimmte Sprache, es sind bestimmte Literaturen, die gelesen werden müssen. Wenn man da raussticht, hat man entweder das Gefühl, man passt nicht rein oder man wird auch zum Teil ausgegrenzt. Das muss auf jeden Fall aufhören.
Es braucht diese Vielfalt, damit wir als Kirche auch die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden können und die auch erreichen können. Ich wünsche mir, dass Kirche sich mehr traut.
Das passiert zwar auch Stück für Stück, aber bei dem, was diese Leute an Vielfalt mit sich bringen und zum Teil auch noch an Gegenwind bekommen, zeigt, dass wir noch lange nicht fertig sind. Was ich mir wirklich auch noch sehr wünsche, dass gerade in Sachen Verwaltung den Menschen in der Kirche geholfen wird. Wenn ich sehe, wie sich Kolleg:innen da verausgaben, weil 90% ihres Berufes Denkmalschutz, Bau- und Finanzen und Verwaltung ist, kann ich total verstehen, dass da innovativ gar nichts wachsen kann. Wann denn auch? Dafür haben wir eigentlich auch nicht so studiert. Es geht darum, dass man guckt, wie man die Leute vor Ort gut erreichen kann. Aber wie soll man dafür Zeit haben, wenn Strukturen ganz viel davon auffressen?