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Strategiekongress: Die Kirche stirbt nicht, sie zieht um

12. Dezember

170 kompetente und hochmotivierte Menschen, zwei Tage zusammen in einem interaktiven Strategiekongress mit dem Titel "Auflösung" und der Frage: Kirche reformieren, unterbrechen oder aufhören? Klingt das nicht nach einem Meilenstein? Ja, aber es war keiner.

Ich bin mit hohen Erwartungen nach Bensberg in die Thomas-Morus-Akademie gefahren. Das altehrwürdige Gebäude mit dem hochmodernen, wuseligen Innenleben könnte für manche ein Sinnbild sein für das, was wir als Kirche brauchen: stabile Mauern und modernes Inneres. Für andere wäre genau das Gegenteil attraktiv: modernes Äußeres mit altehrwürdigem Inneren. Es war klar, dass unterschiedliche Kirchenbilder und Erwartungen bei diesem Kongress aufeinandertreffen würden. Eingeladen hatte der Verein Futur2 gemeinsam mit dem Erzbistum Trier, der evangelischen Arbeitsstelle midi und dem zap in Bochum.

Das Kongressdesign versprach viel: Keine Podien, keine Workshops, stattdessen ein großer Saal mit einer großen Runde, wir schauen uns in die Augen und wenden uns gemeinsam dem Thema in sechs interaktiven Sektoren zu. Jeweils vier Protagonist:innen sitzen in einer kleinen Runde mit zwei Moderator:innen in unserer Mitte, setzen Statements und reden darüber. Die anderen Teilnehmenden können reagieren: In Wortbeiträgen, in heißen Diskussionen an Emotionsinseln, um die sich alle scharen können, die nach dieser Runde diese Emotion verspüren: Ärger, Angst, Freude, Kummer, Neugier, Scham, Widerwille. Es gab Filmsequenzen, Zweiergespräche und kleine spontane Runden zum Austausch. Die Verantwortlichen hatten viel Herzblut in die Gestaltung gesteckt und hochspannende Protagonist:innen eingeladen.

Entsprechend gab es, wie nicht anders zu erwarten, tolle Einzelbeiträge, gute Inspiration und interessante Dialoge. Vor allem natürlich gute Gespräche am Rande bei Kaffee oder leckerem Essen. Der Kongress hätte das Zeug gehabt, bahnbrechend für die Teilnehmenden und die Kirchen als Ganze zu werden.

Frust statt Begeisterung

Weggefahren aber bin ich unzufrieden. Und viele andere Teilnehmer:innen auch. Manche waren regelrecht aufgebracht. Alle waren nach Bensberg gekommen, um neue Strategien zu entwickeln, wie mit den Auflösungserscheinungen der Kirche umgegangen werden könnte. Wie die Zukunft aussehen müsste. Was an der Zeit ist, endlich zu tun.

Nach der ersten Session hörte man an der Kaffeemaschine und bei den Mahlzeiten wenig Begeisterung, aber noch Verständnis, dafür, dass mit einer Bestandsaufnahme gestartet wurde – gepaart mit Vorfreude auf die kommenden Sektoren. Mit zunehmender Kongressdauer jedoch wandelte sich die Stimmung bei vielen Teilnehmenden in Enttäuschung bis zu Frustration. 

Blick nach oben. Ein Licht, das den Weg weist? Oder doch nur der Blick zurück, zu dem Weg, den man schon gegangen ist?

Ein Teilnehmer beschrieb den Kongress nach ungefähr drei Vierteln als gute Trauergruppe um den Niedergang der Kirche. Andere fragten am Mittagstisch, warum auf einem Strategiekongress so wenig Strategie entwickelt würde. Jemand empfand das Ganze als kondensierte Kleingläubigkeit. Ein Weiterer sagte: „Der Kongress offenbart die Strategielosigkeit der Kirche.“ 

Obwohl die Kongressleitung viel Raum zur Interaktion ließ, wurde diese Kritik kaum offen geäußert, bestimmte aber die Gespräche beim Essen und abends beim Wein.

Wir beschäftigen uns zu sehr mit uns selbst – und mit der Gegenwart

Vermutlich waren es drei Dinge, die schiefgelaufen sind: Zum einen konzentrierten sich die Themen zu sehr auf das, was ist. Statt vorwärtszudenken und mutig Wege zu entwerfen, beschäftigten sich zwei Drittel des Kongresses damit, wie die aktuelle Situation ist, wie das Bestehende aufrechterhalten wird, wie wir Leere aushalten und wie wir loslassen können. Wichtige Fragen – aber nur ein kleiner Teil der Teilnehmenden dürften mit diesen gekommen sein.

Zudem fehlte es an Dramaturgie. Oder sie war unterwegs verloren gegangen. Dass sich der ganze erste Tag um die Bestandsaufnahme drehte, konnte am Abend noch hoffen lassen, dass sich am Folgenden alles um die Zukunft drehen würde. Zumal dieser mit „Start with why“ und den persönlichen Glaubensantrieben zunächst ordentlich Fahrt aufgenommen hatte. Allerdings nur, um anschließend mit „Exnovation – Wie Sterben geht“ eine motivatorische Vollbremsung hinzulegen. Wer sich gefreut hatte, nach neuen Ansätzen oder gar Utopien forschen zu können, dem blieb nur die letzte Hoffnung auf den abschließenden Sektor, in der (endlich) nach einem neuen Betriebssystem für die Kirche gefragt wurde. Die Protaginist:innen dieses Sektors (von denen zu allem Unglück noch mehrere kurzfristig erkrankt waren) konnten gute Impulse setzen, aber den ganzen Kongress nicht mehr retten.

Zuletzt: Es waren Kirchenmenschen unter sich, die nach ihrer eigenen Rolle in der Welt suchten. Das zu können, ist aber ein Trugschluss, wie es Jens Ehebrecht-Zumsande in seinem Beitrag ausdrückte. Unsere Rolle als Kirche können wir nicht selbst definieren, sagte er. Wir können das nur im Dialog mit Anderen, die sich von uns unterscheiden, denn primär an Grenzen entsteht Kontakt. Solange bei einem solchen Kongress Kirchenleute unter sich sind, wird es keine Antwort auf diese Frage geben.

Die falschen Themen

Ich hätte mir gewünscht, dass sich der Strategiekongress ausschließlich mit der Zukunft beschäftigt hätte. Dass er direkt gestartet wäre mit dem Warum und der Frage nach einem neuen Betriebssystem für die Kirche, um dann gemeinsam ganz konkrete Wege zu entwickeln, Lösungen vorzuschlagen und erste Schritte für die tatsächliche Umsetzung zu definieren. Die Struktur des Kongresses hätte das hergegeben – und das Publikum vermutlich auch.

An Emotionsinseln konnten die Teilnehmenden ihren emotionalen Eindruck teilen.

Stattdessen wurde viel abgeholt und viel in der Gegenwart gestochert. Und dabei auch viel vermieden – wie die Themen Missbrauchsskandal oder die Nicht-Rolle von Frauen im Klerus. In einem katholisch geprägten Zukunftskongress hätten diese mutig und proaktiv in den Blick genommen werden müssen.

Doch sie wurden vollständig ignoriert. Nur einige wenige Wortmeldungen des Publikums erinnerten kleinlaut und ein wenig verzweifelt daran, diese Themen nicht einfach bei der Frage nach der Zukunft auszuklammern. Dass die Moderation dann an einer Stelle dazu aufforderte, „die Hosen runterzulassen“, schmeckt da doppelt bitter. Es offenbart eine gewisse Ignoranz gegenüber den grundlegenden Problemen der Kirche.

Hören statt predigen

Vielleicht hat die Theologin Sandra Bils die Lage am besten auf den Punkt gebracht. Noch 2019 hatte sie im Abschlussgottesdienst des Dortmunder Kirchentags im Westfalenstadion eine viel beachtete Predigt gehalten. Der legendäre Satz „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ bewegt bis heute unzählige Menschen und hat die private Seenotrettung beflügelt.

Im Kongress sagte sie nachdenklich: „Mir fällt es zunehmend schwer, zu predigen. Und zwar, weil ich viel lieber Fragen stellen will und hören möchte, wie es den Menschen ergeht, was sie denken und was sie sich wünschen. Die Frage ist: Wie können wir Hörende werden?“

Solange Kirche sich vor allem mit sich selbst beschäftigt, mit den Strukturen, mit der Trauer, um das, was war, und was hätte möglich sein können, solange werden wir ihrem Verfall nichts entgegenstellen können. 

Kirche muss sich nicht auflösen, aber verändern

Vielleicht müssen wir das auch gar nicht. Vielleicht ist das ganze Narrativ falsch, dass Kirche sich auflösen würde und wir das irgendwie aufhalten müssten oder könnten. Vielleicht sollten wir ein neues Narrativ prägen, so wie jemand am Kongressbuffet bei der vegetarischen Lasagne sagte: „Kirche stirbt nicht, Kirche muss nur umziehen. Kirche muss sich kleiner setzen, sich von dem befreien, was früher wertvoll war, aber seine Zeit gehabt hat. Wie ein Paar, dessen Kinder aus dem Haus sind, das nicht mehr 200qm benötigt, sondern 80. Die reichen nicht nur, die sind vielleicht sogar viel besser und passender, setzen Ressourcen frei und machen das Paar glücklicher. Sie können sich endlich wieder mit anderem beschäftigen als damit, ein viel zu großes Haus in Schuss zu halten. Zum Beispiel mit den Menschen um sie herum.“

Möglicherweise müssen wir also weder Sterbebegleiter noch Totengräber für unsere Kirchen sein, sondern fröhliche und tatkräftige Umzugshelfer. Unterwegs in ein neues, leichtfüßiges Leben.

Für mich ist das die Essenz des Kongresses – und so hat er sich dann doch gelohnt. Ich hoffe, andere hatten ebenfalls so gute Seitengespräche.

Referent für Kommunikation und Netzwerkentwicklung beim Fresh X-Netzwerk | Systemischer Coach & Supervisor