Raus aus den Gemäuern. Raus aus dem Bekannten und Vertrauten. Hinein ins Unbekannte. Ins Neuland. Ins Abenteuer. Kirche da, wo man sie nicht erwartet. Wo man nicht mit ihr rechnet. Wo sie überrascht. Und vielleicht auch herausfordert. Im Stadion. Auf dem Rummelplatz. In der Bäckerei. Beim Festival. Auf dem Campingplatz. Im Schlagerverein.
Anknüpfungspunkte gibt es viele. Die Offenheit für einen kirchlichen Beitrag zu einer Veranstaltung, einer Feier oder einem Programm auch. Und nicht selten gibt es auch konkrete Ideen, wie man sich als Kirche beteiligen könnte. In den Sozialraum und Kontext hineinwirken und Teil dessen werden kann. Auf Augenhöhe. Achtsam.
Denn: Kirche ist viel mehr als ein Gebäude oder eine Form. Es ist eine Gemeinschaft, die sich versammelt – egal wo. (Siehe letzter Artikel: Was ist Kirche?) Der Theologe, Schriftsteller, Künstler und midi-Referent Fabian Vogt hat passend dazu jetzt ein Buch herausgegeben. „Zwischen Beffchen und Bierzelt. Gott feiern im öffentlichen Leben“, heißt das Werk, in dem 21 konkrete Beispiele benannt werden, wie und wo Menschen Gemeinschaft und Gottesdienst feiern – weit ab von dem, was man gemeinhin mit Kirche verbindet.
So beschreibt die Pfarrerin für besondere Gottesdienste aus Bad Hersfeld (Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck), Imke Leipold, was für gute Erfahrungen sie mit Gottesdiensten an Lieblingsorten gemacht haben. „Nennt uns euren Lieblingsort, wir kommen und feiern mit euch dort Gottesdienst“, lautete das aus der Not geborene Angebot während der Coronazeit. Doch weil es so gut ankam, ist es nun zu einem festen Bestandteil der Wortverkündigung. Egal ob im eigenen Garten, im Schwimmbad, im Kornfeld, am Teich, in der Kneipe oder im Park. Kirche kommt dahin, wo Menschen sich gerne aufhalten.
Individuelle und persönliche Gottesdienste, die in ihrer Eindringlichkeit so viel mehr Menschen ansprechen als die, deren Lieblingsort das ist. Es ist ein Gottesdienst mitten im Leben.
Mitten im Alltag, beschreibt Leipold und teilt nach vier Beispielen und den festgelegten liturgischen Elementen noch drei Weisheiten: „1. Es gibt kein schlechtes Wetter. 2. Alles ist möglich. 3. Wunder gibt es immer wieder.“
Goldene Spure an unerwarteten Orten
Auch in Süddeutschland hat man bereits gute Erfahrungen mit Gottesdiensten an ungewöhnlichen Orten gemacht. An Orten, die per se schon zum Träumen oder Nachdenken einladen, die einen staunen lassen oder die biblische Geschichten in besonderer Art und Weise lebendig werden lassen. Marie-Elaine Seeberger hat in ihrer Kolumne „Goldene Spuren“ einen Artikel über Secret Places geschrieben und berichtet, wie sie geheime Orte für einen Abend zu neuem Glanz verholfen haben. Aber auch Gottesdienste an Lost Places oder Underrated Places wären denkbar. Wie wäre es mal mit einem Gottesdienst in einer Bäckerei, bei der es um das Gleichnis vom Sauerteig geht und man gemeinsam ein Sauerteigbrot backt und genießt? Oder ein Gottesdienst in einer Weinhandlung, wo es um alte Schläuche und neue Weine, Wasser und Wein oder Jesus als Weinstock geht? Wie wäre ein Gottesdienst in einer Autowaschanlage mit anschließender karitativer Autowasch-Aktion? Ein Gottesdienst in einer Verpackungsfirma, einem Logistik-Unternehmen oder einer Schlosserei?
Mit Leib und Seele Gott erleben
Wer einmal anfängt, nachzudenken, beginnt schnell nur so vor Ideen zu sprudeln. Gottesdienste im (Auto-)Kino, auf dem Campingplatz, im Stadion oder dem Dorffest – das Buch von Fabian Vogt bietet neben vielen bekannteren und erprobten Ideen auch Ungewöhnliches. Yoga-Gottesdienste, wie sie Pia Wick vom Sela-Institut in Witten (Evangelische Kirche von Westfalen) anbietet, zum Beispiel. Ein Gottesdienst in Sportklamotten und voll Bewegung, bei dem der Körper durch verschiedene Übungen mit einbezogen wird. „Es sind Übungen aus der Achtsamkeits- und Yogapraxis, die dehnen und strecken, erfrischen und entspannen. Sie leiten uns in die Gegenwärtigkeit und helfen, dass die Worte der Predigt im Körper weiterwirken und wir die körperliche Dimension der biblischen Botschaft tiefer verstehen und begreifen“, erklärt Pia Wick das Konzept. Mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele Gott erleben.
Ein anderes ungewöhnliches, aber nicht unmögliches Modell: Handwerksgottesdienste. Und nein, dabei handelt es sich nicht um klischeebehaftete Männer-Gottesdienste, sondern um Formate, die zusammen mit der örtlichen Kreishandwerkerschaft gedacht und geplant werden. Annelies Bruhne, Geschäftsführerin des Evangelischen Verbands Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt, berichtet von Gottesdiensten mit Bäckerchören oder anderen musizierenden Handwerker:innen, von Gottesdiensten in Werkstätten, Hallen oder anderen handwerklich genutzten Gebäuden. Und Peter Grohme, Referent für das Handwerk in der EKKW beschreibt: „Wenn ich Gottesdienste mit Handwerkern organisiere, dann ist das etwas Besonderes. Keine Berufsgruppe hat diese starke Verbundenheit und Vertrautheit mit der Kirche. Das liegt an der gemeinsamen Verantwortung für das Gemeinwesen, dem gemeinsamen Sozialraum. Beide, Pfarrer und Handwerker, schaffen etwas, reparieren und halten zusammen. Der eine mit Wort, der andere mit Tat. Das zu feiern, ist ein Privileg.“
Das ganze Leben ein Gottesdienst
Und auch Fabian Vogt selbst sieht das Feiern von Gottesdiensten im öffentlichen Raum als Privileg an. Als ein Privileg, das wir schon in der Bibel finden. Paulus beschreibt es im Römerbrief, Kapitel 12. „Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung“, heißt es da. Oder: „Seid ein lebendiges Opfer, das Gott dargebracht wird und ihm gefällt.“ Denn, „das ist ein Gottesdienst, wie er sein soll.“ Oder anders, mit den Worten Vogts, formuliert: „Unser ganzes Leben sollte ein Gottesdienst sein!“ Gerade deswegen macht es so viel Freude, wild und kreativ zu denken und sich zu überlegen, wo und wie man Gottesdienst feiern kann. Denn eins ist klar:
Ein „normaler“ Gottesdienst sind Feiern im öffentlichen Raum nicht. Sie funktionieren meist anders, nach anderen Regeln, als die klassisch-liturgischen Gottesdienste am Sonntagmorgen.
Laut Fabian Vogt benötigen diese Gottesdienste vor allem eine Übersetzungsleistung, weil man mit Leuten zu tun hat, die keine Gottesdienste, keine fromme Sprache, keine Gebete, keine christlichen Lieder kennen. Die Gottesdienste brauchen eine Inkulturation. Wenn Kirche zu Gast an Alltagsorten ist, muss eine Offenheit da sein, der Wille zu gegenseitigem Vertrauen, dass etwas Gutes entstehen kann. Und es braucht Vernetzung. Kirche ist auf andere angewiesen. Auf Gastgeber:innen, auf viele helfende Hände, auf Personen, die sich an dem Ort oder in dem Thema gut auskennen. Es braucht Menschen, die bereit sind, sich anderen zu öffnen und etwas von dem Ort und sich preiszugeben. Es braucht Ehrenamtliche, die nicht nur Tische und Stühle schleppen, Schnittchen schmieren oder Einladungen verteilen, sondern, die Brücken bauen. In den Alltag, in den Kontext, in das Empfinden und die Sprache der Anwesenden. Die sich auf echte Partizipation einlassen und den Raum dafür eröffnen.
Dann eröffnet sich auch ein ganz neuer (Spiel)Raum für Kirche.