Natürlich ist es toll, Neues auszuprobieren. Sich an Dinge heranzutasten, sich auszutesten und ggf. zu adaptieren, anzupassen oder auch zu verwerfen. Doch solange einfach jede:r macht, wie er:sie will, gibt es nur wenig Möglichkeiten, voneinander und miteinander zu lernen. Aus Erfolgsstorys, aber auch aus Fehlern und falschen Entscheidungen.
Nur wenige Erprobungs-, Innovations-, Entwicklungs- oder Spielräume (oder wie auch immer die neuen kirchlichen Aufbrüche und Ausdrucksformen in den einzelnen Landeskirchen und Bistümern auch heißen) haben überraschenderweise ihre Aufbrüche empirisch begleitet und erforscht. Doch von denen, von denen es solch ein Material gibt, können jetzt alle profitieren. Denn im Buch „Erprobung empirisch. Resultate und Reflexionen im Kontext der Erforschung landeskirchlicher Innovations- und Erprobungsräume“ von Vandenhoeck & Ruprecht (auch als Open Source-Datei erhältlich) haben Theolog:innen, Kirchenentwickler:innen, Soziolog:innen und andere Wissenschaftler:innen ihre Beobachtungen und Erkenntnisse rund um verschiedene (landeskirchliche) Erprobungsräume zusammengetragen.
Forschungsvorgehen
Das Buch bündelt, analysiert und diskutiert kirchliche Erprobungsräume als Plattformen zur Förderung von Innovation innerhalb kirchlicher Strukturen; vor allem in der Evangelischen Kirche im Rheinland, aber auch in anderen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Schweiz und den Niederlanden. Diese Räume sollen neue Wege für kirchliche Gemeinschaftsbildung und Spiritualität bieten und sich – im Gegensatz zu einigen traditionellen Formaten – an den Bedürfnissen und Erwartungen verschiedener Kontexte der modernen Gesellschaft orientieren. Neben Beiträgen zu Innovations- und Erprobungsräumen in acht (Landes-)Kirchen, enthält der Band eine wissenschaftlich-komparative Gesamtschau zu Fragen des Lernens und der Implikationen für die Kirchenentwicklung. So soll die Kirche als lernende Organisation identifiziert und ihre Entwicklung als solche unterstützt werden. Herausgearbeitet wurde dies durch eine Kombination aus qualitativen und quantitativen Methoden, wie narrative Dialoginterviews mit Stakeholdern auf verschiedenen Ebenen (Gemeindeleitungen und Initiativen), Onlinebefragungen zur Untermauerung der Hypothesen und ersten Ergebnisse sowie durch Beobachtungen von Projekten und semi-strukturierten Interviews für tiefere Einsichten in die alltägliche Praxis und Herausforderungen.
Zentrale Erkenntnisse
Neben vielfältigen Impulsen und Anregungen konnten vor allem drei große Erkenntnisse herausgearbeitet werden, die in dem Buch von verschiedenen Wissenschaftler:innen vorgestellt werden:
- Spannungen zwischen Innovation und Tradition: Die Erprobungsräume agieren oft im Spannungsfeld zwischen kreativen Projekten und traditionellen kirchlichen Strukturen, was zu Konflikten bezüglich Ressourcenverteilung und Entscheidungsprozessen führt.
- Wirksamkeit der Erprobungsräume: Diese Räume ermöglichen eine erweiterte Reichweite, die auch Menschen außerhalb traditioneller kirchlicher Zielgruppen anspricht, was auf eine steigende Akzeptanz und Nachfrage hindeutet.
- Strukturelle Herausforderungen: Die Verteilung von Kirchensteuermitteln und Personalschlüsseln zugunsten traditioneller Gemeinden erschwert die langfristige Integration innovativer Projekte. Empfehlungen schlagen daher eine flexiblere Ressourcenverteilung vor, die auch innovativen Formen der Gemeinschaft gerecht wird.
Handlungsempfehlungen
- Flexibilität in Ressourcenallokation: Reformen in der finanziellen Unterstützung und personellen Ausstattung sind nötig, um innovativen Projekten dieselben Chancen wie traditionellen Strukturen zu geben.
- Förderung eines Innovationsklimas: Durch eine offene Diskussionskultur und enge Zusammenarbeit mit traditionellen Gemeinden könnten Erprobungsräume längerfristig unterstützt und Konflikte reduziert werden.
- Kirche als lernende Organisation: Es wird empfohlen, den Erfahrungsaustausch innerhalb der Kirche zu stärken und erfolgreiche Projekte als Vorbild für andere Gemeinden zu nutzen.
Die Autoren heben in dem Buch hervor, dass Erprobungsräume das Potenzial haben, die Kirche als dynamische Institution zu stärken, vorausgesetzt, dass bestehende Barrieren überwunden und die Erkenntnisse zur Kirchenentwicklung berücksichtigt werden. Damit dies gelinge kann, haben sie – gemeinsam mit den Erprobungs-, Erfahrungs-, Innovations- oder Spielräumen – Handlungsempfehlungen für die Kirchenleitenden herausgearbeitet. Diese betreffen beispielsweise die Ressourcenverteilung, die Förderung eines Innovationsklimas sowie die Verstärkung eines Erfahrungsaustauschs innerhalb der Kirche.
Für Personen, die sich schon intensiv mit Kirchenentwicklungsprozessen beschäftigt, wird dieses Buch wohl keine neuen Erkenntnisse bereithalten, jedoch das vorhandene Wissen gut gebündelt präsentieren. Für all diejenigen, die relativ neu in dem „Game“ sind, ist es zwar keine leichte Einschlaflektüre, aber eine sehr gut erarbeitete und aufbereitete Einführung in den aktuellen Stand der Kirchenentwicklung.
Und wer mehr zu dem Thema wissen will, der hat am 13. und 14. März die Gelegenheit, beim Symposium:
„Erprobung empirisch. Wie wirken Innovationsräume in der Kirchenentwicklung?“
an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum, in Kooperation mit der CVJM-Hochschule und midi. Tickets für die Veranstaltung gibt es hier: www.cvjm-hochschule.de/erprobung2025