Wie sieht die beste Mischung aus Bewährtem und Neuem aus?
Zunächst gilt ja Folgendes: Das Neue funktioniert gar nicht ohne das Bewährte. Dazu ein Beispiel: In einem Sprachcafé bekamen Frauen Unterstützung beim Englischlernen. Und in dieser ihnen bekannten Umgebung wurde etwas Neues mit untergebracht: Eine Gebetswand wurde aufgehängt und die Frauen konnten dort ihre Gebetsanliegen anpinnen. Das funktionierte vor allem deswegen, weil diese Frauen im Prinzip bereits mit der Idee vertraut waren, zu beten. Als Buddhistinnen pflegen sie ja auch schon Gebetsrituale.
Jede Neuerung funktioniert nur dann, …
… wenn sie sinnvoll mit etwas schon Bestehendem verbunden wird. Kaffee-Kirche hat an vielen Stellen funktioniert, weil sie an Café und Kirche andockt, und diese beiden neu zusammenbringt. Und genau das ist eben charakteristisch für gelungene Neuerungen. Sie bringen oft Dinge zusammen, die vorher noch nicht in dieser Weise verbunden waren.
Was bedeutet das für die Kirche?
Wenn etwas Neues begonnen wird, aber gar nicht zu etwas bereits Bestehendem in Bezug gesetzt wird, dann wird es sich kaum etablieren können. Alles Neue muss sowohl in einem Bezug stehen zu den Traditionen der Kirche als auch zur anvisierten Zielgruppe des Angebots. Das ist die Mitte, das Herz von Fresh X, diese Verbindung zu schaffen, denn im täglichen Leben jedes Menschen gibt es ja viele Routinen und Rituale, an die man anknüpfen kann, wie zum Beispiel, dass man gerne mal zusammen auf ein Bier in die Kneipe geht.
Wie lassen sich diese säkularen Traditionen mit der spirituellen Überlieferung der Kirche verbinden?
Einerseits muss jede Innovation in Bezug zur Tradition stehen. Aber andererseits ermöglicht es die Innovation der Tradition, sich in neuen und sich verändernden Umständen ganz neu auszudrücken. So hält die Innovation die Tradition am Leben. Wenn es keinerlei Neuerung gibt, stirbt auch die überlieferte Tradition. Wenn die römisch-katholische Kirche immer noch daran festhalten würde, dass die Messe ausschließlich in lateinischer Sprache gefeiert werden kann – das wäre eine Sackgasse!
Von daher sollte die Überlieferung weitergehen?
Richtig, sie braucht aber auch die Erneuerung, um lebendig zu bleiben. Die beiden gehören einfach zusammen. Die Neuerung muss zur Überlieferung passen, und die Überlieferung braucht die Neuerung, um neues Leben eingehaucht zu bekommen. Beide verstärken sich wechselseitig.
Aber es gibt doch schon so viele verschiedene Traditionen in der Kirche!
Aber natürlich! Und es ist notwendig, von diesen verschiedenen Traditionen zuerst eine Bestandsaufnahme zu machen und sie dann für die Gegenwart und Zukunft neu zu interpretieren.
Bringen Sie uns bezüglich Fresh X mal auf den neuesten Stand. Was sind denn gerade so die frischesten Ideen?
Also, wir testen gerade sogenannte Inkubatoren. Diese Idee haben wir aus der Wirtschaft übernommen, wo es solche Inkubatoren für angehende Unternehmer gibt. In der Kirche von England nennen wir sie Treibhäuser, und die Methodisten in Florida nennen sie Studios.
Die Grundidee ist aber überall dieselbe: Teams kommen zusammen und werden gemeinsam kreativ und aktiv. So ist eine Fresh X dann nicht ein Alleingang einer Einzelperson oder eines kleinen Grüppchens, sondern so wie in der Schule oder der Universität, wo das Lernen oft am besten im Austausch und durch die Interaktion mit anderen Schülern und Studenten funktioniert, machen wir das jetzt bei Fresh X auch.
Fresh X setzt nicht auf einzelne Pioniere, sondern Teams?
Eine Fresh Expression startet man unserer Erfahrung nach am besten in Gemeinschaft mit anderen. Im Team ist gemeinsames Lernen möglich. Für so einen Inkubator gibt es fünf wichtige Punkte: Zuerst ein gemeinsamer Fokus: das Abenteuer, zuerst zu lieben, des Zuhörens, der tätigen Liebe, der Gemeinschaftsbildung, des Weitererzählens von Jesus, der weiteren Formung der Gemeinde, und dann das Ganze wieder von vorne anzufangen. Zweitens nutzen Teams die kostenlose App „FX: Godsend“ als ein Hilfsmittel für ihr Gebetsleben und ihre Entscheidungsfindung. Die App hilft Teams dabei, sich auf das Abenteuer einzulassen, zuerst zu lieben. Sie enthält Anregungen, Best Practices und Vorlagen. Drittens kommen solche Teams zweimal jährlich zu einem Planungs- und Austauschtreffen zusammen.
Was passiert dort?
Sie stellen sich Fragen wie: Wo stehen wir gerade? Wo sind wir auf unserem Weg? Was könnten wir als Nächstes tun? Und was werden wir tatsächlich als Nächstes tun? Von so einem Treffen nehmen die Teilnehmenden einen Plan für das nächste halbe Jahr mit nach Hause. Und so kommt es nie zu einem Stillstand, sondern es geht irgendwo etwas voran. Das vierte Element ist gegenseitige Unterstützung durch soziale Medien und moderne Kommunikationsmittel zwischen den Treffen. Die Teams posten ihre Veranstaltungen in den Sozialen Medien, sie schicken Gebetsanliegen, z. B. über einen Messengerdienst, herum, sie fragen andere Teams um Rat, sie teilen Materialien usw. Daraus ergibt sich so eine Art von Schwarmintelligenz. Und last, but not least: Wenn Bedarf dafür besteht, kann man sich als Team maßgeschneidert von einem Mentor beraten lassen.
Wäre Jesus Teil der Fresh X-Bewegung? Was würde er dazu sagen?
Ich glaube, ihm würde das Herz aufgehen! (lacht) Aber ich möchte noch einen Aspekt von Fresh X erwähnen, der gut in diesen Zusammenhang passt: Wir möchten Jesus selbst zu Wort kommen lassen! Dafür ist es besonders bedeutsam, gerade solchen an Glauben interessierten Menschen, die sonst kaum oder nie eine Kirche von innen sehen, an irgendeinem Punkt eine Möglichkeit zu bieten, bei der sie selbstständig die Bibel besser kennenlernen können. So kann Jesus diesen Menschen direkt ins Herz sprechen. Jesus wird so vom Gesprächsthema zum Gesprächspartner.
Auch in Deutschland haben sich inzwischen verschiedenste Formen von Fresh X entwickelt. Gibt es irgendetwas, was die Briten von den deutschen Fresh X lernen könnten?
In Deutschland habt ihr ganz wundervolle Möglichkeiten in der Arbeit mit jungen Menschen, besonders in euren Konfi-Kursen und Firm-Gruppen. Wie toll wäre es denn, wenn jeder Konfi-Kurs und jede Firm-Gruppe in eine Fresh X-Arbeit münden würde? Ich möchte das mal etwas näher ausführen: Da sind 40 oder 50 Jugendliche in einem Kurs, die sich dafür angemeldet haben, weil sie gerne konfirmiert bzw. gefirmt werden möchten. Wenn man zusammen mit den anderen Firmlingen unterwegs ist bzw. auf Konfi-Camp fährt, dann ist der Unterhaltungsfaktor hoch. Man kocht und isst zusammen, man hat zusammen Spaß, man geht zusammen klettern usw. Alle diese gemeinsamen Erlebnisse und Aktivitäten sind sehr gemeinschaftsbildend.
Aber nach ein oder zwei Jahren konfirmieren wir vielerorts die Jugendlichen nach draußen …
Von daher sage ich: Konzentriert euch auf die Jugendlichen. Ihr habt in Deutschland eine gute Ausgangslage, die ihr gezielter nutzen könnt. Wenn ihr dabei gute Erfahrungen macht, könnte es tatsächlich auch uns Anregungen geben, wie wir bei uns Jugendarbeit machen und das Evangelium mit jungen Menschen teilen könnten. Versucht aus jedem Konfi-Kurs, aus jedem Firmlingsjahrgang eine neue Gemeindearbeit zu machen.
Nicht alle bringen diese Ressourcen auf!
Dann überlegt, in einen zweijährlichen Rhythmus zu wechseln. So könntet ihr zum Beispiel alle zwei Jahre einen Konfi-Kurs mit 80 Teilnehmenden haben, statt 40 Teilnehmende in jedem Jahr. So könntet ihr euch auch Abende freihalten, um die neue Gemeinschaft zu begleiten, wenn sie sich herausbildet, und die jungen Menschen ermutigen, sich als Leiter auszuprobieren. Bietet den etwas Älteren Gelegenheit, den Jüngeren unter die Arme zu greifen. Erwartet von Gottes Geist ruhig ein kräftiges Kirchenwachstum. Das könnte ein ziemlicher Exportschlager „Made in Germany“ werden!
Das von Dagmar Hambe ins Deutsche übersetzte Interview erschien in der Ausgabe 04/2020 der Zeitschrift 3E.