inspiriert

Kirche, lasst uns neu starten!

12. Mai

Sie ist 25 Jahre alt und sitzt schon in den wichtigsten Gremien der evangelischen Kirche. Seit dem 08. Mai 2021 ist sie sogar Präses der EKD-Synode. Warum Gremienarbeit Spaß macht, wie man sich als junger Mensch innerhalb der Kirche einbringen kann und weshalb Strukturen gut sind, hat Anna-Nicole Heinrich im 38. Frischetheke-Podcast erzählt.

Katharina: Anna-Nicole, du bist auf verschiedenen Ebenen in der Kirche engagiert. Woher nimmst du die Motivation für dein großes ehrenamtliches Engagement?

Anna-Nicole: Ich glaube, es sind zwei Sachen. Ich komme einfach gerne raus und durch so ein kirchliches Engagement kommt man rum; man lernt superviele Leute kennen, kann sich in unterschiedlichen Bereichen vernetzen. Die zweite Sache ist, dass ich das Gefühl habe, durch das Gestalten der Struktur kann ich Kompetenzen einbringen, die darin liegen, Prozesse zu beobachten, meine Perspektiven und die Perspektiven von jungen Menschen einzubringen.

Katharina: Was würdest du jungen Leuten raten, die die Chance haben, sich ehrenamtlich innerkirchlich zu engagieren? Bist du da reingeraten oder war das ein bewusster Schritt?

Anna-Nicole: Ich weiß gar nicht mehr, ob ich da reingeraten bin. Das lässt sich im Nachhinein nur schwer rekapitulieren. Ich weiß aber noch, dass ich auf meine erste große Gremiensitzung, die Landesversammlung der evangelischen Jugend in Bayern, gefahren bin und mein Gemeindereferent noch gesagt hat: „Anna, hinfahren, anschauen, nicht wählen lassen. Wir brauchen dich hier.“ Und dann kam ich wieder und hab gesagt: „Öhm, ich bin im leitenden Kreis.“ (alle lachen) Und er: „Was hast du nicht verstanden?“ Und ich (spricht schnell und begeistert): „Aber das war so cool und wir haben so gut diskutiert und dann hab ich mich in den Diskurs eingebracht und dann haben mich Leute gefragt und dann hab ich es halt gemacht.“ Ich glaub, genau das ist der Schlüssel: Ich war und bin nicht im Kirchenvorstand oder in der Gemeindeleitung meiner Gemeinde, aber man kriegt ja trotzdem mit, was in der Gemeinde grad so abgeht, was entschieden wird und wofür Geld ausgegeben wird beziehungsweise wofür kein Geld ausgegeben wird. Unabhängig davon, ob man in den Leitungsgremien ist oder nicht, sollte man auf die Leute, die da drin sind, zugehen und einfach mal sagen: „Hey Manfred, ich hab mitbekommen, ihr beschließt jetzt bald über die neue Kirchenglocke und das kostet so und so viel Geld. Und wenn ihr so viel Geld dafür ausgebt, warum habt ihr dann nicht auch tausend Euro, um uns ‘nen Satz neue Spiele für den Jugendkreis zu kaufen?“ Also einfach die Frage zu stellen und sich einzubringen, in dem man z. B. sagt: „Wenn ihr ‘ne Stimme hören wollt, warum wir diese Spiele brauchen, komm ich mal zu euch in den Kirchenvorstand und erzähle, was wir die letzten Monate gemacht haben.“ Also zu versuchen, sich in den gremialen Prozess einzubringen, auch wenn man nicht Teil des Gremiums ist. Ich hoffe wirklich, dass das eine Zukunft unserer kirchlichen Struktur ist, dass wir nicht daran festhalten, dass nur die acht Gewählten mitreden und mitentscheiden dürfen, sondern dass wir uns öffnen.

Rolf: Wenn du von der zukünftigen Struktur der Kirche redest, angenommen, du dürftest dir jetzt eine neue Struktur von Kirche ausdenken, wie müsste die sein, dass sie wirklich gut ist?

Anna-Nicole: Also ein Learning aus den letzten Jahren in der EKD ist, schon auch das Gute in den jetzigen Strukturen zu sehen. Das Gute daran zu sehen, dass wir so eine durchstrukturierte Kirche mit klaren Entscheidungswegen sind, ähnlich wie ein politischer Betrieb. Und wenn man zurück guckt, ist das auch was, was in schwierigen Zeiten die Kirche am Leben hält. Oder nach schwierigen Zeiten der Institution wieder hilft, anzulaufen. Rituale schaffen können wir in Kirche gut.

Ich glaube, meine Traumkirche der Zukunft hat deshalb trotzdem noch Rituale und Struktur, aber in deutlich kürzeren Intervallen und deutlich themenbezogener. Wir brauchen keine ständigen Gremien, sondern wir brauchen Austauschrunden, wenn es notwendig ist. Und eine vernetztere Kirche. Ich hätte gerne Pfarrer:innen, die sich bewusst sind, dass sie nur wenige erreichen, aber trotzdem auch die im Blick haben, die sie nicht erreichen. Und die sich dann Schlüsselpersonen suchen, durch die sie andere Menschen ansprechen können. Lasst uns das strukturieren, was wirklich notwendig ist, und lasst uns alles andere freier gestalten.

Katharina: Total. Das wäre auch etwas, wo wir von der Fresh X-Idee her sagen würden, lasst uns Kirche ergänzend denken und die Struktur schlau nutzen, die es schon gibt.

Anna-Nicole: Und ich glaub, eine Sache würde ich noch anschließen zum Thema, wie stell ich mir die Kirche der Zukunft vor: Damit wir uns überhaupt eine Kirche der Zukunft vorstellen können, ‒ wenn wir jetzt wirklich von den verfassten Kirchen sprechen, ‒ dann müssen wir als verfasste Kirchen jetzt anfangen, Sachen auch sein zu lassen, sonst haben wir überhaupt keine Kapazität neue Sachen zu machen. Wir müssen nicht zuerst Prioritäten setzen, sondern wir müssen zuerst die Posterioritäten setzen. Wenn wir das gemacht haben, lasst uns neu starten.

Katharina: Man wünscht sich ja manchmal, es käme mehr Dynamik rein, gleichzeitig ist da aber direkt die Sorge, dass man aufgrund neuer Projekte das Bisherige irgendwann nicht mehr aufrechterhalten kann. Und genau da setzt ja deine Frage an, die du grad gestellt hast: Was kann man vielleicht lassen, damit zumindest ein bisschen Freiraum ist, wenn eine neue Idee aufploppt, um zu sagen; ja, da haben wir noch Luft. Da haben wir noch Zeit, Ressourcen oder so, um das in Angriff zu nehmen.

Anna-Nicole: Ich glaub, ressourcentechnisch klappt das ja. Wenn man zum Beispiel auf die Finanzstrategie der EKD guckt, die von der Synode beschlossen wurde, ist das genau das Ziel: Wir brauchen Risikokapital, das wir einfach einsetzen können. Natürlich mit irgendwelchen Richtlinien, aber prinzipiell erst einmal ohne Bedingungen und einfach nur mit der Hoffnung, dass daraus etwas erwächst. Ich glaube, dass der zeitliche Faktor ein riesiges Ding ist. Also, wo finden wir in unseren kirchlichen Strukturen, die superkrass durchgetaktet sind, den Zeitraum, so etwas mal den Platz zu lassen? Das wär ein spannender Impuls, nicht nur auf die Finanzen zu gucken, sondern auch auf die Zeitressourcen. Gerade in den Gremien. Wo haben wir Zeit, einfach auch mal über Sachen zu reden, die eigentlich nicht auf der Tagesordnung stehen? Das haben wir viel zu selten.

Autorin, Lektorin, Redakteurin von Beruf. Im Fresh X-Netzwerk und an der CVJM-Hochschule. Mitarbeitende, Mitdenkende, Mitgestaltende in Kirche. Suchende, Sehnende, Scheiternde, Fragende, Findende, Fordernde im Privaten.