Als Teenager und auch später im Studium war ich engagiert in der christlichen Pfadfinderarbeit. Ich erinnere mich, wie mich ein Kreis von altgewordenen Pfadfindern einlud, davon zu erzählen, was denn heute so läuft. Was ich damals erzählte, weiß ich nicht mehr. Nur eines blieb hängen: Am Ende nahm mich einer der Alten zur Seite, der bestimmt schon 80 Jahre alt war, und sagte: „Christian, wir beten für dich in deinen Leitungsaufgaben. Das sollst du wissen.“ – Wer einen solchen Satz schon einmal gesagt bekam, weiß, wie kraftvoll das ist.
Leitung braucht Gebet
Seitdem weiß ich: Leiten in der Kirche hat etwas mit Beten zu tun. Als Menschen, die leiten, brauchen wir Menschen, die für uns beten. Und als Menschen, die leiten dürfen, ist es wichtig, dass wir beten für die Menschen, die unserer Leitung anvertraut sind. Das gilt für uns selbst genauso wie für die Gremien, mit denen wir unterwegs sind.
Derzeit leben wir als Kirche und Gemeinde in aufregenden Zeiten. Die Welt verändert sich rasant und viele Gemeinden stehen vor der Frage, wie sie ihre Arbeit in Zukunft gestalten sollen. Einfache Lösungen – das hat inzwischen jeder verstanden – gibt es nicht. Die Welt und die Herausforderungen sind komplex. Manchmal macht uns das hilflos. Wie sollen wir in einer solchen Situation den Wandel gestalten? Wo sollen wir überhaupt anfangen?
In den letzten Jahren habe ich immer mehr gelernt: auf jeden Fall mit Gebet. Das gilt ganz besonders für unsere vielbeschäftigten Leitungssitzungen und -gremien. Ich bin überzeugt: Alle Reorganisation und Erneuerung der Kirche, die nicht gegründet ist im Gebet, taugt nichts. Weil sie im besten Falle zu einer Optimierung der Organisation und der Abläufe führt, ihr aber das Element der geistlichen Erneuerung fehlt, der Erfrischung durch Gottes guten Geist.
Natürlich müssen wir neue Methoden lernen, neue Arbeitsformen erfinden. Es ist wichtig, differenziert den Sozialraum wahrzunehmen und zu klären, wie Kirche zu Diensten sein kann und die Fragen der Nachbarschaft trifft. All das im Gebet zu tun, es mit Gebet zu durchweben, bedeutet, dass wir dabei stets im Dialog bleiben mit Gott. Wir vergewissern uns, dass Jesus an unserer Seite geht, und vertrauen dem Heiligen Geist, dass er unsere Schritte lenkt. Das darf ganz unterschiedlich aussehen: allein und in Gemeinschaft. Frei und fromm in Gebetsgemeinschaft, als Tagzeitengebet oder meditatives Gebet. Oft ist es ein Lernweg, zu schauen, wie wir gemeinsam beten können.
In der Gemeinde beginnt es für mich im Kirchenvorstand. Ich weiß noch genau, wie ich vor einigen Jahren erholt und erfrischt aus dem Urlaub kam, voll mit neuen Ideen. Gleich bei der ersten Sitzung sagte ich: „Ich schlage vor, wir nehmen uns mehr Zeit für Bibellese und Gebet. Am besten immer die ersten 30 Minuten in der Sitzung.“ Darauf ein altgedienter Kirchenvorsteher: „Herr Pastor, die Sitzungen sind fürs Geschäft, wir müssen uns um Leitung und Haushalt kümmern. Fürs Bibellesen und Beten haben wir die Bibelstunde.“
Erneuerung braucht Gebet
Unsere Diskussion ging noch eine Weile weiter. Am Ende haben wir ausgemacht, es zumindest für eine gewisse Zeit auszuprobieren. Das gab Raum für die Erfahrung, dass die Sitzungen deshalb keineswegs länger dauern. Im Gegenteil: Die Gesamtzeit blieb ungefähr gleich und wir verließen am Ende die Sitzung nicht nur mit dem Gefühl, die Tagesordnung abgearbeitet zu haben, sondern hatten durch die Gebetszeit mehr Klarheit gewonnen für unsere Leitungsaufgabe und den damit verbundenen Ruf.
Wir haben in jenem Jahr viel darüber gesprochen, wie Leitung, Gebet und Erneuerung der Kirche zusammengehören. Am Ende stellten wir die Frage: Wie können wir die Erfahrung des Kirchenvorstandes weitertragen in die Gemeinde? So entstand die Idee, ein Jahr des Gebets in der Gemeinde zu starten. Das Ziel dabei war ganz simpel: Wir wollten alle Gruppen und Teams ermutigen, sich während ihrer Treffen Zeit für Gebet zu nehmen. Zu dritt planten wir, wie wir das Thema Gebet in unserer vierteljährlichen Leitungsrunde einbringen wollten. In jedem Treffen sollte dafür 30 Minuten Zeit sein.
Beim ersten Mal starteten wir mit den Fragen: Wie geht eigentlich Gebet? Wann und wo betest du? Welche Reaktionen erlebst du, wenn Gebet zum Thema wird? Wir bildeten zunächst Zweiergruppen, weil das Thema für viele sehr persönlich ist, und berichteten dann später in der großen Gruppe. Spannende Diskussionen entzündeten sich, ob man im Restaurant betet oder nicht und wie das bei Familienfeiern ist, wenn die erwachsenen Kinder keine Lust zum Beten haben oder es komisch finden.
Beim zweiten Treffen ging es um das Thema Beten in den Gemeindegruppen. Hier wurde überlegt, wie Gebet am besten in die jeweiligen Treffen einzubinden ist. Ganz praktisch z. B. die Frage, ob ein Gebet am Anfang oder am Ende einer Chorprobe besser funktioniert. Und: Wer soll das Gebet leiten und wie lange sollte es dauern? Wie ist es möglich, Menschen mitzunehmen, die noch nicht so intensiv im Thema stecken? Am Ende der Einheit bekam jede:r die Aufgabe, ein Gebet für seine Gruppe zu schreiben. Wir beteten es gemeinsam und bis zum nächsten Treffen bekam jede:r die Aufgabe, genau dieses Gebet in einem der Gruppentreffen zu beten. Beim dritten Treffen gab es dann viel zu erzählen. Jede:r berichtete, was er oder sie erlebt hatte. Manche waren überrascht, wie positiv der Impuls aufgenommen wurde, und es entstand eine große Bereitschaft, in Zukunft mehr Raum für das Gebet einzuräumen. Ein viertes Treffen half dann, zu vertiefen und noch einmal einzelne Aspekte aufzunehmen.
Glaubensverkündigung braucht Gebet
Wenn wir als Leitende andere anstecken und ermutigen wollen in ihrem Glauben, dann ist es wichtig, gemeinsam zu beten und andere mit hineinzunehmen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Übungssache und wir können als Leitende viel dafür tun, dass eine gute und regelmäßige Gebetspraxis in unseren Treffen und gemeinsamen Veranstaltungen Gestalt gewinnt. Egal, wie lang die Tagesordnung ist oder wie kurz die zur Verfügung stehende Zeit. Es ist gut, Zeit zu schaffen für Gebet. Denn schließlich geht es in all unserem kirchlichen Tun um die Beziehung zu dem, der uns trägt. In ihm finden wir Ermutigung, Orientierung und Begeisterung. Mit diesem Rückenwind wird Leitung leichter und führt zum Ziel.
Christian Ceconi ist seit April 2020 Direktor der Berliner Stadtmission. (Die Berliner Stadtmission ist Mitglied im Fresh X-Netzwerk.) Einmal im Monat schreibt er eine:n der Berliner Bezirksbürgermeister:innen an und fragt: Wofür dürfen wir in Ihrem Bezirk beten?
Dieser Artikel erschien bereits in der Zeitschrift 3E (Ausgabe 1/22). Vielen Dank für die Erlaubnis zur Zweitverwertung.