„Gott kann auch nicht alles“ – es gibt so viel über das Buch zu sagen. Und gleichzeitig bin ich so sprach-, so wortlos, angesichts dieser theologischen Wortmacht, die mich förmlich überrannt hat.
Jason Liesendahl, etlichen als Podcaster (@schoenerglauben) und theologisch-kritischer Denker bekannt, will in seinem Buch „Gott kann auch nicht alles“ in die Prozesstheologie einführen. Ihn haben, wie er in dem Buch schreibt, „die Themen, die in de Prozesstheologie behandelt werden, […] gepackt und zu spannenden Gedankengängen und Diskussionen angeregt. Ganz unverhohlen sage ich daher, dass es meine Mission ist, die Prozesstheologie unter deutschen Interessierten ins Gespräch zu bringen.“ Doch das Buch wirkt auf jene, die sich bisher noch gar nicht oder nur sehr wenig mit de Gedanken der Prozesstheologie vertraut gemacht haben, nicht wie eine oberflächliche Einführung.
Vollgepackt mit tollen Sachen …
Als ich ein Kind war, gab es eine Sendung, in der die Kinder – nachdem sie einige Aufgaben erledigt hatten – mit einem Einkaufswagen durch einen Spielzeugladen rasen durften und sich innerhalb einer bestimmten Zeit den Wagen vollladen konnten. Wow! Was für Möglichkeiten! So ähnlich erging es mir mit dem Buch. Zugegebenermaßen rannte ich nicht durch das Buch, sondern schlenderte, manchmal stolperte ich auch, ein anderes Mal schritt ich zügig voran. Dann kehrte ich um und ging erneut den einen oder anderen Gang ab, weil ich noch nicht alles erfasst hatte. Und ich habe mir etliches in meinen mentalen Einkaufswagen geladen.
Die (Gottes)Welt neu durchdenken
Vorweg: Wem es schon zu blasphemisch oder provokant vorkommt, dass Gott in dem Buch konsequent als „sie“ angesprochen wird, der wird auch mit den anderen, teils unbequemen und herausfordernden Gedanken der Prozesstheologie wenig anfangen können. Jason Liesendahl versteht es, in dem ersten Buch, das er komplett alleine als Autor verantwortet hat, die Leser:innen jedoch sanft mit hineinzunehmen. Ihnen quasi einen Einkaufswagen in die Hand zu drücken und ihnen die einzelnen Themen der Prozesstheologie wie Warengänge vorzustellen. Da gibt es den Gang mit der Frage nach der Theodiezee. Wenn Gott doch allmächtig ist, wie kann er Leid zulassen? Und es gibt den Gang mit der Frage nach Macht. Wie mächtig ist Gott wirklich? Und wie passt ein mächtiger, herrschender Gott mit all den zahmen, sanfte Attributen und der Liebe zusammen? Es gibt die Regale zu „Gott und Welt“: Nur finden sich hier nicht Kichererbsen und eingelegte Weinblätter neben Oliven und Couscous. Sondern die Frage nach dem Ursprung, der Schöpfung, dem Werden der Welt und Gottes Beziehung zur Welt. Es gibt den Gang der Zeit: War Gott schon immer, wird er immer sein? Kennt er neben der Vergangenheit und Gegenwart auch die Zukunft? Meine Zukunft? Deine Zukunft? Man könnte diesen Gang auch den Gang des freien Willens nennen. Daneben gibt es mehrere Regale rund um Jesus. Jesus als Gottes Sohn. Jesus ganz Mensch, ganz Gott. Und mit der Frage: Wie war das denn jetzt mit der Auferstehung? Es gibt den Bereich der Sündentheologie und der Vergebung, den Bereich der Kritik und den Gang des Gebets. Unzählig viele Christ:innen und Theolog:innen haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen. Viele verschiedene Perspektiven und Antwortmöglichkeiten sind dabei präsentiert worden. Doch die der Prozesstheologie waren mir trotz Theologiestudiums bislang unbekannt oder nur vage bekannt.
Panta rhei oder die Prozessualität des Glaubens
Jason Liesendahl – gibt ganz der Lehrer, der er im Hauptberuf ist – den Lesenden keine klare Definition mit, was konkret die Prozesstheologie ist, sondern er macht sich mit seinen Leser:innen gemeinsam auf den Weg und erläutert anhand der verschiedenen theologischen Fragestellungen, was die Prozesstheologie damit meint, wie Prozesstheolog:innen diese und jene Fragen beantworten, welche Perspektiven sie aufzeigen. Und so ergibt sich, Stück für Stück, ein Bild, was Prozesstheologie meinen und verstanden werden könnte. Es ist – passenderweise – ein Prozess. Ein Prozess, in dem bekannte Deutungsmöglichkeiten biblischer Texte oder theologischer Grundannahmen hinterfragt und in einen neuen Kontext gesetzt werden. Alles ist im Fluss, es verändert sich, ist im Werden und Vergehen. Altgeglaubtes, Neugedachtes. Gott, das Leben, die Schöpfung wir selbst. Werden und vergehen. Sind im Prozess. Diese Prozessualität des Lebens und des Glaubens macht es schwer, klare und eindeutige Antworten zu geben. Oftmals bleibt eine Lücke, die nicht erklärt werden kann, sondern ausgehalten werden muss. Doch damit ist diese Theologie viel näher am Leben dran, als so manch andere, sehr straighte theologische Strömung. Und das, ohne dabei beliebig oder sprachlos zu sein. Sprachlos war am Ende des Lesens lediglich ich.
Sprachlos ob der neuen Worte
An dieser Stelle wäre es jetzt eigentlich angebracht, das bisher Geschriebene mit Zitaten aus dem Buch zu untermauern. Die Sprache, dich Dichte und die Themenvielfalt sollen verdeutlicht werden. Doch es fällt mir ehrlich gesagt schwer, einzelne Zitate rauszusuchen. Es ist der Moment, der meine eigene Sprachlosigkeit ob der vielen neuen Worte und Gedanken offenbart. Vieles, was ich in den letzten Wochen – und es waren leider Wochen, weil ich das Buch nicht mal eben schnell durchlesen, sondern mir erarbeiten musste – gelesen habe, konnte sich noch nicht setzen. Es ist noch in meinem Einkaufskorb. Bedächtig lege ich die Dinge aufs Warenband, sortiere sie (der Schwere nach), bevor ich sie in meine Gedankentüte packe und mit nach Hause nehme. Vieles ist dabei, was noch Zeit braucht, bis ich es komplett ausgepackt oder aufgebaut habe. Manches stelle ich mir vielleicht erstmal in mein inneres Regal, betrachte es von Zeit zu Zeit und hole es bei Bedarf raus. Manch anderes möchte ich sofort verwenden.
Danke Jason für diese Einführung und die Ermöglichung eines neuen theologischen Gedankenprozesses! Und ein ganz besonders großes Dankeschön dafür, dass du den in evangelikalen Kreisen so diskreditierten Rudolf Bultmann hervorgeholt hast. Im Studium fand ich seine Gedanken zur Entmythologisierung der Bibel provokant, ja, aber eben auch spannend. Doch ich habe mich, nachdem ich gemerkt habe, was für eine Linie ich gedanklich überschritten hatte, nicht weiter damit beschäftigt. Nun tauchte er wieder auf. Nicht kritiklos, aber auch nicht als das Enfant terrible, als das er oft vorgestellt wird.
Jason Liesendahl „Gott kann auch nicht alles. Einführung in die Prozesstheologie“, ruach!jetzt, 24,00 €. Bestellbar über den ruach!jetzt-Store und in jeder analogen oder digitalen Buchhandlung.