Eine meiner liebsten persönlichen Wundergeschichten ist schon ein paar Jahre her. Bei meiner ersten Hüttenwanderung war ich mit einem Freund im Karwendelgebirge unterwegs. Als wir die letzte Berghütte unserer Tour erreichten, war sie überfüllt. Lautstark drängte sich eine Gruppe im Gastraum. Es gab kein Trinkwasser aus der Leitung – Wasserknappheit. Trinkwasser konnte nur in Form von Mineralwasserflaschen erworben werden und das zu einem ziemlich knackigen Preis.
Wir entschieden uns zunächst für ein Bier, setzten uns etwas abseits hin und überlegten, wie es weitergehen sollte. Bleiben war keine Option und so bissen wir in den sauren Apfel, kauften zwei Flaschen Wasser und machten uns an die letzte Etappe, den langen Abstieg ins Inntal.
Das Problem dabei: Wir mussten den letzten Zug erwischen, um zu unserem Auto am Ausgangspunkt der mehrtägigen Tour in Deutschland zu kommen. Also liefen wir konstant und wortlos bergab, ohne die Landschaft und die im beginnenden Abend röhrenden Hirsche um uns herum besonders zu würdigen. Die Stimmung hatte sich in einer Parallelbewegung ebenfalls in Richtung Tal begeben, zumal wir nicht gegessen hatten und die Vorräte aufgeknabbert waren.
Als nach Stunden die ersten Häuser in Sicht kamen war klar, dass es ein äußerst knappes Rennen werden würde, das vermutlich zu unseren Ungunsten ausging. Wir begannen schon die Serpentinen des Waldweges abzuschneiden, um Meter zu Sparen. Zeit also, für ein Stoßgebet, dessen Erhörung nur Minuten auf sich warten ließ.
Gerade als wir den ersten Streifen Asphaltstraße erreichten, stand dort ein uralter Mercedes-Benz (W123, weinrot) mit den dazugehörigen älteren Herrschaften, die das in der Nähe liegende Benediktinerkloster besucht hatten. Und bevor wir etwas sagen konnten, sprach die Frau uns an: Wo wir denn herkämen und wo wir hinwollten. Ich schilderte den Fall. Sie ordnete gegen den mürrisch bremsenden Gatten an, dass wir im Fonds dieser Sänfte platznehmen sollten.
Auf der Fahrt zum Bahnhof erzählte sie ihre Geschichte. Dass sie als junges Ding einmal spät und voller Sorge unterwegs gewesen sei. Irgendwo im Allgäu. Irgendwann in den 1950er Jahren. Ein Jeep mit einem amerikanischen Offizier hielt an. Sie musste sich etwas überwinden. Aber dann lief alles wunderbar. Die Rettung.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge eine Teenagerin, die im offenen Jeep durch die sommerliche Voralpenlandschaft fährt, mit allen zwiespältigen Gefühlen, die so ein Abenteuer mit sich bringt, als sie sagt: Seitdem wollte sie immer jemandem in Not helfen. Und dann kamen wir verschwitzt, müde und müffelnd aus dem Unterholz gebrochen.
Seit dieser Begegnung frage ich mich, wer hat hier eigentlich wen geschickt? Mit Blick auf mein Leben als Kirchenmensch ist das zu einer Leitfrage geworden. In der Geschichte des Kämmerers aus Äthiopien, der sich von Philippus taufen lässt, entdecke ich das Muster wieder. Philippus findet irgendwie den Weg an die Straße. Aber der Kämmerer ist es, der die ganze Zeit die Anweisungen gibt. Ich liebe an der Geschichte die Flüchtigkeit des Moments und die Nebenrolle, zu der Philippus verdonnert ist.
In kirchlichen Inszenierungen geht es oft um das Gegenteil: Wie kriegen wir es hin, dass sich tragfähige Gemeinschaft bildet? Was müssen wir tun, damit die Gemeinde läuft? Als ob wir die Hauptrolle spielen würden!
Ich schlage vor, an die Feldwege und Straßen zu gehen und sich von Menschen mit ihren Geschichten helfen zu lassen, das Ziel zu erreichen – und die Nebenrolle anzunehmen.