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Was Kirche von Start-ups lernen kann

04. November

Ein Bällebad, Duz-Kultur und hippe Limonade im Kühlschrank - das verbinden viele Menschen mit Start-ups. Doch es gibt noch viel mehr, was erfolgreiche Gründungen kennzeichnet. Und genau das sind die Dinge, die die starre Kirche von den wendigen Entrepreneuren lernen kann.

Wie gut, dass die Landesinitiative Gründermotor meine Bewerbung als Theologin verrückt genug fand und mich in die Welt von Start-ups mitgenommen hat. Zehn Wochen lang durfte ich das baden-württembergische Start-up-Ökosystem kennenlernen. Und ich muss sagen: Ich bin wirklich beeindruckt. Von innovativer Sonnencreme, die sich schon morgens mit dem Duschgel auftragen lässt, bis hin zu einer App, die Fan-Gesänge im Fußballstadion koordiniert. Aber noch viel mehr bewegt mich die Arbeitsweise von Start-ups. Kirche aufgepasst, da können wir etwas lernen!

1. Ungewissheit ist eine Antriebskraft

Veränderungen, Strukturreformen, Mitgliederentwicklung. Diese Worte sollten gerade in keinem Buzzword-Bingo bei kirchlichen Gesprächen fehlen. Dabei zieht sich häufig eine (mindestens) nachdenkliche Falte über die Stirn der Gesprächspartner, wenn es um die Zukunft von Kirche geht. Denn die großen Zahlen einschlägiger Studien, aber genauso die Entwicklungen vor Ort bringen, ein hohes Maß an Ungewissheit mit sich. Wie spannend, dass wir damit nicht allein sind. Die Wirtschaft steht zwar vor anderen, aber ebenso tiefgreifenden Veränderungen und Ungewissheiten mit Blick auf die Zukunft, die Mittelständlern auch eine sorgenvolle Stirnfalte bescheren. Start-ups dagegen springen mitten in die Ungewissheit hinein. Sie vollziehen einen Perspektivwechsel und bewerten Unsicherheiten neu. Als Antriebskraft. Als Möglichkeit, etwas zu entdecken. Als Chance, etwas zu wagen, dass es vorher noch nicht gab.

Welche Folgen hätte dieser Perspektivwechsel auf unsere Arbeit und unseren Blick auf das Reich Gottes?

2. Pläne sind gut, Änderungen sind besser

Endlich ist die energiefressende Planung für den Freiluftgottesdienst unter Corona-Bedingungen abgeschlossen. Die Erleichterung ist allen anzumerken. Der Plan steht und wird nun abgearbeitet. Da ist es dann auch egal, ob unerwartete Lockerungen von Einschränkungen angekündigt werden oder ob der Kindergarten für seinen Beitrag auf die Technik in der Kirche angewiesen ist. Wie ein Wasserfall stürzt der Plan unaufhaltsam zur Durchführung. Für Veränderungen und spontane Reaktionen bleibt keine Zeit. Start-ups würden hierüber den Kopf schütteln. Ihre Arbeitsweise ist vor allem agil. Dazu gehört, dass Änderungen mitten im Prozess und vor allem auch kurz vor der Fertigstellung willkommen sind. Dabei ist der Austausch mit den Nutzer:nnen bzw. Zielgruppen entscheidend. Am Ende soll nicht das Geplante, sondern das wirklich Gebrauchte stehen. Ich ahne, dass sich hier unserer Fresh X-Haltung des doppelten Hörens Raum bekommt: Agilität unterstützt beständiges Hören auf Gott und die ständige Reaktion auf sein Wirken in der Gegenwart. Gleichzeitig erinnert sie uns an aufmerksames Hinhören und Wahrnehmen unserer Nachbarschaft.

Werden wir so nicht erst unserem Auftrag gerecht?

3. Scheitern ist gewollt

An dieser Stelle wird’s tricky: Wer redet schon gerne übers eigene Scheitern? Wie gut, dass unser persönlicher Teppich groß genug ist, damit jede Menge darunter gekehrt werden kann. Start-ups ticken hier mal wieder anders. Das Motto ist: Fail fast, fail often. Umso schneller ein Team scheitert, desto mehr Ressourcen sind für den nächsten Versuch vorhanden. Umso öfter ein Team scheitert, desto mehr lernt es, was beim folgenden Mal vermieden werden sollte. So ähnlich hat es Jesus schon den 72 aufgetragen: Wenn sie in einer Stadt scheitern und nicht aufgenommen werden, sollen sie den Staub von den Füßen schütteln und weiterziehen.

Mich macht es nachdenklich, dass in der Wirtschaft ein positiver Umgang mit Scheitern selbstverständlicher ist als in christlichen Gemeinden. Obwohl wir doch viel besser wissen: Wir sind Gerechte und Sünder zugleich. Wir müssen uns mit unserer Leistung nichts verdienen.

Wie würde sich unsere Arbeit verändern, wenn der Versuch wichtiger als der Erfolg wäre?

4. Zusammen sind wir weniger allein

Im Alltagstrubel des Gemeindelebens können die Grenzen des eigenen Horizonts schnell mit den Grenzen des Gemeindegebiets verschmelzen. Jeder wurschtelt in seinem Bereich vor sich hin. Ungeahnt, dass es ein paar Kilometer in die eine Richtung dasselbe Problem und ein paar Kilometer in die andere Richtung vielleicht schon eine Lösung gibt. Ein riesiger Reichtum an Erfahrungen, Kompetenzen und Vorwissen bleibt verborgen. Im Start-up-Ökosystem ist klar: Allein geht es nicht. Dazu fehlt es zu vielen Start-ups an Erfahrung, Ressourcen und Kontinuität. Deshalb treten sie in einen offenen Austausch miteinander – auch wenn das bedeutet, die eigene innovative Idee ein Stück preiszugeben. Aber nur auf diese Weise ist ein Vorankommen möglich. Auch Mittelstandsunternehmen haben erkannt, dass die Zukunft ohne Innovation nicht denkbar ist, und kooperieren aktiv mit Start-ups oder sind Teil von lebendigen Netzwerken. Diese Art des Teamplays fordert unser Dasein als Single-Rider heraus.

Wie würde unsere Arbeit aussehen, wenn wir unsere Gemeinden als Partner verstehen und aktiv nach Kooperationen mit Nachbargemeinden, Vereinen und Unternehmen suchen?