Es ist Freitagmittag und ich hole meinen Sohn aus dem Kindergarten ab. „Was hast du heute erlebt?“, frage ich ihn. „Gott war da“, erzählt er mit strahlenden Augen. „Und wir haben gesungen: „Einfach spitze, dass du da bist“ Er singt und hüpft den Weg entlang. Einfach spitze, dass DU da bist. Singt die Pfarrperson zu den Kindern. Sagt Gott.
Wie oft hören Kinder das? Wie oft sagen wir das unseren Kindern?
Worte auf den Punkt und Wiederholung
In christlichen Kindertageseinrichtungen gehört die christlich-religiöse Erziehung und Bildung zum Konzept. Weihnachtsgeschichte, Ostererzählung. Wenn die Erzieher:innen gerade nicht im Notbetreuungsmodus agieren, gibt es auch noch mal was zu Pfingsten oder Himmelfahrt. Richtig ambitionierte Kindergärten haben sogar einmal wöchentlich eine biblische Geschichte im Programm. Was genau jedoch vermittelt wird, bleibt für die meisten Eltern ein Geheimnis, mischen sich in die Geschichten – wenn denn überhaupt davon berichtet wird – Ninjas, Prinzessinnen oder sonstige Heldenfiguren und Bösewichte. Und dann gibt es das noch manchmal, dass Gott in den Kindergarten kommt. Oder der Pfarrer bzw. die Pfarrerin der zugehörigen Gemeinde. Im Rahmen ihres Verkündigungsdienstes gehören konfessionell gebundene Kindertagesstätten (in kirchlicher Trägerschaft) zum Aufgabengebiet der Pfarrpersonen. Eine besondere Chance, aber auch eine besondere Herausforderung, wie Uwe Schulte, Pfarrer im Kirchenkreis Iserlohn in der EKvW weiß: „Mit wenigen einfachen Mitteln und mit Wiederholung gelingt es, die Kinder abzuholen und zu erreichen. Aber ich mache mir im Vorfeld auch immer super viele Gedanken: Was ist diesmal der eine Punkt, der rüberkommen soll? Der muss viel punktgenauer sein, als das bei einem langen Gottesdienst der Fall ist. Gleichzeitig sind die Andachten auch immer dialogisch. Es gibt keine Andacht ohne Reaktionen der Kinder, auf die ich dann auch versuche einzugehen. Das ist auch das Anstrengende: In dieser halben Stunde vor den sechzig bis siebzig Kindern zwischen 1 und 6 Jahren muss ich voll und ganz präsent sein, voll da sein, mich voll reingeben. Aber genau darin liegt auch das besondere Geschenk: Dass ein Kind etwas zu dem, was ich da gerade erzähle, sagt oder fragt, das eine Übertragung der biblischen Geschichte ins Heute ist. So, dass ich denke: Wow! Das hätte ich in einem Gottesdienst mit Erwachsenen, die sich nicht einfach trauen, reinzuquatschen, nicht erlebt. Es macht großen Spaß, einfache biblische Geschichten zu erzählen und zu sehen, dass sie die Kinder erreichen und in ihre Lebenswelten hineinreichen.“
Eine Frage der Priorisierung
Amtskollege Michael Waschhof aus dem Kirchenkreis Hattingen gibt aber auch zu: „Wenn die dritte Beerdigung diese Woche reinkommt, sind die Besuche in den Kindergärten das, was ich am ehesten von meiner To-Do-Liste streiche. Weil ich weiß, dass die Erzieher:innen von uns so weit ausgebildet werden, dass sie die christliche Bildung übernehmen können.“ Weil es eben so viel anderes gibt, was von den Pfarrpersonen verlangt wird. Ausschüsse, Gremien, Sitzungen, Synoden, Konvente. Seelsorge. Beerdigungen. Taufen. Trauungen. Erwachsenen-Gottesdienste. Und vielleicht auch, weil Kinder eben auch noch keine Kirchensteuer zahlen. Und die dazugehörigen Eltern oftmals nur schwer zu erreichen sind. Trotz persönlichem Kontakt. Trotz großem Engagements seitens der Pfarrer:innen (oder Diakon:innen oder Gemeindepädagog:innen) bei den Kindergarten-Andachten. Trotz einer wachsenden Beziehung zwischen Pfarrperson und Kindern. Trotz großen Interesses der Kinder an biblischen Geschichten und dem Glauben an Gott. „Die innere Bindung der Eltern hat – gesamtgesellschaftlich – stark abgenommen. Die Kindergärten und Kindertageseinrichtungen sind zu reinen Versorgungsbetrieben geworden. Wenn man Eltern nicht explizit mehrfach persönlich einlädt und ihnen sagt, dass das eigene Kind auch etwas aufführt oder macht, kommen sie nicht zu kirchlichen Angeboten“, bedauert Michael Waschhof. Eine gute Beziehung zu den Kindern ermöglicht nicht automatisch neue oder aktive Kirchenmitglieder. Der Weg für Kirche zu den entkirchlichten Herzen der Erziehungsberechtigten, in das Bewusstsein und den Alltag der Familien hinein, ist lang, steinig und schwer.
Wie schwer, zeigte ein Praxisforschungsprojekt von Studierenden der Evangelischen Hochschule Bochum, das jüngst im Kirchenkreis Hattingen durchgeführt wurde. Es ging dabei um die Fragestellung, wie die inhaltliche Ausrichtung des Kirchenkreises bei knapper werden finanziellen Mitteln aussehen soll. Gerade bei der Kita-Arbeit gingen die Meinungen sehr weit auseinander. (In der Befragung zeigte sich beim Themenfeld Kindergartenarbeit mit Abstand die größte Standardabweichung.) Die Studierenden empfahlen dem Kirchenkreis, unbedingt weitere Forschungen und Befragungen diesbezüglich anzustellen und die Fragen zu klären: Gehört die Verkündigung in evangelischen Kindergärten zum kirchlichen (Verkündigungs)Auftrag? Oder ist es vergebene Liebesmüh?
Lohnende Generationen-Arbeit
Dr. Klaus Neumeier von der evangelischen Christuskirche in Bad Vilbel (Evangelische Kirche von Hessen Nassau) sieht das anders. Er gibt „seinen“ Kita-Kindern nach jeder Andacht einen Zettel für die Eltern mit, damit die wissen, was ihre Kinder heute gehört und erlebt haben. Anregungen für Gespräche zu Hause inklusive. Er ist überzeugt: „Kirchliche Kita-Arbeit ist damit die beste Antwort auf die Ergebnisse der ‚Freiburg-Studie‘, die die kirchliche Mitgliedschaft im Jahr 2060 prognostiziert und festgestellt hat, dass gerade Menschen in den 20er-Lebensjahren am häufigsten aus der Kirche austreten.“ Denn, so schreibt er in einem Artikel in dem Magazin 3E (Ausgabe 3/2022; „Voll die Zukunft!“, Seite 20-22): „Eine evangelische Kita macht Arbeit – egal ob im übergemeindlichen Trägerverbund oder in direkter Gemeindeträgerschaft. Aber vor allem ist sie eine unglaubliche Chance, mit ganz vielen jungen Familien im Kontakt zu sein. Und das Tag für Tag über mehrere Jahre! Das schafft kein Rauf- oder Konfirmationsangebot, keine kirchliche Kindergruppe, keine Sommerfreizeit. Kirchliche Kita-Arbeit ist Beziehungsarbeit zu Kindern und ihren Familien; manchmal über mehrere Generationen.“
Chance oder Herausforderung?
Was machen hessische Kindergärten oder die Eltern, die im Frankfurter Speckgürtel ihre Kinder betreuen lassen anders als nordrhein-westfälische am Rande des Ruhrgebiets? Oder was machen die Pfarrpersonen anders? Wieso engagieren sich die einen und die anderen nicht? Warum sehen die einen in der Kita-Arbeit eine besonders große Chance und die anderen eine besonders große Herausforderung?
Die Wahrheit liegt wohl – wie immer – irgendwo dazwischen. Zwischen biblischer Wahrheit und persönlicher Beziehung. Zwischen Engagement und innerer Bindung. Vielleicht sollte auch den Eltern mal wieder irgendjemand sagen: Einfach spitze, dass DU da bist!