inspiriert

Eintauchen in das Innerste und den Wald

30. August

Waldbaden heißt nicht, mit Badehose in einen Waldsee zu springen oder es sich im Bikini auf dem Waldboden gemütlich zu machen. Aber es geht ums Eintauchen. Darum, sich umspülen zu lassen und in sich einen Schatz finden. Anke Jarzina ist Expertin fürs Waldbaden und erklärt, was es damit auf sich hat.

Ja, ich tue es. Immer öfter, mit wachsender Begeisterung und schwindendem Schamgefühl, aber selten in aller Öffentlichkeit. Manche finden es peinlich, andere sind amüsiert, aber es gibt auch welche, die sagen: Das würd ich auch mal gerne machen! Und dann sag ich: Komm doch mit mir mit und wir tun es zusammen!

Ja, ich umarme Bäume – und zeige anderen, wie es auch für sie zu einer wohltuenden, geradezu heilsamen Erfahrung werden kann. Das ist aber nur eine von vielen Übungen und Methoden, die ich mir zu eigen gemacht habe, um Menschen in und mit der Natur seelsorglich zu begleiten. Auslöser dafür war eine gesundheitliche Krise vor zwei Jahren: Nach einem Hörsturz sah ich mich gezwungen, meine beruflichen Schwerpunkte umzukrempeln. Seitdem biete ich in der katholischen Pfarrei in Wiesbaden und im Bistum Limburg, „Outdoorseelsorge“ an. Das ist nichts anderes als Seelsorge draußen; für Einzelne, Paare oder Gruppen. Manchmal als Glaubensgespräch, Naturcoaching, Pilgern oder Trauerbegleitung, als Waldbaden und manchmal auch als Umarmen von Bäumen.

Achtsames Eintauchen in den Wald

Das Waldbaden kommt ursprünglich aus Japan und heißt dort „Shinrin Yoku“, was so viel bedeutet wie „die Waldatmosphäre achtsam und bewusst wahrnehmen“. Das ist mehr als eine Wellness-Übung: Inzwischen ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass der Wald Menschen nicht nur guttut, sondern sogar heilen kann: Er lässt den Blutdruck sinken und die Laune steigen. Kranke Menschen werden durch regelmäßige Aufenthalte im Wald schneller gesund und gesunde werden weniger krank, je öfter und länger sie sich in Wäldern aufhalten.

Ich finde den deutschen Begriff „Waldbaden“ sehr passend, weil er zeigt: Es geht um mehr als eine kleine „Walddusche“, einen erfrischenden Spaziergang oder eine Gassi-Runde durch den Wald. Beim Waldbaden tauche ich ganz bewusst und langsam ein, nehme Gerüche, Geräusche, Gefühle wahr. Ungefähr so, wie wenn ich mir zu Hause ein Bad einlasse, statt zu duschen. Dann geht es auch um mehr als reine Körperpflege: Baden hat mit Langsamkeit, Achtsamkeit und Genuss zu tun. In die Badewanne steige ich vorsichtig, lasse mich langsam ins warme Wasser sinken, schließe die Augen und genieße, wie sich Körper und Seele entspannen. Auf die gleiche Weise kann ich auch im Wald sein.

Resonanzraum Natur

Wenn ich eine „Waldbadezeit“ mit jemandem beginne, gehen wir nicht einfach los, sondern ich gestalte den Anfang bewusst. Ich benutze dazu gerne eine Art Schwellengebet, das ich den Leuten an die Hand gebe und das wir dann gemeinsam lesen. Darin heißt es: „Ich begrüße alles, was jetzt zu mir kommt (…), alle Gedanken, Gefühle, Emotionen, alle Plätze und Erscheinungen der Natur (…) Ich öffne mich für die Liebe und Gegenwart Gottes und seine heilende Wirkung und Gnade in Allem.“[2] Im Anschluss daran ist es gut, eine kleine Strecke im Schweigen zurückzulegen und die Augen und andere Sinne aufzuhalten: Was kommt mir entgegen? Was fällt mir besonders ins Auge? Was löst in irgendeiner Weise eine Resonanz in mir aus? Manchmal findet sich auch erst während dieser Schweigezeit das Thema, über das wir danach sprechen können oder das ich mit anderen Methoden vertiefen helfen kann[3]. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie das bewusste Wahrnehmen der Natur Menschen hilft, sich selbst und ihren innersten Themen zu begegnen. Meine Erfahrung ist: Die meisten Menschen, die zu mir kommen, haben ein gutes Gefühl für sich selbst, ihre Sehnsüchte und für das, was Ihnen guttut oder auch nicht. Aber: Wer kommt schon dazu (und findet es angesichts der vielen privaten und beruflichen To-Do‘s relevant genug), diesen Gefühlen in der Hektik des Alltags nachzugehen und zu erwägen, ob und was sie für die konkrete Lebensführung bedeuten könnten?

In meiner persönlichen Geschichte spielt der Glaube an Gott eine große Rolle: In der Krise (mein Hörsturz und die nachfolgenden Monate) hab ich während vieler Wanderungen nicht nur die Verbundenheit mit der Schöpfung wiederentdeckt, sondern auch mit dem Schöpfer. Zeit draußen bedeutet inzwischen für mich Zeit mit Gott, Gebet. Man könnte vielleicht sagen: Die Natur ist meine Kirche. Und so, wie die Verbindung mit Gott (im Idealfall) auch nicht abreißt, wenn ich sonntags nach dem Gottesdienst das Kirchengebäude verlasse, hört sie für mich auch dann nicht auf, wenn ich ein Dach über dem Kopf habe. Ich denke gerne an das, was Angelus Silesius im 17. Jahrhundert gedichtet hat: „Halt an! Wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“ Wenn ich bewusst in der Natur bin und im Wald bade, komme ich mit mir in Kontakt – und deshalb auch mit Gott.

Tief verwurzelt, eng verbunden

Die meisten Menschen, mit denen ich unterwegs bin, haben kein Interesse an theologischen Feinheiten Für viele spielt auch Kirche keine Rolle (mehr). Aber eine Verbindung, eine Verbundenheit mit „etwas Höherem“ spüren und artikulieren fast alle. Und diese Verbundenheit ist es, glaube ich, auf die es für uns Christen im Kern ankommt. Jesus war mit Gott „dauerverbunden“ (Paul Zulehner) – und wir, die wir ihm nachfolgen wollen, müssen diese Verbundenheit bewusst suchen, ermöglichen, herstellen. Das ist der Sinn der Sakramente – und das ist der Grund, weshalb ich Menschen in der Natur begleiten möchte: Hier erfahren sie, dass sie nicht alleine sind, dass alles, was ist, einen tiefen Sinn hat – Werden, Vergehen und Neuwerden – und dass dieses Leben in einem allumfassenden Sein aufgehoben ist.

Waldbaden und Bäume umarmen – das kann mehr sein als eine reine Wellness-Erfahrung (auch wenn die Auswirkungen von „Wellness“ aufs „Seelenheil“ nicht zu unterschätzen sind). Die Natur kann zu einem Ort werden, an dem ich mir selbst, meinem innersten Kern und Gott begegne. Oder wie Bernhard von Clairvaux es schon im 12. Jahrhundert formuliert hat: „Glaub mir, denn ich habe es erfahren: du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern. Bäume und Steine werden dich lehren, was kein Lehrmeister dir zu hören gibt.“


[2] Aus dem Kurs „Wilde Weisheit“ von „barfuß & wild

[3] Eine gute Inspirationsquelle sind für mich die Karten „Coachingraum Natur“ von Kerstin Peters. Eine Kostprobe gibt es hier: https://coachingraumnatur.com/uebungen/.