Der keltische Weg der organischen Mission
Die sich immer deutlicher abzeichnende Auflösung der Institution ist nicht das Ende der Kirche Jesu Christi. Der Heilige Geist erhält und erneuert sie. Die künftige Architektur der Kirche könnte netzwerkartig sein. Ein kirchengeschichtliches Vorbild bietet Irland. Die Insel war nie Teil des Römischen Reiches. So war der Einfluss der römisch-katholischen Kirche mit ihrer straffen Hierarchie bis ins 7. Jahrhundert gering. Es ist das einzige europäische Land, in dem sich der christliche Glaube zuerst von unten her durchsetzte und nicht durch Maßnahmen kirchlicher Obrigkeit.
Man vermutet, dass der Glaube schon früh durch uralte Handelsbeziehungen der Galater, Nachfahren keltischer Söldner, von der Türkei nach Irland gelangte. Die ersten Missionare in Irland waren sehr geschickt darin, indigene Formen von Spiritualität ins Christentum zu integrieren. In alten Schriften wird Jesus z.B. als oberster Druide bezeichnet. Druiden waren die Heiligen der Kelten. Sie bezogen ihre Autorität nicht aus Hierarchie, sondern aus Weisheit, Geist und Verstand. Sie leiteten partizipatorisch. Die Menschen sahen Heilige eher als Gefährten an, denen sie sich anvertrauten. So betont die keltische Theologie die geschwisterliche Seite Jesu. Gottes Gegenwart ist im normalen Leben, im Gewöhnlichen erlebbar. In irischen Segen und Gebeten lebt diese Würdigung des Alltags und der Schöpfung bis heute.
Die keltische Spiritualität ist durch die Wüstenväter beeinflusst und monastisch sowie seelsorgerlich geprägt. Überall bildeten sich klosterähnliche Gemeinschaften von Bauern und Handwerkern unter Leitung eines Abts. Diese Communities waren locker miteinander verbunden und lebten Gastfreundschaft. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches zu Beginn des 5. Jahrhunderts entwickelten sie sich zu geistlichen und geistigen Zentren.
Im Unterschied zum Jakobsweg, bei dem man auf ein Ziel hin pilgert, verstanden die frühen irischen Mönche Pilgerschaft anders. Sie vertrauten sich mit Haut und Haaren Gottes Führung an, indem sie ihre Boote von der Meeresströmung treiben ließen. Das unbekannte Ufer, an dem sie an Land gingen, galt ihnen als Ort, an den Gott sie gesandt hatte, um ihre Berufung zu verwirklichen. So kam der irische Mönch Colum Cille auf die kleine Hebrideninsel Iona an der rauen, schottischen Westküste und gründete ein Kloster, das eine bedeutende Rolle in der Christianisierung der britischen Insel hat und bis heute existiert. Die Iren verbreiteten das Evangelium in viele Gebiete des zusammengebrochenen Römischen Reiches. Sie verstanden sich als Wanderevangelisten und nicht als sesshafte Geistliche. Sie verzichteten bewusst auf die Annehmlichkeiten eines Zuhauses. Im Unterschied zur imperialistischen römisch-katholischen Mission verstanden sie sich als Gäste in einer fremden Kultur und prägten sie von innen.
John Finney schreibt: „Die römische Strategie bestand daraus, in einem von Heiden besiedelten Gebiet eine rudimentäre kirchliche Organisation aufzubauen, dann zu evangelisieren und die Strukturen nach und nach zu festigen. Sie war an einer uniformen Struktur im gesamten Reich interessiert. Der keltische Weg war anders: Sie teilten das Leben der Menschen, bauten Beziehungen zu ihnen auf und versammelten sie, um dann einen passenden Rahmen für sie zu schaffen. Es war keine koordinierte Aktion. Vielmehr waren es Einzelpersonen und Gemeinschaften, die aufbrachen das Evangelium zu verbreiten, weil sie so begeistert davon waren.“ Finney sieht im keltischen Weg ein Modell für unsere Zeit. Die römische Mission eignet sich primär für besiedelte Gebiete mit einer relativ konstanten Bevölkerung, während die keltische Mission pionierhaft im weiten, unbekannten Raum Neues schuf.