Frau Freudenberg, Sie forschen am Institut CES (Christliches Empowerment in der Säkularität) der Universität Halle aktuell noch zur Kirche Kunterbunt. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Dr. Katharina Freudenberg: Ich bin über die praktische Erfahrung sowohl zu Kirche Kunterbunt als auch zur Forschung gekommen. Ich bin Pfarrerin in der EKM (Evangelische Kirche Mitteldeutschland, Anm. d. Red.) und habe in meiner Arbeit als Gemeindepfarrerin den Schwerpunkt auf die Arbeit mit Familien gesetzt. Auf der Suche nach einer Form, die zu den Bedürfnissen von Familien passt, bin ich auf die Kirche Kunterbunt gestoßen und wir haben selbst eine gegründet. Diese Erfahrung hat mich nachhaltig geprägt, weil ich gemerkt habe, wie viel Potential darin liegt, wie man als Team Kirche Kunterbunt gestaltet; die Grundhaltungen sind auch anwendbar auf andere Bereiche kirchlicher Arbeit. Und dann hat sich für mich die Gelegenheit geboten, dass ich das Potential dieses Ansatzes wissenschaftlich untersuchen kann durch eine Stelle an der Uni in Halle am Center for Empowerment Studies. Parallel habe ich über die Erprobungsräume in Mitteldeutschland die Aufgabe, die mitteldeutschen Kirche Kunterbunts zu begleiten und dieses Thema in Sachsen-Anhalt und Thüringen im Blick zu behalten und eine Vernetzungsstruktur für Kirche Kunterbunt in Mitteldeutschland aufzubauen.
Und mit welcher Forschungsfrage zu Kirche Kunterbunt haben Sie sich beschäftigt?
Am Center für Empowerment Studies oder auf Deutsch Christliches Empowerment in der Säkularität, spielen die Fragen eine Rolle, was für Formate und Herangehensweisen es gibt, die Menschen wirklich ermutigen und ihnen Kraft zum Leben geben. Und da zeigt Kirche Kunterbunt in ihrer Grundanlage viele empowernde Grundzüge. Zum Beispiel, dass es partizipativ zugeht, dass man eigene Fragen und Bedürfnisse aktiv einbringen kann. Genauso bei der Mitarbeit: Auch da kann man aktiv Gaben einbringen, die man als Ressource hat. Und bezüglich Ressourcen: Kirche Kunterbunt ist so angelegt, dass es den Familien nicht nur während der Kirche Kunterbunt guttut und Impulse gibt, sondern dass es auch zwischen den einzelnen Treffen für das Familienleben dienlich sein soll, indem zum Beispiel Rituale als Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder dadurch, dass viele Themen und Sinnfragen, die auch den Familienalltag betreffen, angesprochen werden. In dieser Art ist Kirche Kunterbunt angelegt und ich untersuche, inwiefern das innere Programm auch in der Praxis umgesetzt wird. Auch über Kirche Kunterbunt hinaus lohnt es sich zu fragen: Wie ist ein kirchliches Angebot ausgerichtet? Ermutigt es die Menschen, stattet es sie aus? Und beinhaltet es auch das, was mich an Kirche Kunterbunt besonders begeistert, nämlich die gelebte Gastfreundschaft? Wird geschaut, wie die Menschen, die vielleicht zum ersten Mal kommen, wie die sich wohlfühlen können? Was braucht es dafür?
Bei der Kirche Kunterbunt ist es so, dass durch diese Gastfreundschaft und Partizipation eine lockere Feieratmosphäre entsteht, sodass es zu einem richtigen (Familien)Fest wird. Genau diese lockere Fest-Atmosphäre ist auch eines DER Kriterien, das im Zusammenhang von Kirche Kunterbunt am attraktivsten für Familien ist. Dass es eben kein formales Angebot ist, sondern dass das informelle Zusammenkommen, dem Bedürfnis der Familien, Freiheit und Wahlmöglichkeiten im eng getakteten und strukturierten Alltag zu erleben, am meisten entspricht. Vor allem auch, weil man es nicht mit Kirche verbindet, weil es die Erwartungshaltung an Kirche sprengt.
Welche Chancen bieten die Kirche Kunterbunt als Angebot für Familien im Vergleich zu „klassischen“ Angeboten für Familien?
Was uns besonders interessiert ist, wie Familien in der Säkularität überhaupt Zugang zu Kirche finden? Und da ist Kirche Kunterbunt ein Format mit einem besonderen Charme, das einen niedrigschwelligen Zugang zu Kirche anbietet. Es setzt nicht so viel voraus und bietet so viele breite Zugangsmöglichkeiten, über das handwerkliche Tun, sportliche Aktivitäten, die ganzen kreativen Möglichkeiten, bei denen nicht nur der Kopf angesprochen wird, sondern der ganze Mensch. Es ist ein sehr, sehr breites Angebot. Und es setzt bewusst auf das Miteinander der Generationen. Kirche Kunterbunt funktioniert ja nicht, indem Kinder das für sich alleine machen, sondern es geht darum, sich den christlichen Glauben über das gemeinsame Erleben zu erschließen. Das ist ein Merkmal, das ich sehr zu schätzen gelernt habe und auch von der praktischen Erfahrung her weiß, darauf lassen sich auch Menschen ein, die sich jetzt nicht unbedingt auf einen klassischen Familiengottesdienst einlassen würden. Kirche Kunterbunt eröffnet gerade für diese Familien einen Zugang und behält die Bedürfnisse von Kindern und Eltern gleichermaßen im Blick.
Verschiedene Stationen, ein Gottesdienst, gemeinsames Essen, Singen – viel Programm für einen Nachmittag: Überfordert Kirche Kunterbunt da nicht auch Kinder und Mitarbeitende?
Ja, es kann Menschen so gehen, die Kirche eher traditionell kennen und einen festen Ablauf erwarten in dem Sinne: Man setzt sich ruhig in ein Gebäude und ist eher in einer passiven Haltung; man beteiligt sich höchstens im Gesang oder Gebet. Mit so einer Erwartungshaltung wirkt Kirche Kunterbunt vielleicht auch überfordernd. Die Möglichkeiten zur Wahl bei der Kirche Kunterbunt können dann schon als Herausforderung wahrgenommen werden. Ich glaube auch, dass Familien, wenn sie diese Fülle an Möglichkeiten sehen, für sich erst einmal klären müssen: Was ist für uns als Familie heute dran? Ich habe es auch schon erlebt, dass es die Vorstellung gab, dass man an diesem einen Nachmittag, alles schaffen möchte, alle Stationen einmal besucht haben möchte. Als ob eine Leistung zu erbringen wäre. Dabei geht es darum, dass man als Familie gemeinsam überlegt, was man heute machen möchte. Das habe ich als etwas Positives erlebt: Dass man eine Wahl hat, dass man nach den eigenen Bedürfnissen gucken kann: Was ist heute an dem Tag dran? Und dass man mitbestimmen, aktiv partizipieren kann.
Wie sieht das denn mit den Mitarbeitenden aus? Verschiedene Stationen und Wahlmöglichkeiten bedeutet ja auch, dass man etliche Mitarbeitende braucht, die diese vielen verschiedenen Stationen stemmen …
Das wird von den Initiativen auch als Herausforderung geäußert; wobei die Kirche Kunterbunts da sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Ich habe Anfang des Jahres eine Umfrage unter den deutschen Kirche Kunterbunts durchgeführt und habe sowohl danach geguckt, wie regelmäßig das Angebot stattfindet und was für Familien kommen, aber ich habe auch nach den Herausforderungen gefragt. Und die Haupt-Herausforderung, die von 60% genannt wurde, ist, genügend regelmäßige Teammitglieder zu finden. Das treibt viele Kirche Kunterbunts um und es gibt große Unterschiede. Es ist ein Thema, in das man sich immer wieder investieren muss; man muss immer wieder Werbung für die Mitarbeit in der Kirche Kunterbunt machen und sich immer wieder reflektieren, wie man als Team unterwegs sein will. Zudem ist Kirche Kunterbunt nichts Wöchentliches, sondern findet am durchschnittlich alle zwei Monate statt. Da unterscheidet sich die Kirche Kunterbunt auch von der englischen messy church, die ja ein monatliches Angebot ist. Das ist für viele deutsche Kirchengemeinden allerdings nicht zu stemmen. 43% der Kirchengemeinden lassen das Angebot 6x im Jahr stattfinden, 31% schaffen nur 3x pro Jahr, 19% stemmen 9 Kirche Kunterbunts pro Jahr und lediglich bei 4% findet die Kirche Kunterbunt 12 Mal pro Jahr statt. Das hat mich stark gewundert, ich dachte, es gäbe mehr Initiativen, bei denen es monatlich stattfindet. In Mitteldeutschland gibt es von 16 Initiativen nur drei, die es monatlich bzw. 10 bis 11 Mal pro Jahr machen, die anderen machen es zwischen vier und sechs Mal pro Jahr. Das heißt, es ist natürlich schön für Familien, wenn es um die Kirche Kunterbunt drumherum auch noch etwas anderes gibt.
Ich kann mich an meine eigene Kindheit erinnern: Da war niemand von den Erwachsenen beim Kindergottesdienst, bei der Jungschar oder der Kinderbibelwoche dabei. Ist die Konzentration auf die Arbeit mit Kindern und Familien der (neue) Weg, um Familien ins Kirchenleben zu integrieren?
Eine meiner Fragen war auch, was Familien an der Kirche Kunterbunt besonders schätzen: Dass es die Gemeinschaft stärkt und dass Eltern etwas mit ihren Kindern gemeinsam machen. Das wurde als positiver Faktor mit genannt. Gerade auch in Regionen, in denen Kirche einen schweren Stand hat, erlebe ich Kirche Kunterbunt als ein Hoffnungsprojekt, wo Kirche noch einmal neu aufbricht und Menschen sich einladen lassen. Insgesamt ist festzustellen, dass der Familienalltag immer intensivierter wird, dass auch die Kinder durch die vielen Freizeitaktivitäten häufig an ihren eigenen Orten sind und die Eltern durch die Arbeit gebunden sind. Das gemeinsame Erleben ist etwas, dass Familien sich sehr wünschen, das aber hart umkämpft ist.
Ist Kirche Kunterbunt damit die kirchliche Antwort auf die Sehnsüchte der Familie von heute?
Es ist zumindest eine – sehr überzeugende, attraktive – Antwort auf die Bedürfnisse von Familien. Und das liegt daran, dass sie eben von den Bedürfnissen von Familien ausgeht. Und sich auch immer wieder an die – sich verändernden – Bedürfnisse der verschiedenen Familien und die Voraussetzungen vor Ort anpasst.
Vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit!
Weitere Ergebnisse wird Katharina Freudenberg im Rahmen der Kirche Kunterbunt Konferenz vom 8.-9. November in Nürnberg präsentieren. Anmeldemöglichkeiten zur Konferenz gibt es hier.