Die Erprobungsräume der EKM feiern gerade einen runden Geburtstag, in Westfalen ist man mehr oder weniger dabei, sein Innovationsförderprogramm abzuwickeln – und nun kommt die EKHN mit den „Spielräumen“ um die Ecke, eurem Innovationsförderprogramm. Ist EKHN in Sachen Innovation bisschen late to the Party?
Alexandra Beitz: Ja, das könnte man so denken, aber die EKHN galt schon immer als innovative Landeskirche. Zum Beispiel war die Einführung von Zentren, also gesamtkirchliche Einrichtungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Zielgruppen und thematischen Schwerpunkten, vor Jahren ziemlich outstanding im Vergleich zu anderen Landeskirchen. Die EKHN ist auch eine sehr vielfältige und liberale Kirche, die verschiedenste Frömmigkeitsstile unter einem Dach vereint und recht lange stabile Mitgliederzahlen aufweisen konnte und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet war. Das ist jetzt nicht alles unter dem Stichwort Innovation zu fassen, aber man könnte sagen, die EKHN ist eine ziemlich fortschrittliche, junge Kirche, die Innovation von jeher als eines ihrer Kennzeichen verstanden hat. Mittlerweile befindet sie sich, wie andere Landeskirchen auch, in Transformation. Der Reformprozess ekhn2030 mit dem Fokus einer regio-lokalen Kirchenentwicklung greift das Thema Innovation jetzt also nochmals auf, doch diesmal im Kontext der Entwicklung von Nachbarschaftsräumen, zu denen sich die Kirchengemeinden zusammengeschlossen haben. Neben den ganzen Umbau- und Verschlankungsmaßnahmen, sollen nun aber auch Spielräume (!) geschaffen werden, d.h., es soll investiert werden in kirchliche Innovationen vor Ort, nah dran an den Menschen und ihren Bedarfen. Das ging dann tatsächlich ziemlich fix, d.h. der synodale Beschluss kam in 2023, damit wurde auch der Innovationsfonds bereitgestellt, und die Koordinationsstelle Innovation hat mit mir im April 2024 ihre Arbeit aufgenommen. Kurze Zeit später hat sich dann auch das Fördergremium konstituiert mit den ersten Projektanträgen.
Was genau ist das Ziel, der Plan, der Wunsch, die Vision dahinter? Gerade wenn man schon sagt, dass Innovation schon immer irgendwie Teil der DNA der EKHN war.
Das klingt komisch, aber das Innovationsprogramm war zunächst recht offen angelegt. Das Ganze ist ja in der Kirchenverwaltung angesiedelt, und wie bei Verwaltung üblich, da ist vieles durchorganisiert, geregelt und hierarchisiert. Bei der Innovationsförderung wollte man nun sehr freiheitlich drangehen. Es geht ums Ermöglichen, Erproben von neuen Ideen kirchlicher Praxis und nicht um die Erfüllung von bürokratischen Auflagen. Es gibt natürlich Förderrichtlinien, aber die sind auch sehr basal formuliert worden. Als ich angefangen habe, ging es darum, diese Förderrichtlinien umzusetzen und dabei haben wir recht schnell festgestellt, dass es diesen garstigen Graben zwischen Theorie und Praxis gibt, sodass wir nachschärfen mussten. Zugleich war dies die Geburtsstunde der Spielräume-Idee. Mit dem Förderprogramm schaffen wir u.a. finanzielle Spielräume für Innovationsvorhaben. Zugleich verstehen wir diese Initiativen auch selbst als Spielräume, in denen spielerisch erprobt wird, wie Kirche vor Ort in Zukunft aussehen kann.
Ihr arbeitet ja gerade an dem digitalen Portal der Spielräume. Würdest du sagen, dass dies der Kern eurer Innovationsstrategie ist?
Ja, schon. Der Kern meiner Arbeit ist, ein Innovationsnetzwerk zu gründen und hierfür eine digitale Plattform zu realisieren. Es geht jedoch um mehr als Infos zu Fördermitteln oder die Möglichkeit, sich ein Antrags-PDF herunter zu laden. Mit dem Spielräume-Portal schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe. Wir vereinfachen den Bewerbungsprozess mit einem digitalen Workflow und schaffen Sichtbarkeit für die Spielräume für gegenseitige Unterstützung und Vernetzung. Gleichzeitig können sich die Spielräume dann aber auch ein Stück weit selbst administrieren und fast alles digital erledigen. Man kann perspektivisch sogar ein eigenes Crowdfunding starten. Wer Teil der Community ist, erhält Zugang zu vielen Angeboten, Bildung, Beratung und Coaching. Und es gibt auch ein paar Challenges zu bestehen. Das wird für alle eine spannende Reise; denn Innovator:innen brauchen meist mehr als nur Geld zur Unterstützung, und andererseits braucht es für echte Innovation auch eine veränderte Sichtweise und Haltung. Dabei will das Spielräume-Team gern unterstützen. Am Ende kommt dann auch noch ein Förderantrag zustande, selbst wenn man kein Antragsprofi ist. Wir schaffen in mehrfacher Hinsicht Spielräume, wir investieren in neue Ideen, die sich zu kirchlichen Innovationen entwickeln sollen und in die Menschen.
Okay, neben dem Portal wird es ein neues Netzwerk geben. Was spricht aus deiner Sicht für mehr Netzwerke im Rahmen von Innovationsstrategien?
Austausch in Netzwerken kann davor schützen, immer wieder das Rad neu erfinden zu wollen. Andererseits gibt es auch Tendenzen zum copy/paste. Den eigenen Weg zu finden, dabei können Netzwerke auch helfen; denn sie haben kein klar definiertes Ende, durch die Offenheit profitieren alle. Nach der Netzwerktheorie von Granovetter bestehen Netzwerke ja aus Knoten und Verbindungen, die man fröhlich weiter knüpfen kann. Und es sind dann gerade die weak ties von Vorteil, also bspw. der Kontakt zu einer Mitgliedsorganisation in weiterer Ferne, und nicht allein im Nahfeld, kann mir wertvolle Impulse zur Veränderung und Entwicklung bieten. Und selbst wenn die EKHN jetzt ein eigenes Spielräume-Netzwerk hat, bleiben wir nicht unter uns, wir vernetzten weiter und überlappen uns mit anderen landeskirchlichen oder auch mit dem Fresh X-Netzwerk, wo sich ja auch wieder die Netzwerke widerspiegeln. Das heißt, wir stricken alle zusammen an etwas Größerem, während, wenn wir uns nicht mit Netzwerken beschäftigten, eine ungesunde Verinselung stattfände.
Ist das eine Art anarchischer Weg, den Förderalismus der Landeskirchen und Bistümer aufzuweichen?
Es geht weniger ums Aufweichen, aber wir können es uns gar nicht mehr leisten, nicht näher zusammenzurücken und zusammenzustehen und auf Ökumene zu setzen. Vor nicht allzu langer Zeit waren Abgrenzungen noch typisch und identitätsstiftend und Kooperationen zwischen evangelischen, katholischen oder auch Freikirchen waren gar nicht denkbar. Heute stehen wir vor ähnlichen Fragestellungen und erkennen, es geht gar nicht anders als im Miteinander. Über diese Entwicklungen freue ich mich. Man kann das auch biblisch sehen; wir haben unsere Wurzeln in einer gemeinsamen Bewegung.
Ah, das ist ein schöner Bogen: Auch du hast dich bewegt, einmal vom Norden Deutschlands nach Südhessen. Seit einem Jahr bist du im Bereich der Innovationsförderung bei der EKHN angestellt. Wie siehst deine Bilanz nach dem ersten Jahr aus?
Also, was meinen Umzug angeht, mit Hamburg kann wenig mithalten (😉 Sorry!), aber Darmstadt ist tatsächlich sehr lebenswert und war eine positive Überraschung für mich. Und was die Förderprojekte angeht, da wünsche ich mir, noch mehr wegzukommen vom Explorieren hin zum Innovieren. Und ich sehe, dass es vielen in Kirche schwer fällt, mit den Menschen vor Ort in Berührung zu kommen und deren Interessen und Anliegen herauszufinden, ohne dass man hierfür ein Projekt drumherum strickt. Die Ermittlung von Bedarfen und Bedürfnissen muss vorher passieren und ist die Basis; darauf baut die Idee für ein innovatives Vorhaben auf. Die EKHN-Spielräume sollen ja Antworten geben auf ganz konkrete Anliegen. Damit starten wir jetzt durch, aber wie schon zu Beginn gesagt, manches muss sich noch zurechtruckeln, und manches verändert sich auf dem Weg von der Theorie in die Praxis. Aber nach wie vor bin ich sehr positiv gestimmt und sehe viel Potenzial.
Warum hast du dich dafür eingesetzt, Mitglied im Fresh X-Netzwerk zu werden? Eher für eine stärkere Verankerung der Innovation im System oder war es mehr deinem Plädoyer für Netzwerke und Zusammenrücken und Knoten knüpfen geschuldet?
Mhm, ich würde sagen, es ist von allem etwas. Gerade dieses Zusammenstehen und das voneinander Lernen waren mitentscheidend. Ich bin einfach ein totaler Verfechter davon, zu gucken, was ist bei anderen gelaufen, wie haben sie das erlebt. Was war gut, was funktionierte nicht? Ich lerne einfach selbst gerne dazu. Und ich finde es total bereichernd mit anderen unterwegs zu sein. Für mich war es eher die Frage, warum die EKHN so lange nicht dabei war.
Was erhoffst du dir von der Mitgliedschaft im Netzwerk? Voneinander lernen hast du ja schon gesagt, aber hast du auch etwas Konkretes im Blick?
Wenn ich über die verschiedenen Mitgliedorganisationen und ihre Bemühungen um Veränderung in Kirche nachdenke, kommt mir ein wichtiger Aspekt in den Sinn. In einem Gespräch mit Thomas Schlegel hat er mich mal darauf aufmerksam gemacht, dass Innovation stören müsse. Das verändere uns am meisten. Und das leuchtet mir sofort ein. Kirchliche Innovation ist einerseits gewollt, aber gleichzeitig sind die Innovator:innen häufig wie Störfaktoren im System, sie pieken und müssen doch Neuentwicklungen vorantreiben. Und diese Haltung sehe ich auch beim Fresh X Netzwerk: Da sind Leute, die wollen Kirche zukunftsfähig machen, damit wir unseren Auftrag auch weiterhin erfüllen können. Und dafür müssen wir eben auch ein bisschen das Regelsystem stören. Also, in diesem Sinne sind wir alle ‚Störenfriede‘, aber wir sind gutmütig und mit einer guten Intention unterwegs. Fresh X bringt uns als Gleichgesinnte zusammen, deshalb gehören für mich die EKHN und ihre Spielräume da einfach mit rein. Was wir noch Konkretes für das Netzwerk beisteuern können, wird sich hoffentlich mit der Zeit herauskristallisieren. Wir sind da total offen. Erstmal freue ich mich auf den gemeinsamen Stand auf dem Kirchentag in Hannover, wo wir auch mit den Spielräumen neu durchstarten werden.
Alexandra Beitz ist seit dem 15. April 2024 Projektleiterin der Beratungs- und Koordinationsstelle Innovation und Geschäftsführung des EKHN-Innovationsfonds. Zuvor war sie Familienunternehmerin und hat Erfahrungen im Start-Up-Bereich gesammelt. Im christlichen Medienkontext hat sie Organisationsentwicklung strategisch betrieben und als Journalistin innovative Rundfunkangebote entwickelt. Nebenberuflich promoviert sie in Diakoniewissenschaft zum Thema digitale Diakonie.
Das Portal EKHN Spielräume – Erspielt die Zukunft von Kirche! ist ab dem 01. Mai 2025 erreichbar und wird kontinuierlich ausgebaut. Spielräume werden auch die Innovationsvorhaben in der EKHN genannt, die mithilfe der Plattform eine Entwicklungsreise über vier Phasen durchlaufen. Hierbei unterstützen zahlreiche Features, wie das Spielräume-Netzwerk und die Community, Coachings, Beratung, Schulungen, Good Practice und Projekt-Stories, Events, Innovationssafaris, digitale Selbstadministration, Crowdfunding-Funktion u.a.