Zwei Stunden zu spät komme ich an dem Ort an, an dem meine Ausbildung zum Pionier beginnen soll. Typisch ich. Zu spät, wenn auch heute dank der Bahn, die sich sonst so liebe. Und kaum da, geht es auch direkt los mit dem Pionier-sein. Und sofort kicken wieder meine Vorurteile: Puh, Kindermassenorganisation der DDR und Soldat:innen, die im Krieg an vorderster Front kämpfen – wie lässt sich diesem Begriff dennoch etwas abgewinnen?
Ich scheine mit meinen Vorurteilen nicht allein zu sein, denn gleich zu Beginn weist die Dozentin auf alle die Probleme hin, die in meinem Kopf kreisen. Doch alle „Abers“ und Seitenanmerkungen schrecken sie nicht ab – Pionierin zu sein, ist für sie auch ein Sehnsuchtsbegriff. Weil Wandern und Wundern hier zusammenkommen. Und viele schon vor uns pionierhaft unterwegs waren: Abraham, der sich in ein neues Land rufen lässt, Gottes Zumutung und Verheißung an ihn zugleich, und sich dann aufmacht und in Kauf nimmt, dass es dauert, schmerzhaft und beschwerlich ist, weil er hofft, dass sich am Ende alles lohnt. Oder Mose, der mit dem verrückten Auftrag, der die Sehnsucht nach einem neuen Land, nach einem Neuanfang weckt, nach der Freiheit, die dort wartet. Der etwas ganz Neuem entgegenreist und dabei wie Abraham in Kauf nimmt, dass es dauert und beschwerlich ist. Wieder sind Zumutung und Verheißung eng beieinander. Ich spüre, wie mich das berührt. Die Geschichten der vielen, die uns vorausgegangen sind. Und dass ich mich auch rufen lassen will, in die Sehnsucht, in die Freiheit.
Immer mehr merke ich an diesem ersten Abend: Wenn genau das Pioniersein bedeutet, könnte ich auch einer sein. Menschen mit einer heiligen Unruhe, die unangepasst, visionär unterwegs sind, loyale Radikale, die gründen und umsetzen wollen und die eine wunderbare Gabe verbindet, nämlich nicht hineinzupassen in das, was es schon gibt – und das Gefühl kenne ich. Das Wandern als Nomade mit der Frage: Wo passe ich dazu? In sich zu spüren, dass der Heilige Geist auch und gerade außerhalb der Kirche am Werk ist und ich darauf antworten will, mit Kreativität. Und dass ich Lust habe, mit Menschen zu entdecken, wo Gott in ihrem Leben schon Spuren hinterlassen hat, und wo Lebensgeschichte bei ihnen vielleicht auch eine Glaubensgeschichte ist. Noch immer denke ich vor allem bei Worten wie Visionär, Gründer, Nomade, Innovator – das hat was mit mir zu tun. Aber wenn der Oberbegriff für all das Pionier wäre – warum eigentlich nicht?